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Gabriel: Kreditgeschäft und Investmentbanking trennen

Wer spekulieren wolle, solle das das tun, sagt der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel. Doch es müsse verhindert werden, dass es immer gleich die Geschäftsbanken erwische, wenn etwas schief gehe, und diese dann der mittelständischen Wirtschaft keine Kredite mehr zur Verfügung stellen könnten.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 17.10.2011
    Tobias Armbrüster: In der Euro-Schuldenkrise steht uns eine entscheidende Woche bevor. Am kommenden Sonntag wollen die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfel in Brüssel eine Lösung für die Haushaltskrise vorlegen und sie wollen auch erklären, wie sie europäischen Banken zur Not unter die Arme greifen wollen, ob die Banken das nun wollen oder nicht - all das vor dem Hintergrund weltweiter Proteste.
    Am Telefon ist jetzt Sigmar Gabriel, der Vorsitzende der SPD. Schönen guten Morgen, Herr Gabriel.

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen!

    Armbrüster: Herr Gabriel, haben Sie am Wochenende mitdemonstriert?

    Gabriel: Nein. Ich war zwar in Frankfurt, allerdings auf der Buchmesse und habe ein kapitalismuskritisches Buch von Ulrich Wickert vorgestellt, das, glaube ich, in die gleiche Richtung wie die Demonstranten geht.

    Armbrüster: Können Sie die Demonstranten denn ermutigen?

    Gabriel: Ja. Ich kann sie vor allen Dingen verstehen. Ich meine, wenn man sich überlegt, was da los ist und wie wenig seit der Finanzkrise 2008/2009 zur Regulierung dieses Finanzmarktes von der Politik international getan wurde, dann wird man ja selber wütend. Ich kann gut verstehen, dass die Leute auf die Straße gehen. Ich glaube, wir erleben Gott sei Dank auch so was wie ein Epochenende. Die Epoche des Marktliberalismus und des Marktradikalismus ist vorbei und die Menschen beginnen, wieder über Gemeinwohl und darüber nachzudenken, was man dafür eigentlich machen muss.

    Armbrüster: Wenn sich da nun bei den Bürgern so viel Wut aufstaut, könnten diese Proteste dann auch gefährlich werden?

    Gabriel: Das hoffe ich natürlich nicht. Aber ich meine, man kann ja nicht gleich, wenn Menschen friedlich demonstrieren, als erstes mal darüber nachdenken, ob es auch unfriedlich werden kann, sondern sich erst mal darüber freuen, dass Menschen sich demokratisch engagieren. Denn wenn die Politik sich inzwischen überlegt, ob sie immer am Wochenende tagt, zwischen Schluss der europäischen Börsen und vor Beginn der Tokioter Börse, um ja nichts falsch zu machen, dann merkt man doch, dass die Politik nicht mehr das Heft des Handelns ausschließlich in der Hand hat, und das muss sich wieder ändern, sonst gehen uns die Demokratien vor die Hunde.

    Armbrüster: Dann lassen Sie uns mal auf das kommende Wochenende blicken. Am Sonntag wollen sich die EU-Staats- und -Regierungschefs treffen zum EU-Gipfel in Brüssel. Werden wir dabei einen deutlichen Schnitt bei den griechischen Staatsanleihen erleben?

    Gabriel: Das sagen wir Sozialdemokraten ja seit eineinhalb Jahren, und was das Entsetzliche ist, dass Herr Schäuble und Frau Merkel und viele andere das eineinhalb Jahre abgelehnt haben und in dieser Zeit die Lage viel, viel krisenhafter geworden ist.

    Armbrüster: Wie viel Prozent sollen es denn jetzt sein?

    Gabriel: Das was die deutschen Wirtschaftsweisen seit langer Zeit fordern, nämlich mindestens 50 Prozent. Das sagen ja alle Ökonomen lange, die konservativen Regierungschefs haben das ignoriert, und das Problem ist, dass inzwischen die Finanzmärkte so instabil geworden sind, dass jetzt die Ansteckungsgefahr für Italien gekommen ist. Das gab es vor eineinhalb Jahren nicht, jetzt wird alles viel teurer.

    Armbrüster: Haben Sie das Gefühl, da ist die Regierung jetzt auf Ihrer Seite?

