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Islam und Emanzipation - Teil 1
"Angst, den Islam schlecht dastehen zu lassen"

Islam und Frauenrechte seien kein Widerspruch, sagte die Publizistin Sineb El Masrar im Deutschlandfunk. Es gebe aber zu wenige Muslime, die öffentlich für ein anderes Frauen- und Männerbild stritten. Die muslimischen Verbände in Deutschland kritisierte sie scharf.

Sineb El Masrar im Gespräch mit Christiane Florin | 29.03.2016
    Sineb El Masrar , aufgenommen am 08.10.2010 auf der 62. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
    Autorin Sineb El Masrar: Sie wünscht sich mehr Eigeninitiative von Frauen in islamischen Gemeinden (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Christiane Florin: Sie werfen den muslimischen Verbänden und ihrem Führungspersonal in Deutschland Unfähigkeit vor. Warum?
    Sineb El Masrar: Aus vielerlei Gründen. Sie vermitteln das reiche islamische Erbe den Gläubigen nicht, allen voran nicht den Frauen und den Mädchen nicht im klassischen Islamunterricht und an den Koranschulen. Es gibt Jugendorganisationen, in denen ein sehr einseitiges Islamverständnis verbreitet wird, das durchaus auch islamistische Bezüge hat. Ich meine eher den Reformsalafismus, die Muslimbruderschaftsideologie.
    Wir hatten kürzlich den Fall einer jungen Deutsch-Marokkanerin aus Hannover, die einen Polizisten niedergestochen hat. Diese junge Frau hatte sehr oft und lange mit Pierre Vogel zu tun. Vor allem der Zentralrat der Muslime hat genau solchen Predigern wie Pierre Vogel auf "Waymo.de" eine Plattform gegeben. Das ist problematisch und das muss man thematisieren. Und genau diese Gruppierung muss sich dazu äußern, warum das pädagogisch wertvoll war und ist.
    Florin: Schauen die Medien zu unkritisch auf das muslimische Führungspersonal?
    El Masrar: Ja, eindeutig. Da fehlen durchaus kritische Fragen. Ich verstehe, dass die Medien Ansprechpartner brauchen. Aber wenn man auf diese Akteure zurückgreift, dann müssen kritische Fragen gestellt werden, weil die Medien Rezipienten haben, die auch Muslime sind. Und auch diese muslimischen Bürger müssen wissen, mit wem sie es zu tun haben.
    Frauen noch immer unterrepräsentiert
    Florin: Es fällt auf, dass in den Verbänden und an den Lehrstühlen für Islamische Theologie Frauen gelinde gesagt unterrepräsentiert sind. Wie kommt das?
    El Masrar: Es fehlt ein bisschen die Eigeninitiative. Viele junge Frauen trauen sich noch nicht, weil es diese lange Tradition gibt, dass Männer die Deutungshoheit in Fragen des Islam innehaben. Es gibt keine Moschee in Deutschland, die von einer Frau geführt wird. Wir haben eine Imamin wie Rabya Müller, sie ist im Liberal-Islamischen Bund, organisiert, eine junge Gemeinschaft. Selbst die haben keine Moscheegemeinde, sondern organisieren sich in Kirchen oder suchen sich Gebetsräume.
    Die islamische Theologie in Deutschland braucht Zeit, sich zu etablieren, einen Weg zu finden und zu forschen. Forschung ist etwas, was Jahrzehnte in Anspruch nimmt. Frauen müssen sich ausbilden, weiterbilden, sie müssen den Anspruch erheben, gleichberechtigt teilzunehmen an dieser Forschung. Das wird in nächster Zeit auch passieren. Es wird spannend zu beobachten, wer diese Frauen sein werden, in welchen Gemeinden sie sozialisiert sind, welche Ansprüche, welche Ideen sie mit einbringen und von welchen Denkern und Denkerinnen sie beeinflusst sein werden.
    Florin: Sie haben vorhin die Medien kritisiert. Wie ist es mit der muslimischen Community selbst? Da sind Sie doch in einer Minderheit, wenn Sie sagen, Sie fühlten sich nicht repräsentiert von den Männern. Der Druck vonseiten der Muslime ist – zumindest in meiner Wahrnehmung – eher gering.
    El Masrar: Ja, sehr zaghaft, weil es noch sehr stark die Angst gibt, dass man den Islam schlecht dastehen lässt. Ich hatte vor kurzem in Berlin eine Lesung, bei der ein junger Mann muslimischen Glaubens meinte, ob ich nicht Angst hätte, dass meine Position – also dass ich nicht nur die Mehrheitsgesellschaft kritisiere, sondern auch in die muslimische Community hinein – als Steilvorlage von rechten Gruppierungen genutzt werden könnte. Genau diese Angst lähmt viele junge Muslime, aber auch ältere Muslime, die ja genauso wenig mit diesem Islamverständnis etwas anfangen können.
