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Vor 50 Jahren gestorben
Der Schriftsteller Upton Sinclair

Der US-amerikanische Schriftsteller Upton Sinclair geriet nach seinem Tod 1968 schnell in Vergessenheit. Nur sein Roman "Dschungel" über die Fleischindustrie blieb in der Literaturgeschichte ein Begriff. Nun kehren seine scharfen Kapitalismusanalysen langsam auf die literarische Bühne zurück.

Von Maike Albath | 25.11.2018
    Die Zeichnung zeigt eine große Gruppe von Arbeitern, die vor einem Schlachthaus stehen
    Kristina Gehrmanns Comic-Adaption von Upton Sinclairs Roman "Der Dschungel" zeigt eindrücklich die Schattenseiten des American Dream (Kristina Gehrmann, Carlsen Verlag / Hamburg 2018)
    "Es war ein drückender Julitag, und der Raum schwamm in warmem, dampfendem Blut - man watete regelrecht darin. Der Gestank war fast nicht zu ertragen, aber Jurgis machte es nichts aus."
    Endlich hat der litauische Einwanderer Jurgis Rudkus Arbeit gefunden. Er versteht kein Wort, doch die nötigen Handgriffe für die Schlachtbank hat er schnell gelernt. Wie gnadenlos es in der Chicagoer Fleischfabrik zugeht, bemerkt er erst nach einiger Zeit.
    "Wer sich beim Karrenschieben im Pökelkeller auch nur den Finger schrammte, konnte sich schon ein Geschwür zuziehen, das ihn das Leben kostete; Unter den Schlächtern und Anstechern, den Schabern und Ausschälern gab es kaum einen, der noch seinen Daumen gebrauchen konnte. Immer und immer wieder war die Daumenbasis zerschnitten worden, bis sie bloß noch ein Klumpen Fleisch war, gegen den die Männer das Messer pressten, um es halten zu können."
    Verdeckte Recherche in Fabriken
    "Dschungel" nannte Upton Sinclair seinen Roman von 1906, denn die Verhältnisse im frühkapitalistischen Amerika ähnelten einer unbeherrschbaren Wildnis. Im Auftrag einer sozialistischen Zeitschrift hatte er verdeckt in Fabriken recherchiert und Bestechung, Betrug, Ausbeutung und Gewalt erlebt. Trotz seiner eher konventionellen Erzählweise landete Sinclair mit "Dschungel" einen sensationellen Erfolg. Von nun an gehörte er zu den gefürchteten "muckrackern", zu denjenigen, die im Dreck wühlten und Missstände aufdeckten. Seine Enthüllungen führten zu neuen Gesetzen und schärferen Lebensmittelkontrollen. Der überzeugte Sozialist, 1878 in Baltimore geboren, wollte aber viel mehr.
    "Ich zielte auf das Herz Amerikas und traf seinen Magen."
    Faktengesättigte Gesellschaftsromane über Industrie und Medien
    Weitreichende Reformen, eine politische Bewegung, ein ganz anderes Amerika - das schwebte Upton Sinclair vor. Aus seiner Kindheit war ihm Armut ebenso vertraut wie Reichtum, denn während seine Eltern kaum über die Runden kamen, pflegten seine vermögenden Großeltern einen feudalen Lebensstil. Schon als 15-Jähriger hielt sich Sinclair mit Abenteuergeschichten und Beiträgen für Groschenhefte über Wasser, die er im Eiltempo niederschrieb. Sogar sein Studium an der New Yorker Columbia konnte er auf diese Weise finanzieren. Sein literarisches Debüt "König Midas" erschien 1901, aber erst "Dschungel" brachte ihm den Durchbruch. Sinclair bediente einen dokumentarischen Realismus und veröffentlichte in rascher Folge faktengesättigte Gesellschaftsromane über den Steinkohleabbau, die Ölindustrie und den Zeitungsmarkt.
    Sinclair kandidierte für die Demokraten
    Unterdessen war Upton Sinclair zum zweiten Mal verheiratet und einer der führenden Köpfe der linken Protestbewegung geworden. Seine Kandidaturen als Sozialist für das Repräsentantenhaus und den Senat blieben erfolglos, bis er schließlich 1934 als Gouverneurskandidat der Demokraten mit einem Programm zur Beendigung der Armut in Kalifornien zur Wahl antrat und einen Achtungserfolg errang, aber unterlag. Rückblickend erklärte er 1951:
    "Amerikaner würden Sozialismus akzeptieren, aber nicht unter diesem Label. Ich habe das bei meinem Programm gegen die Armut erfahren müssen. Als Vertreter der Sozialisten bekam ich 60.000 Stimmen. Aber als ich dann mit meinem Slogan ‚Beendet die Armut in Kalifornien‘ warb, bekam ich 879.000. Ich denke, es ist unseren Feinden gelungen, enorme Lügen über uns zu verbreiten. Es hat keinen Sinn, sie direkt anzugreifen, man muss von der Seite kommen."
    Meistgelesener amerikanischer Autor in Deutschland
    Aber Sinclair konzentrierte sich schon bald wieder auf die Literatur. Seine Produktivität war schwindelerregend, seine Wirkung vor allem in Europa enorm. In Deutschland war er der meistgelesene amerikanische Schriftsteller; bis 1932 erreichte seine Gesamtauflage 700.000 Exemplare. Knapp hundert Romane legte Sinclair insgesamt vor, manche allzu propagandistisch, andere von erzählerischer Leidenschaft und Brisanz. Am 25. November 1968 starb Upton Sinclair mit 90 Jahren. Seine Schilderungen gesellschaftlicher Verrohung durch einen ungebremsten Kapitalismus haben nichts an Aktualität eingebüßt.