    Gabriel: Ja, endlich, genauso wie bei der Besteuerung der Finanzmärkte. Nur man sieht ja, dass sofort die FDP wieder abspringt und bei der Besteuerung zum Beispiel nicht mitmacht, die Regulierung behindert. Das ist das Problem dieser Regierung, dass sie nicht eine klare Linie vollziehen kann, und das nun seit anderthalb Jahren.

    Armbrüster: Wir wollen noch kurz bei den Finanzgeschäften bleiben. Sie haben gesagt, Sie wollen das Bankgeschäft wieder trennen in Geschäftsbanken und Investmentbanken. Wie genau soll das funktionieren?

    Gabriel: Das hatten wir ja und das hatten die Vereinigten Staaten zum Beispiel bis Anfang der 90er-Jahre. Und der Gedanke, der dahinter liegt, ist natürlich, dass man sagt, wer immer da spekulieren will, soll das tun, aber wir müssen verhindern, dass, wenn das schiefgeht, das immer gleich die Geschäftsbanken erwischt und dann die Gefahr so groß wird, dass die Sparkonten daran glauben müssen, oder solche Banken kein Geld mehr haben, um der mittelständischen Wirtschaft Kredite zur Verfügung zu stellen. Deswegen finde ich, an jede Tür einer Investmentbank gehört eigentlich ein großes Schild mit der Aufschrift: "Hier endet die Staatshaftung." Und die einzige Möglichkeit dafür, das robust zu tun, ist die Trennung zwischen dem normalen Kreditgeschäft und dem Investmentbanking. Das schlägt die OECD vor, das hat die entsprechende Kommission in Großbritannien vorgeschlagen, das ist die Debatte in den Vereinigten Staaten, nur in Europa setzt sich die Bankenlobby offensichtlich weiter durch.

    Armbrüster: Wollen Sie dann Banken zur Not auch von oben zerschlagen?

    Gabriel: Es geht nicht ums Zerschlagen. Es geht darum, dass man die Geschäftsbereiche voneinander trennt. Das kann man zum Beispiel auch dadurch tun, dass man das Investmentbanking auf einen bestimmten Prozentsatz des Eigenkapitals von Banken reduziert. Man muss ja nicht immer gleich mit solchen Begriffen wie Zerschlagung kommen. Zurzeit zerschlagen die Banken, wenn es schiefgeht, die gesamte Wirtschaft und die Steuerzahler sollen dafür bezahlen. Und ich finde, wir müssen jetzt mal entscheiden: Was ist eigentlich wirklich systemrelevant, unsere Gesellschaft und die Demokratie, oder das Aufrechterhalten eines solchen Bankensystems?

    Armbrüster: Na ja, aber wenn Sie da eine neue Regulierung aufstellen wollen, dann ist das ja de facto Zerschlagung.

    Gabriel: Das ist erst mal die Regulierung, die weltweit debattiert wird, und seit 2009 ist ja nichts mehr passiert. Und es geht darum, ich wiederhole es noch mal, dass wir im ersten Schritt sagen, wir begrenzen das Spekulieren in den Investmentmärkten auf einen bestimmten Prozentsatz des Eigenkapitals von Banken, damit, wenn das schiefgeht, nicht gleich die ganze Bank umfällt, die Sparkonten daran glauben müssen und die Bank nicht mehr in der Lage ist, der Realwirtschaft zu dienen. Dazu ist sie aber eigentlich da!

    Armbrüster: Florian Toncar von der FDP hat schon darauf hingewiesen, dass Sie es sich da vielleicht ein bisschen zu einfach machen. Er weist darauf hin, dass auch Lehman Brothers eine reine Investmentbank war und trotzdem 2008 eine weltweite Bankenkrise ausgelöst hat.

    Gabriel: Na ja, es sind natürlich auch viele Banken dort beteiligt gewesen. Darum geht es. Es geht nicht um das Institut selber, sondern darum, welche anderen Banken an diesem Institut beteiligt sind, und genau das muss man ja unterbinden. Es geht auch um den Investmenthandel zwischen den Banken und die Finanzierungen dort. Auch die muss man begrenzen oder möglichst völlig voneinander trennen. Und ich meine, es ist schon putzig, dass jemand aus der FDP sagt, wir machten uns etwas leicht. Ich meine, das ist die Debatte, die es weltweit gibt, und die einzigen, die ständig versuchen, das zu verhindern, sind sozusagen die, die offensichtlich vom Lobbyismus der Banken immer noch nicht sich befreit haben. Ich meine, wir haben doch erlebt, was es heißt, wenn die Märkte keine Spielregeln bekommen, und dieses Zeitalter der Anbetung der freien Märkte, ich glaube, das muss vorbei sein. Und worum es jetzt geht ist, dass wir den Kapitalismus zum zweiten Mal bändigen, und zwar nach Möglichkeit international.

