Samstag, 20. April 2024

Archiv


Gabriel: Eine gemeinsame Währung braucht eine gemeinsame Finanzpolitik

Ohne eine gemeinsame Finanzpolitik drohe das Auseinanderbrechen der Eurozone, sagt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Nur so sei man in der Lage, gemeinschaftlich Schulden abzusichern. Deshalb unterstütze er den Vorstoß der EU-Kommission, gemeinsame europäische Anleihen, die sogenannten Euro-Bonds, auszugeben.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Peter Kapern | 22.11.2011
    Peter Kapern: Morgen will die EU-Kommission ihre Vorschläge vorlegen. Ihre Vorschläge für die Einführung sogenannter Eurobonds, um die Schuldenkrise endlich wirksam einzudämmen. Die Antwort der Bundesregierung hat Kommissionschef Barroso schon vor der Präsentation seines Konzepts erhalten. "Wir schauen uns das gerne mal an", hieß es gestern in Berlin, "wir sind aber auf jeden Fall dagegen." Aber weil die Bundesregierung das schon mehrfach im Rahmen der Euro-Krise gesagt und dann später doch zugestimmt hat, könnte sich ein Blick auf das Konzept der Eurobonds dennoch lohnen.

    "Deutschlandfunk – Erklärwerk" – Eurobonds:

    Eurobonds, mit denen die Euro-Länder gemeinsam Schulden aufnehmen könnten, sind hoch umstritten. Zu den Befürwortern zählt EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Der will am Mittwoch drei Varianten vorstellen, wie so eine gemeinsame Schuldenaufnahme in Europa aussehen könnte.

    Szenario 1 geht am weitesten: Eurobonds ersetzen die nationalen Staatsanleihen komplett. Fällt ein Mitgliedsstaat aus, müssen die anderen auch für dessen Anteile garantieren.

    Szenario 2: Deutsche, französische oder italienische Staatsanleihen gibt es nach wie vor, Eurobonds kommen nur dazu. Wie viel ein Staat aus diesem Topf bekommt, das könnte zum Beispiel von dessen Haushaltsdisziplin abhängen.

    Szenario 3: Die Euro-Zone gibt Anleihen aus, haftet dafür aber nicht als Gemeinschaft. Fällt ein Land aus, müssen die übrigen nicht dafür geradestehen. Auch hier gäbe es weiterhin nationale Staatsanleihen.

    Frage: Barroso kann seine Vorschläge nur zur Diskussion stellen. Sie haben keinen bindenden Charakter. Haben diese Szenarien überhaupt eine Chance?

    Dazu Volker Finthammer, Korrespondent aus Brüssel: "Das hängt ganz davon ab, zu welchen Integrationsschritten die Staaten in der Finanz- und Wirtschaftspolitik bereit wären. Bislang verbieten die EU-Verträge die Übernahme der Schulden eines Staates durch die anderen. Wirklich gemeinsame Euro-Anleihen wären erst möglich, wenn es auch eine einheitliche Finanz- und Haushaltspolitik gäbe, die nur noch wenige nationale Alleingänge erlauben. Davon aber sind die Partner in der Euro-Zone noch weit entfernt. Insofern dürften Eurobonds erst am Ende eines umfassenden Integrationsprozesses in der Euro-Zone stehen. Vorher dürften sie kaum akzeptiert werden."

    Zahl: 47 Milliarden Euro.

    Sollten Eurobonds kommen, dann müsste sich Deutschland auf Mehrausgaben von 47 Milliarden Euro einstellen. Das meint das ifo-Institut. Befürworter der Eurobonds halten dagegen, dass drohende Staatspleiten oder ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone den deutschen Steuerzahler noch mehr kosten würden.

    Kapern: Martin Krinner war das über Eurobonds und bei uns am Telefon ist jetzt Sigmar Gabriel, der Vorsitzende der SPD. Guten Morgen, Herr Gabriel.

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Kapern: Herr Gabriel, die SPD hat sich ja längst für Eurobonds ausgesprochen. Wie erklären Sie eigentlich den Deutschen, dass sie für die Schulden Griechenlands oder Italiens geradestehen sollen?

