Todesfälle dominieren die Feuilletons

Gestorben am 1. April - wie unseriös!

Ein Grabstein mit eingraviertem Kreuz steht am 22.10.2015 hinter einem gelben Grabgesteck auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main/Hessen.
Das müde Kind glaubt so wenig an morgen wie der Sterbende, schrieb Imre Kértesz mal. © dpa / picture alliance / Alexander Heinl
Von Arno Orzessek · 01.04.2016
Die TAZ unterzieht die Bauten der verstorbenen Zaha Hadid einer Architekturkritik. Der tote Nobelpreisträger Imre Kértesz wird mit wunderbaren Worten zum Sterben in FAZ zitiert. Und "Genschman"-Comic-Macher Hans Zippert mokiert sich über das Sterbedatum des Ex-Außenministers.
"'Alle Tage sind gleich lang, jedoch verschieden breit‘",
erklärt der Philosoph Udo Lindenberg in einer seiner Illustrationen für die Jubiläumsausgabe der Tageszeitung DIE WELT. Sie wird an diesem Samstag 70 Jahre alt,
Und findet es angemessen, am eigenen Geburtstag die erste Feuilleton-Seite mit einem Auszug aus Benjamin von Stuckrad-Barres neuem Werk Panikherz zu bedrucken.
Okay, der Auszug handelt von einem Amerika-Trip, den Stuckrad-Barre mit dem Jubiläums-Illustrator Lindenberg unternommen hat.
Trotzdem wirkt das Ganze auf uns wie eine Marketing-Masche pro Panikherz - was daran liegen könnte, dass wir die von Stuckrad-Barreschen Reise-Witzeleien so witzig gar nicht finden.
Immerhin aber witziger als die Sprache der allerersten WELT-Ausgabe.
Matthias Heine hat sie sich aus dem Archiv gezogen und bespricht nun "ein Dokument, das vom Ringen um sprachliche Erfrischung zeugt",
was wiederum so klingt, als könnte Heine selbst etwas Erfrischung gebrauchen.
Aber hören wir uns an, wie sich das damals las – das "Ringen". Im Editorial der WELT Nr. 1 vom 2. April 1949 hieß es:
"'Dennoch muß man so unhöflich sein, dem Leser, der nach einem Jahrzehnt der NS-Presse ein verbittertes Misstrauen gegen bedrucktes Papier hat, wenn er nun auch einer neuen Bemühung das Schlagwort 'Lauter Lügen' entgegensetzt, zu versichern, dass er unter sein Niveau als denkender Mensch geht.'"
Offenbar stand "das Ringen um sprachliche Erfrischung" hier noch ganz am Anfang.
Aber dann hat die WELT ja siebzig Jahre lang weitergerungen und zählbare Erfolge erzielt. Darum gratulieren wir und sagen: Glückwunsch, WELT!
Nicht die Geburtstage, die Todesfälle dominieren die Feuilletons, echte und bloß behauptete.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG heißt es etwa:
"In der Nacht zum 1. April soll, das meldeten alle Nachrichtenagenturen mit der gebotenen Aufregung, Genschman gestorben sein. Das klingt im höchsten Maße unseriös. Seit wann können Superhelden sterben? Sie dämmern vielleicht dahin und ruhen sich von früheren Heldentaten aus; aber eigentlich warten sie nur darauf, wieder in Aktion treten zu dürfen. Genauso verhält es sich auch mit Genschman."
Meint der FAZ-Autor Hans Zippert, Ex-Chefredakteur der Titanic und hauptverantwortlich für den Genschman-Comic.
Eine Superheldin unter den Architekten, allerdings sehr umstritten – das war Zaha Hadid, die nun mit 65 Jahren gestorben ist.
Unter dem Titel "Frau, Araberin, Architektin" schreibt Sophie Jung in der TAGESZEITUNG:
"Biomorph und technoid zugleich waren Hadids letzte Entwürfe, die vor allem in ihrer Kühnheit die Handschrift der irakischen Architektin beweisen. Dennoch, so eigenwillig, risikoreich und ästhetisch bereichernd ihre Bauten sind, Hadid verfiel, wie so viele Architektengrößen, auch ihrer eigenen Marke. Scheinbar wahllos verteilte sie ihre elegant gegossenen Betonskulpturen und Signature Buildings auf dem Globus."
So mäkelt die TAZ.
Während die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG titelt: "Götter? Diven? Bitte nicht mehr".
Laura Weissmüller hat die Nase voll von heldischen Architekten und wähnt die Mehrheit – ob in Deutschland, Europa oder der Welt, bleibt offen – auf ihrer Seite.
"Die Gesellschaft akzeptiert den einen Star nicht mehr, der alles entscheiden will. Zu oft in der Vergangenheit endete dies in Architektur, die keine Rücksicht auf ihre Umgebung, nicht einmal auf ihren zukünftigen Nutzer nahm, und die viel teurer wurde als geplant. Bürgerbeteiligung heißt das Zauberwort, ohne das sich heute kaum ein größeres Bauprojekt mehr realisieren lässt."
Das letzte Wort hat "Der widerwillige Ungar".
So nennt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG den verstorbenen Literaturnobelpreis-Träger Imre Kértesz.
Die Kértesz-Bemerkung über Sterben und Tod, die uns bewegt, zitiert indessen Durs Grünbein in der FAZ:
"'Wer bei gesundem Verstand bleibt und Glück hat, stirbt so, wie das Kind gezwungenermaßen sein Spielzeug liegen lässt, wenn es am Abend ins Bett geschickt wird; sich einerseits beklagend, andererseits kaum noch imstande, die Augen offen zu halten. Zwar tröstet man es, dass es sein Spielzeug am nächsten Tag wiederfinden werde, aber das Kind glaubt so wenig an morgen wie der Sterbende.'"
Imre Kértesz. Ruhe in Frieden!
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