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Gabriel-Besuch in Israel
"Gabriel hat sich nicht verkalkuliert"

Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warnt davor, das abgesagte Treffen von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Außenminister Sigmar Gabriel überzubewerten. Gabriel sei zwar in einen innenpolitischen Strudel geraten, sei aber erfahren genug, mit solchen Sitationen umzugehen, sagte Mützenich im DLF.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 26.04.2017
    Tobias Armbrüster: Zur Episode werden lassen wollen wir das Ganze nicht ganz so schnell. Mitgehört hat nämlich der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich, Fraktionsvize im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen.
    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Mützenich, hat sich Sigmar Gabriel hier verkalkuliert?
    Mützenich: Nein, er hat sich nicht verkalkuliert, sondern er hat an etwas festgehalten – und da hat Herr Remme drauf hingewiesen -, worauf auch andere Politiker immer Wert gelegt haben bei Besuchen. Aber auch wir Bundestagsabgeordnete hier in Berlin treffen uns mit Organisationen, die auch kritisch über die Situation, über die Menschenrechtslage, aber auch die Situation in den palästinensischen Gebieten berichten, und das halte ich auch für richtig.
    "Gabriel ist flexibel genug"
    Armbrüster: Er hat festgehalten an diesem Gespräch. Ist denn für einen versierten Diplomaten und Außenpolitiker das Loslassen nicht manchmal wichtiger?
    Mützenich: Natürlich! Das tut ja auch Außenminister Gabriel. Er ist ja durchaus in den letzten Wochen immer wieder fähig gewesen, auch letztlich bestimmte Punkte in die Diplomatie einzuführen, und ich glaube, er ist flexibel genug.
    Aber auf der anderen Seite müssen wir auch sehr klar deutlich machen, das steht ja in einem innenpolitischen Kontext, die Verfolgung von solchen Nichtregierungsorganisationen. Es gibt ein neues Gesetz, die innenpolitische Debatte in Israel dazu ist aufgeheizt, und meines Wissens wird im Mai der oberste Gerichtshof in Israel über die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes entscheiden, worunter dann auch diese Nichtregierungsorganisationen leiden würden.
    Ich glaube, er ist dort in einen innenpolitischen Strudel geraten, der leider natürlich langfristig möglicherweise auch Auswirkungen auf das deutsch-israelische Verhältnis haben wird.
    Armbrüster: Nämlich welche?
    Mützenich: Insbesondere, dass diese Sprachlosigkeit, zu der offensichtlich Ministerpräsident Netanjahu, der ja gleichzeitig Außenminister ist, bereit gewesen ist, sich fortsetzt, und das ist durchaus ein Problem. Die israelische Regierung muss sich schon anhören, wenn wir kritische Punkte in die Diskussion einführen wollen, und wir haben ja zum Beispiel erlebt, dass der israelische Soldat, der auf einen wehrlosen Palästinenser geschossen hat, auch vor Gericht verurteilt worden ist, und das ist nur durch die Dokumentation einer dieser Nichtregierungsorganisationen veröffentlicht worden.
    Armbrüster: Wie gravierend ist denn der Schaden jetzt für diese Beziehungen zwischen Deutschland und Israel? Sehen Sie da irgendeine ausgestreckte Hand, die jetzt auch einen Tag danach schon wieder sagt, Leute, lasst uns vielleicht weitermachen?
    Mützenich: Das müssen wir abwarten, das müssen wir sehen. Insbesondere wenn die israelische Regierung bereit ist, auf das einzugehen, was ja alle deutsche Bundesregierungen in den vergangenen Jahren versucht haben, insbesondere auch mit Partnern innerhalb der Europäischen Union, nämlich den Prozess über die Zwei-Staaten-Lösung wieder aufzunehmen. Dann, glaube ich, können wir ganz schnell auch unsere diplomatische Rolle – und darauf haben Sie ja eben hingewiesen; wir sind ja auch bereit, bestimmte Dinge unterschiedlich uns anzuhören, aufzunehmen. Ich will nicht sagen, dass Deutschland hier ein Vermittler sein kann, aber wir haben auf der anderen Seite auch klare Prioritäten und dass das israelisch-palästinensische Verhältnis von Deutschland aus begleitet wird, weil es letztlich auch Auswirkungen auf die internationale Politik, aber auch auf die europäische Sicherheit hat.
    Armbrüster: Herr Mützenich, Sie haben gerade das Stichwort Zwei-Staaten-Lösung genannt. Zeigt dieser ganze Vorfall gestern nicht auch, dass diese Zwei-Staaten-Lösung für Israel zumindest immer mehr in den Hintergrund gerät?
    Mützenich: Ich würde sagen, für die israelische Regierung, und ich glaube, genau das ist ja der wichtige Aspekt. Wir erleben immer mehr, dass israelische Regierungen insbesondere unter der Führung von Netanjahu von diesem Projekt abgewichen sind, obwohl es immer noch einen durchaus breiten internationalen Konsens gibt. Das hat auch etwas mit dem US-amerikanischen Präsidenten Trump zu tun, dass möglicherweise Israel glaubt, sich nicht auch auf UNO-Resolutionen mehr wird berücksichtigen zu können.
