Dienstag, 16. April 2024

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Gabriel: Eurobonds schaffen Sicherheit für die Märkte

Eurobonds seien ein wichtiges Mittel, um die Finanzkrise in den Griff zu bekommen, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel. Er plädiert weiter für eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik, um drängende Probleme wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Dirk Müller | 16.08.2011
    Dirk Müller: Die Bundesregierung will also nicht darüber reden. Offen über Eurobonds redet hingegen Sigmar Gabriel, der SPD-Vorsitzende ist für gemeinsame europäische Staatsanleihen und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen!

    Müller: Herr Gabriel, was macht Sie dabei so sicher?

    Gabriel: Wir haben jetzt seit Monaten, seit anderthalb Jahren, alle paar Monate einen neuen Rettungsschirm verabredet, der nie funktioniert hat, sondern immer, wenn wir uns einem Problem genähert haben oder die Staats- und Regierungschefs das getan haben, ist dann am nächsten Punkt die Debatte wieder aufgeflammt. Und es ist doch klar, dass die Märkte, bei denen sich die Staaten Geld leihen, sicher sein wollen, dass sie dieses Geld zurückbekommen. Und deswegen, glaube ich, gibt es überhaupt gar keinen anderen Weg, als diese Sicherheit zu schaffen, damit die Spekulation aufhört, denn am Ende werden wir ohne diese Sicherheit immer mehr Finanzierungen für den Euro auf den Weg bringen müssen. Und es wird viel teurer, als jetzt zu sagen, einen Teil der Schulden, nicht alle, aber einen Teil der Schulden, die die europäischen Staaten machen, können wir über europäische Absicherungen absichern, diese Eurobonds, etwa 50 bis 60 Prozent. Das ist das, was in Europa nach den Maastricht-Kriterien an Schulden erlaubt sind, 50 bis 60 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts. Der Rest der Schulden, den ein Staat hat, muss er selber sich auf dem Markt besorgen, ohne europäische Absicherung. Das führt dazu, dass Länder, die sehr stark überschuldet sind, wie Griechenland, natürlich trotzdem noch am Ende höhere Zinsen zahlen müssen, als das Deutschland tut, aber einen Teil der Zinsen können sie dann eben sparen und erstens ihre Schulden abbauen und zweitens auch wieder in Wachstum investieren. Die Ersten warnen uns doch schon, der Internationale Währungsfonds warnt uns davor, dass eine reine Sparpolitik in Europa die Konjunktur erwirkt und mehr Arbeitslosigkeit produziert.

    Müller: Ja, aber ein Rettungsschirm von 750 Milliarden Euro, das ist ja keine Sparpolitik. Sie haben aber eben auch schon darauf hingewiesen, es hat immer wieder Beschlüsse gegeben vonseiten der Europäischen Union, es hat diesen Rettungsschirm gegeben, der ist ausgeweitet worden, der hat auch keine Sicherheit gebracht. Warum bringen Eurobonds Sicherheit?

    Gabriel: Weil dahinter die gesammelte volkswirtschaftliche Kraft Europas steht, und es gibt ja gar keinen Zweifel, dass die Wirtschaft in Europa, beispielsweise in Deutschland, auch in anderen Ländern, weit besser funktioniert, als an den Aktienmärkten oder an den Finanzmärkten sichtbar wird. Und ich glaube, dass eben damit zwei Dinge verbunden werden müssen, Eurobonds alleine helfen natürlich nicht: Erstens, in der Tat müssen wir den Geburtsfehler der Währungsunion beheben, und der heißt, es fehlt an einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und in dem Zusammenhang müssen die Staaten, die von einem Eurobond profitieren wollen, natürlich auch einen Teil ihrer eigenen Souveränität für ihre Haushaltspolitik abgeben. Man kann nicht andere Staaten, Europa haften lassen, ohne dass Europa auch Einfluss hat, ob in diesen Staaten eine solide Haushaltspolitik gemacht wird.

    Müller: Herr Gabriel, ist das – Entschuldigung, wenn ich Sie hier unterbreche – Herr Gabriel, ist das den Deutschen denn zuzumuten, dass demnächst Italiener, Spanier und Portugiesen mitmachen, mitreden …

    Gabriel: Warum soll es denn für Deutschland gelten?

    Müller: … mitreden bei der Finanzpolitik?

