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Gabor Steingarts Morning Briefing
Eskalierende Metaphern

Angela Merkel als Eiskönigin im erstarrten Corona-Land - so sieht Gabor Steingart die Kanzlerin in der Krise. Für Matthias Dell ein absurdes Wortgirlandentum. In seiner Kolumne kritisiert er, dass das Metaphern-Basteln im Grunde nur eine ganz bestimmte Agenda bemäntelt.

Von Matthias Dell | 22.04.2020
Der Publizist Gabor Steingart
Journalist und Publizist Gabor Steingart (dpa/ Horst Galuschka)
Es ist schon erstaunlich, wie sorglos im Journalismus mit der eigenen Widersprüchlichkeit umgegangen wird. Gabor Steingarts von Springer mitfinanziertes Unternehmen Media Pioneer etwa wirbt mit dem Slogan: "100 Prozent Journalismus. Keine Märchen." Das ist PR, ich weiß, aber auch die könnte doch irgendwas mit dem zu tun haben, was man tatsächlich macht. Aber dann steht vor ein paar Tagen im für die Unternehmung so zentralen Morning-Briefing-Newsletter als erster Satz:
"Die Eiskönigin im wirtschaftlich erstarrten Corona-Land heißt Angela Merkel."
Und man fragt sich: "Eiskönigin" - ist damit der Disneyfilm oder Hans Christian Andersens "Schneekönigin" gemeint? Das sind doch beides Märchen. Und was hat das mit der Bundeskanzlerin zu tun? Nichts, es geht nur um Ausdruck einer grundsätzlichen Abneigung, die Steingart wie viele männliche Journalisten seiner Klasse und Generation gegenüber Merkel pflegt. Beim nächsten Mal tritt die Kanzlerin dann als "Oberärztin" auf. Dabei müsste es, wenn man solche Sprachbilder schon wählt, doch eigentlich die Chefärztin sein, oder?
Absurdes Wortgirlandentum
Das mit den eskalierenden Metaphern ist ein Charakteristikum von Steingarts flotter Schreibe. Der Hang dazu hatte seinerzeit mit zur Trennung von Holtzbrincks "Handelsblatt" geführt, als Steingart sich im Newsletter in eine Mordmetaphorik delirierte, um seine Abneigung gegenüber dem SPD-Mann Martin Schulz zu bebildern. Dass diese Erfahrung irgendwelche Spuren hinterlassen hätte, er als Journalist dadurch demütiger, präziser, sachlicher geworden wäre, das lässt sich nicht behaupten. Immer wieder driften Steingarts Analysen ab in ein absurdes Wortgirlandentum. Zum Beispiel:
"Merkels Verlangen nach alttestamentarischer Loyalität ("Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.") kann und darf Laschet jetzt nicht mehr befriedigen. Ihre Auferstehung würde das Ende seiner Ambition bedeuten. Er will jetzt nicht mit ihr ins Himmelreich, sondern an ihrer Stelle ins Bundeskanzleramt. Das erlösende Schlusswort seiner Kampagne lautet daher nicht 'Amen', sondern Exit."
Der Absatz zeigt immerhin auch, wozu das ganze Geklingel gut ist. Steingarts eitles Metaphern-Basteln bemäntelt im Grunde nur seine Agenda. Der herausgestellte Stil macht Leute und Ideen groß, klein oder lächerlich, wie das bei einer bestimmten Form des Politikjournalismus üblich ist. Steingart ist ein gut integrierter, prototypischer Vertreter dieser Schicht – inszeniert sich und seine neue Unternehmung aber als Außenseiter mit "anderem Blick", weil dieses Opferdingsbums gerade so en vogue ist auf der konservativen Seite des politischen Spektrums.
Mogelpackung mit salbungsvollen Worten
Dabei ist Steingarts 100-Prozent-Journalismus teils eine Mogelpackung, die mit salbungsvollen Worten verkauft wird, wie man kürzlich an dieser Anmoderation in seinem Podcast merken konnte: "Wie wir unsere Wortwahl nach der Krise ernsthafter, tiefer, nachhaltiger, fairer, empathischer gestalten können" sollte das Thema des Kulturjournalisten Alexander Kissler sein.
Der kam zwar gleich mit spitzen Befunden um die Ecke, die Steingarts Stil unmittelbar betreffen könnten ("Diese Abtrennung der Worte von den Wirklichkeiten, glaube ich, können wir uns in einer krisenhaften Zeit wie der jetzigen nicht mehr leisten."), hatte ansonsten aber selbst mit der richtigen Wortwahl zu kämpfen, wie dieser Versuch einer Definition des schwammigen Neologismus "Expertokratie" vorführt:
"Wäre das Wort nicht umstritten, dann wären wir in einem Absolutismus gelandet oder in einer Expertokratie, wie sie momentan ja viele Menschen herbeisehnen, aber auch eine solche Expertokratie wäre ein Absolutismus."
Dank den klaren Worten
Ja, wer erinnert sich nicht – bei Ludwig XIV. konnte man nur als König König sein. Immerhin gab sich der selbsternannte Phrasenkritiker Kissler am Ende hoffnungsfroh, dass das mit der genauen Sprache auch bei ihm noch klappen könnte, "dass wir uns auch die Mühe machen und uns der Arbeit unterziehen, nach dem treffenden Wort zu suchen. Botho Strauß sagte einmal, Worte seien, manchmal zumindest, kugelrund wie die Träne und haben mit dieser den Weg des Verrinnens gemein."
Gabor Steingart lachte daraufhin keine kugelrunden Tränen, sondern beschloss die Sendung mit einer angesichts des luftigen Beitrags doch ziemlich gewagten Feststellung: "Vielen Dank für diese klaren Worte."
Matthias Dell
Matthias Dell, Jahrgang 1976, studierte Komparatistik und Theaterwissenschaft in Berlin und Paris. Er schrieb von 2004 bis 2014 für das Medien-Watchblog "Altpapier" und veröffentlicht jeden Sonntag nach der Ausstrahlung eine Kritik zum aktuellen "Tatort" beziehungsweise "Polizeiruf" auf Zeit Online. 2012 erschien sein Buch "'Herrlich inkorrekt'. Die Thiel-Boerne-Tatorte" bei Bertz+Fischer.