    Armbrüster: Herr Gabriel, Wolfgang Schäuble hat gesagt, er will die Banken zur Not auch zwangsweise mit Kapital ausstatten, damit sie durch diese Krise kommen. Kann er da wieder mit der Unterstützung der SPD rechnen?

    Gabriel: Der erste Schritt wäre mal, dass wir dafür sorgen, dass die Banken sich selber versuchen zu rekapitalisieren. Aber Sie haben recht, natürlich: Wenn wir wieder in die Nähe der Rezession und in eine weltweite Krise rutschen, werden wir nicht anders können, als die Banken in der Tat mit mehr Eigenkapital auszustatten. Aber das darf der Staat nicht bedingungslos tun. Er muss dann nicht nur Anteile erwerben, sondern er muss dafür sorgen, dass diese Regulierungsschritte jetzt kommen. Dagegen wehren sich die Banken und die Finanzsektoren ja und ich finde, wir dürfen nicht zum zweiten Mal bedingungslos Steuergelder zur Verfügung stellen, sondern wir müssen dafür sorgen, dass es danach nicht schon wieder "nach der Krise, vor der Krise" heißt.

    Armbrüster: Woher soll das Geld denn kommen, aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF?

    Gabriel: Das ist ja das sozusagen größte Problem, vor dem wir stehen, dass das Zuwarten von Schäuble und Merkel und anderen jetzt so weit geführt hat, dass Staaten wie Spanien, Portugal und auch Italien ebenfalls in die Krise reingezogen werden und der Rettungsschirm dann nicht ausreicht. Das ist sozusagen das ungelöste Problem und ich halte es für außerordentlich schwierig, jetzt mit Vorschlägen zu kommen, dieses sogenannte Hebeln zu nutzen, das heißt eine Vervielfachung des zur Verfügung gestellten Geldes durch Instrumente herbeizuführen, wie sie die Finanzmärkte genutzt haben und wie sie uns in die Krise gebracht haben. Genau das diskutiert Herr Schäuble gerade. Und vermutlich wird am Ende die Europäische Zentralbank die Institution sein, die gegen Recht und Gesetz, gegen das, wofür sie eigentlich da ist, Staatsanleihen unbegrenzt aufkaufen wird. Das ist eine ganz schlechte Lösung, aber wir haben leider durch das Zuwarten von Merkel und anderen nicht mehr die Wahl zwischen einer guten und einer schlechten Lösung, sondern nur noch zwischen schlechten und ganz schlechten.

    Armbrüster: Herr Gabriel, noch ganz kurz. Ein weiteres Thema würde ich noch mit Ihnen ansprechen, das heute in Berlin eine Rolle spielt. In Berlin treffen sich heute Vertreter von 30 DAX-Unternehmen, um über eine Frauenquote in ihren Unternehmen zu sprechen. Braucht Deutschland eine solche feste Frauenquote in DAX-Vorständen?

    Gabriel: Ja ganz sicher, weil sich dann auch die Unternehmen verändern werden. Aber ich finde es eine ziemlich ungleichgewichtige Debatte, auf der einen Seite über Frauen in den Vorständen zu reden und auf der anderen Seite sich dagegen zu wehren, dass in Deutschland endlich gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen gezahlt wird, das Frau von der Leyen und Frau Schröder verhindert haben. Dass es Initiativen zur Begrenzung von Leih- und Zeitarbeit und zur besseren Bezahlung von Frauen gibt, das, finde ich, macht deutlich, dass hier sozusagen sich um einen kleinen Teil gekümmert wird, das Thema Frauen in Aufsichtsräte, aber das nützt natürlich den vielen Frauen, die gar nicht erst so oben ankommen, sondern in ganz normalen Beschäftigungsverhältnissen sind und in Deutschland fast 25 Prozent schlechter bezahlt werden als Männer, denen nützt das gar nichts. Und deswegen finde ich die Initiative auch ziemlich unehrlich.

    Armbrüster: Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel war das, live hier heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Gabriel.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.