    Gabriel: Warum soll es denn für Deutschland gelten? Deutschland braucht seine Schulden nicht über Europa absichern zu lassen, das ist doch ein abenteuerliches Argument. Wir reden über Staaten, die hoch überschuldet sind, nicht über die Bundesrepublik Deutschland. Das heißt, ein Land wie Griechenland, ein Land wie Portugal, Spanien, Irland müssten dafür, dass andere Europäer für sie eintreten, jedenfalls haften, bürgen, natürlich auch das sozusagen hinnehmen, dass die Europäische Kommission, dass eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik in ihre Haushaltsdisziplin eingreift. Das ist sozusagen der Gegenzug zur Solidarität der anderen Staaten, mit Deutschland hat das gar nichts zu tun. Im Gegenteil, wir profitieren doch davon, wenn es diesen Ländern wieder besser geht, denn wir verkaufen 60 Prozent unserer Produkte in die EU. Nur wenn es diesen Ländern gelingt, wieder auf einen Wachstumskurs zu kommen, sinkt doch auch bei uns die Arbeitslosigkeit. Zurzeit beginnt sie wieder etwas zu steigen.

    Müller: Herr Gabriel, das war aber nicht meine Frage. Meine Frage war, wenn wir sagen, wir brauchen eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, würde das bedeuten, auf der europäischen Ebene reden demnächst italienische, portugiesische, spanische Finanz- und Haushaltsminister eben dementsprechend mit, die deutsche Finanzpolitik ist einigermaßen solide und muss sich dann in irgendeiner Form einem Kompromiss beugen.

    Gabriel: Noch mal: Sie braucht sich überhaupt nicht beugen, wenn es um unsere eigenen Haushalte geht, weil wir kein Problem haben mit der öffentlichen Verschuldung. Da geht es um die Länder, die Eurobonds brauchen, weil ihre Verschuldung zu hoch ist. Und natürlich müssen auch Staaten wie Deutschland dazu bereit sein, bei einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa mitzuwirken. Ich mach mal ein Beispiel: Jetzt sind in Europa aktuell 20 Prozent der Jugendlichen arbeitslos, das sind fünf Millionen Menschen. In Spanien sind es 45 Prozent, in Griechenland fast 40 Prozent, selbst in Frankreich über 20 Prozent. Es ist doch auch im deutschen Interesse, jetzt sofort ein Sofortprogramm in der EU gegen Jugendarbeitslosigkeit aufzulegen, denn Europa sollte mal ein Projekt des jungen Europas sein. Wir haben davon profitiert, meine Generation und die, die ein bisschen jünger sind, und jetzt erlebt Europas Jugend Europa als etwas, was ihnen keine Perspektive, nicht einmal Ausbildungsplätze liefert. Es muss doch möglich sein, in einer der reichsten Regionen der Welt ein Programm, ein Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit aufzulegen. Das ist konkret eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, warum sollte Deutschland dabei nicht mitmachen wollen?

    Müller: Blicken wir noch einmal, Sigmar Gabriel, auf die Eurobonds. Wenn diese Eurobonds kommen, wenn sie eingeführt werden, steigen in Deutschland die Zinsen. Wollen Sie das?

    Gabriel: Also erstens ist das hoch umstritten, ob das tatsächlich stattfindet. Bei der ersten Einführung von europäischen Anleihen in Irland ist der Zinssatz insgesamt in Irland auf deutsches Niveau runtergegangen, aber nicht wir auf das Niveau von Irland. Zweitens, wir werden doch am Ende ohnehin als Deutsche einen Teil bezahlen müssen. Wir tun immer so, als gäbe es eine Lösung, bei der Deutschland keinen Beitrag leisten muss, das ist ja Unsinn. Wir müssen unseren Bürgerinnen und Bürgern sagen, ja, die bittere Wahrheit ist, dass dort Länder wie Griechenland und Spanien und Portugal unsolide gearbeitet haben, und es freut uns keineswegs, dass wir daran mithelfen müssen, aber wenn wir es nicht tun, wird die Krise irgendwann uns auch erreichen, weil wir in Europa voneinander abhängen. Und die Frage ist doch nur, auf welchem Weg arbeiten wir mit. Dass wir am Ende finanzielle Beiträge leisten müssen, ist doch völlig außer Frage, aber offensichtlich sind die Beiträge, die wir bislang gebracht haben, in den Wind geschrieben, denn die Märkte haben darauf nicht reagiert. Und es gibt ja Gott sei Dank die Ersten auch in der Union, die ersten Wirtschaftsverbände, die sagen, lasst uns ein robustes Signal europäischer Anleihen für einen Teil der Schulden dieser Staaten machen, damit wir die Märkte endlich in den Griff bekommen. Allerdings muss dazukommen, dass der nächste Schritt auch eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte … von 27 Staats- und Regierungschefs sind 24 konservativ, und sie haben sich geweigert, Finanzregulierungen für die Märkte zu schaffen. Jetzt versuchen sie hektisch hinterherzukommen, nichts ist getan worden seit der letzten Finanzkrise, und das ist schon ein ziemlich skandalöser Vorgang.

    Müller: Sigmar Gabriel, SPD-Chef, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Wir müssen ein bisschen früher aufhören. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Gabriel: Bitte sehr!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.