    Gabriel: Wir sagen, dass wir diese Integration der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa brauchen, weil es eine Illusion ist zu denken, dass man auf Dauer eine gemeinsame Währung ohne eine gemeinsame Finanzpolitik haben kann, dass man dafür auch harte Auflagen für diejenigen braucht, die zu hohe Schulden haben. Das ist der eine Teil und der zweite Teil ist, dass in diesem Zusammenhang einer integrierten Finanzpolitik wir auch einen Teil der Schulden über Eurobonds absichern müssen, weil ich sonst überhaupt nicht sehe, wie wir die Finanzmärkte zur Ruhe kriegen können. Diese Zahl, das würde uns 47 Milliarden kosten, ist ja eine ziemlich aus der Luft gegriffene Zahl. Tatsache ist, dass wir auf der einen Seite derzeit richtig verdienen an der Krise der europäischen Staaten, weil wir ganz, ganz niedrige Zinsen haben. Nur noch Deutschland kann seine Staatsanleihen platzieren. Aber um uns herum gehen die Staaten alle miteinander einen bitteren Weg, inzwischen sogar Frankreich, und Deutschland ist ein Land, das seine Produkte in die Europäische Union verkauft. Wenn jedes Land nacheinander und nun auch Frankreich in die Knie geht, dann wird das am Ende eine bittere Wirtschaftskrise und Rezession in Europa und auch in Deutschland zur Folge haben und uns Millionen von Jobs kosten. Das ist der Weg, den wir leider gerade gehen.

    Kapern: Wenn die 47 Milliarden an zusätzlichen Kosten für Deutschland aus der Luft gegriffen sind, welche Zahl ist denn die richtige?

    Gabriel: Es kommt darauf an, welche dieser Modelle der gemeinschaftlichen Absicherung sie nutzen. Herr Sinn mit seinem Institut geht nur auf die letzte ein, wo sozusagen Deutschlands Bonität unter der europäischen verschlechtert wird. Wie gesagt, zurzeit verbessert sie sich ungeheuer. Wir verdienen Geld an den Schulden, die wir anderen absichern, wir verdienen Geld daran, dass unsere Schulden ganz niedrig bewertet werden und die anderen ganz hoch. Das, finde ich, ist das erste Mal, wo man sich auch vorstellen muss, wie die anderen Staaten das um uns herum beobachten, dass wir an deren Krise derzeit Geld verdienen.

    Kapern: Sie haben ja eben, Herr Gabriel, die gemeinsame Finanzpolitik angesprochen, die es braucht in der Europäischen Union. Müssen Sie sich da nicht den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie den zweiten Schritt vor dem ersten machen, also die Eurobonds akzeptieren, noch bevor ein wirksames System der Finanzpolitik und Haushaltskontrolle ausgearbeitet ist? Nehmen Sie den Druck aus dem Reformkessel?

    Gabriel: Man kann gar keine Eurobonds ausgeben, ohne den ersten Schritt zur gemeinschaftlichen Finanzpolitik gemacht zu haben – schon deshalb nicht, weil sie ein Schatzamt brauchen, das so etwas ausgibt und auch die Kontrolle darüber hat. Also von daher: Wir sagen seit eineinhalb Jahren, geht diesen Schritt in die stärkere Vereinheitlichung der Finanzpolitik in der Währungszone, das hat Frau Merkel die ganze Zeit verweigert. Und was wir jetzt erleben, eigentlich darf man sich das gar nicht wünschen, aber leider ist es so. Wir erleben, dass alles, was die Bundesregierung gemacht hat in den letzten Monaten, nicht funktioniert. Jeder Schritt, den Frau Merkel vorgegeben hat – und das sollten immer nationale Schritte sein -, hat am Ende keinerlei Wirkung gehabt. Wir sehen gerade, dass selbst die letzten Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs, die ja auf Druck Deutschlands zustande gekommen sind, nicht akzeptiert werden, dass Frankreich ins Wanken gerät. Und was mich besonders erstaunt ist: Auch der Sachverständigenrat der Bundesregierung, also die eigenen Wirtschaftsweisen sagen, ihr müsst einen Schuldentilgungsfonds machen, den ihr gemeinschaftlich europäisch organisiert, und auch das wird einfach vom Tisch gewischt und das Ergebnis ist, dass die Krise immer stärker geworden ist. Dieser Tatsache muss man mal ins Auge sehen.

    Es hilft ja nichts, immer nur zu sagen, was man alles nicht will, um am Ende zu dem zu kommen, was wir gerade erleben, nämlich Merkelbonds, denn es werden Eurobonds gerade organisiert, bloß ohne jeden politischen Einfluss, nämlich indem die Europäische Zentralbank, weil sie gar nicht anders weiß, wie sie die Krise beherrschen soll, unbegrenzt Staatsanleihen von Schuldenstaaten aufkauft – inzwischen fast 200 Milliarden Euro. Das passiert sozusagen ohne jeden Einfluss, die Staaten kriegen Geld von der EZB, weil sie sonst alle der Reihe nach Pleite gehen. Darüber redet kein Mensch und das sind, wenn Sie so wollen, die Merkelbonds, die jetzt europaweit eine Haftung auch Deutschlands herbeiführen, aber ohne jeden Einfluss auf die Krisenstaaten. Das ist doch ein Weg, den wir nicht gehen können!