    Aber ich glaube, insgesamt sind wir vonseiten Deutschlands aus, vonseiten der Bundesregierung, aber auch des Parlaments gut beraten, an dieser Frage festzuhalten.
    "Verhältnis zu Palästina kann am Ende nur in einem internationalen Vertrag geregelt werden"
    Armbrüster: Oder kann es vielleicht sein, dass Deutschland auch hier an etwas festhält, was es eigentlich schon nicht mehr gibt?
    Mützenich: Ich will das ja gar nicht bezweifeln und manchmal hat man ja auch durchaus den Eindruck, dass wir überhaupt nicht mehr in den vergangenen Jahren vorangekommen sind. Aber wir haben schon in anderen Fragen der Diplomatie erlebt, dass es mehrere Jahre keine Fortschritte gegeben hat, und der israelischen Regierung muss klar sein, dass das Verhältnis zu Palästina am Ende nur in einem internationalen Vertrag geregelt werden kann, und daran halten wir fest.
    Armbrüster: Herr Mützenich, jetzt müssen wir uns allerdings die Situation noch mal vor Augen führen. Wir haben jetzt diesen Besuch von Gabriel in Israel, der liegt hinter uns, und er hat dort nun in Israel zwei NGO's getroffen, die man sicher auch ohne diesen Besuch hier in Deutschland auf dem Schirm hätte. Über die wird immer wieder berichtet. Es ist jetzt nicht so, dass die unbekannt gewesen wären und politische PR gebraucht hätten. Stattdessen hat er nicht getroffen den israelischen Ministerpräsidenten und Außenminister Benjamin Netanjahu. Ist das nicht eigentlich ein etwas dürftiges Ergebnis einer solchen Reise?
    Mützenich: Es ist ein Ergebnis, was wir so nicht gewollt haben. Wir wollten, dass das Treffen mit Netanjahu stattfindet. Aber nicht Sigmar Gabriel hat das Gespräch abgesagt, sondern Ministerpräsident und Außenminister Netanjahu. Und wir haben ja gesehen, Herr Gabriel konnte mit dem israelischen Staatspräsidenten zusammentreffen. Es gibt ganz unterschiedliche Auffassungen offensichtlich über diese Reise.
    "Das ist für das diplomatische und internationale Geschäft nicht das Instrument der ersten Wahl"
    Armbrüster: Herr Mützenich! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie kurz unterbreche. Es lag ja durchaus in seiner Macht, dieses Treffen herbeizuführen. Er hätte das Gespräch absagen können mit den beiden NGO's. Ist an so etwas überhaupt nicht zu denken bei einem solchen Besuch?
    Mützenich: Nein! Ich glaube, natürlich kann man daran denken. Aber es geht natürlich nicht, auch im Verhältnis von zwei Regierungen, dass man sich öffentlich erpressen lässt, und genau das ist der Aspekt, den Ministerpräsident Netanjahu eingeführt hat. Das versucht er immer wieder in der Innenpolitik. Aber er muss sich darüber im Klaren werden, das ist für das diplomatische und internationale Geschäft nicht das Instrument der ersten Wahl.
    "Israel ist nicht die israelische Regierung alleine"
    Armbrüster: Dann ist natürlich die Frage, die sich heute ganz viele Leute stellen, die sich diesen Besuchskalender der kommenden Wochen mal ansehen: Was soll nun Frank-Walter Steinmeier, der neue Bundespräsident machen, wenn er in den kommenden Wochen nach Israel reist? Soll er solche NGO's treffen oder das lieber aus seiner Agenda herauslassen?
    Mützenich: Ich bin keiner, der dem Bundespräsidenten und insbesondere Frank-Walter Steinmeier öffentlich Ratschläge erteilt. Ich glaube, er ist erfahren genug, mit dieser Situation umzugehen. Und ich bin ganz sicher, er hat ja auch in der Vergangenheit – und hier gibt es ja auch Festlegungen im Auswärtigen Amt, aber auch von Seiten zum Beispiel des Deutschen Bundestages – immer wieder das Gespräch auch mit solchen Organisationen gesucht. Und ich glaube, wir sind gut beraten, auch hier in Deutschland deutlich zu machen, Israel ist nicht die israelische Regierung alleine, und darauf kommt es am Ende auch an, nicht nur bei solchen Staatsbesuchen, sondern auch, wie wir hier in Deutschland innenpolitisch agieren. Zum Beispiel die deutsch-israelische Parlamentariergruppe hat die israelischen Kollegen vor diesem Gesetz gewarnt.
    Ich bin noch vor einigen Wochen mit einer Vertreterin von Breaking the Silence hier in Deutschland zusammengetroffen und ich finde, das ist auch die Souveränität von politischen Institutionen in Deutschland.
    Armbrüster: ... sagt hier bei uns in den "Informationen am Morgen" der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich. Vielen Dank nach Berlin.
    Mützenich: Vielen Dank, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.