    Kapern: Nun macht EU-Kommissionschef Barroso in seinem Konzept, das er präsentieren wird, auch darauf aufmerksam, dass die Eurobonds besonders dann wirksam sind, wenn man sie mit Goldreserven unterlegt. Ist das für Sie auch akzeptabel, den Goldschatz der Bundesbank zu verpfänden?

    Gabriel: Es ist für mich überhaupt nicht akzeptabel, jetzt über solche Fragen zu philosophieren, sondern man muss ja erst mal feststellen, welchen Weg wollen wir gehen. Soll der Weg weitergegangen werden, indem die Europäische Zentralbank zur Schuldenbank wird, und zwar indem sie einfach Staatsanleihen, Schulden europäischer Staaten aufkaufen muss, weil die sonst alle der Reihe nach Pleite gehen? Sollen wir diesen Weg weitergehen? Das ist der Weg, den gerade Frau Merkel geht. Sie sagt zwar öffentlich, sie will das nicht; sie sagt dann aber gleichzeitig, na ja, die Europäische Zentralbank ist aber unabhängig. Wir wissen, dass dieser Weg in die Inflation führt, denn das ist nichts anderes als das Anwerfen der Notenpresse, ohne jeden Einfluss auf die Staaten. Wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir sagen, was ist die Alternative dazu, und die Alternative dazu ist entweder das Auseinanderbrechen der Eurozone – es gibt Leute, die darauf wetten, es werden Milliardenwetten abgeschlossen an den Finanzmärkten, dass Europa den Bach runtergeht. Und die dritte Möglichkeit ist, sich endlich auf Vertragsänderungen zu verständigen, bei denen wir eine gemeinsame Finanzpolitik machen und als Folge dieser gemeinsamen Finanzpolitik auch in der Lage sind, gemeinschaftlich Schulden abzusichern. Den letzten Weg fordern wir Sozialdemokraten seit 18 Monaten. Seit 18 Monaten wird das verweigert von der Kanzlerin, und das ist schon eine ziemliche Katastrophe, in die wir da gerade fahren.

    Kapern: Herr Gabriel, noch kurz zu einem anderen Thema, das das Land derzeit bewegt: Die von einer rechtsextremen Terrorgruppe verübte Mordserie. Sie haben da ja einen Untersuchungsausschuss des Bundestages gefordert. Nun ermittelt ja erst mal Polizei und Bundesanwaltschaft. Misstrauen Sie denen so sehr, dass Sie einen zusätzlichen Untersuchungsausschuss fordern?

    Gabriel: Ich habe auf die Frage eines Journalisten, ob man so etwas oder einen Sonderermittler oder eine andere Form der parlamentarischen Begleitung braucht, gesagt, ja, in jedem Fall brauchen wir irgendeine dieser auch öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten, denn es gibt doch einen ungeheuerlichen Verdacht und dieser ungeheuerliche Verdacht ist, dass in den staatlichen Behörden, vor allen Dingen im Geheimdienst, was gewusst wurde, was diese Morde hätte verhindern können.

    Kapern: Und das lässt sich ohne Untersuchungsausschuss nicht aufklären?

    Gabriel: Ich glaube, dass eine reine regierungsinterne Ermittlung, die nicht für die Öffentlichkeit sichtbar zeigt, wie man mit diesen Ermittlungspannen umgeht, dass das, glaube ich, nicht ausreicht. Ob das ein Untersuchungsausschuss ist, ob das ein parlamentarischer Sonderermittler ist, darüber muss man reden. Aber es muss in jedem Fall etwas sein, wo die Öffentlichkeit begleiten kann, welche Aufklärungsschritte wir hier eigentlich unternehmen.

    Kapern: Der CSU-Politiker Uhl hat gesagt, ein Untersuchungsausschuss oder ein Sonderbeauftragter seien mit der Aufgabe überfordert.

    Gabriel: Das will ich nicht hoffen, Untersuchungsausschüsse ohnehin schon mal nicht, weil sie einen sehr, sehr hohen Aufwand betreiben. Aber ich glaube einfach, dass es nicht geht, dass wir das versteckt betreiben. Das ist ja eine unfassbare Situation, in der wir sind. Wir haben über 140 Tötungsdelikte aus rechtsradikaler Gewalt, in den offiziellen Statistiken finden sich nur 47, wir haben Ermittlungspannen, wir haben offensichtlich den Verdacht, dass es Geheimdienstmitarbeiter gegeben hat, die da mit den Rechtsradikalen sympathisiert haben. Ich meine, das ist doch schon etwas, was an den Grundfesten unseres Rechtsstaates rührt, und deswegen glaube ich, hat die Öffentlichkeit in einer Demokratie auch das Recht zu erfahren, wie der Staat mit der Aufarbeitung dieser Situation umgeht.

    Kapern: Sigmar Gabriel war das, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Gabriel, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Gabriel: Bitte. – Tschüß!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.