    Sie haben das nicht so von ihren Eltern vermittelt bekommen und haben das auch nicht ihren Kindern vermittelt. Und plötzlich sind sie mit diesen, wie ich es nenne, salafistischen Narrativen konfrontiert, wo sich junge Menschen genau dieser Lesart zuwenden, weil sie Orientierung und Identität suchen. Auf der anderen Seite ist diese Angst, dass der Islam noch schlechter dasteht, als er ohnehin schon in den Medien da steht. Das lähmt sehr viele.
    Religiös fundierte Ausbildung findet nur selten statt
    Florin: Ihre Eltern stammen aus Marokko. "Mir war es immer erlaubt, religiöse Fragen zu stellen", schreiben Sie in Ihrem Buch. Warum ist das besonders erwähnenswert? Sind religiöse Fragen – kritische Fragen sind ja sicherlich gemeint - ansonsten nicht erlaubt?
    El Masrar: Es wird schon sehr stark vermittelt – ich habe das in meinem ersten Buch "Muslimgirls" ja auch thematisiert -, in der ersten Generation der sogenannten Gastarbeiter waren wir sehr oft damit konfrontiert, dass es heißt: Das ist haram, das ist halal. Aber keiner hat verstanden, warum das so ist. Immer, wenn man die Eltern gefragt hat, dann konnten die wenig Erklärungen mitgeben, weil sie selbst kaum religiös fundiert ausgebildet worden sind. Die Eltern waren selten in der Schule, sie hatten eine Schulbildung bis zur fünften Klasse. Die jungen Väter hatten vielleicht den Koran auswendig gelernt in einem Land wie der Türkei, wo Arabisch nicht die Hauptsprache ist. Das heißt, sie verstehen ihre Religion nicht. Und das vermitteln sie ihren Kindern in Form von Verboten.
    Wenn sie überfordert sind mit den Fragen ihrer Kinder, dann ist das Fragen innerhalb der Religion nicht erlaubt. Das war nie ein Problem für mich. Mein Vater ist Hafiz, also jemand, der den Koran auswendig kann. Davon gibt es durchaus auch in dieser Einwanderungsgesellschaft Menschen, die das genauso erlebt haben, aber auch sehr, sehr viele, die in Gemeinden aufgewachsen sind in Deutschland, wo das Fragen, das Hinterfragen vermeintlicher Gebote – beispielsweise das Kopftuch abzulegen, was für einige Frauen ein großes Problem darstellt – mit Apostasie gleichgesetzt wird.
    Florin: Nach der Kölner Silvesternacht gab es eine große Diskussion über das Frauenbild im Islam. Bestimmt wurde sie allerdings von Nicht-Muslimen. Wurde unter Muslimen darüber auch diskutiert?
    El Masrar: Ja. Das, was in Köln passiert ist, war für viele marokkanische oder türkischstämmige Muslime nicht verwunderlich. Wir kennen unsere Herkunftsländer. Wir kennen diese jungen Männer aus unserer eigenen Gemeinschaft. Aber wir kennen auch junge Männer, die ihre Schwestern, ihre Mütter, ihre Väter ganz anders behandeln und umgekehrt. Die Angst ist sehr groß davor zu sagen: "Wir müssen uns damit auseinandersetzen, aber wir haben keine Ahnung, wie wir das anstellen sollen. Vielleicht verwässern wir unsere Religion." Das ist die andere Angst, dass die Religion nicht mehr das ist, was man gewohnt ist. Viele glauben, dass ein gewisser Dogmatismus zur Religiosität dazu gehört.
    Die falschen Reformatoren
    Florin: Wer sich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einsetzt, muss sich manchmal die Kritik von Muslimen anhören, verwestlicht zu sein. Worauf stützt sich Ihre These, dass Gleichberechtigung zum Islam gehört? Welche Gelehrten sagen das explizit?
    El Masrar: Das ist ja das Spannende und es ist genau mein Vorwurf, dass dieser Teil nicht vermittelt wird. Es fängt mit der Urgemeinde an. Khadija, die erste Frau des Propheten, deutlich älter, hat um seine Hand angehalten, war seine Angestellte. Was man aber nicht vergessen darf: Sie war eine Frau, die vor allem in einer vorislamischen Zeit geprägt und sozialisiert ist. Die arabische Halbinsel war zu dem Zeitpunkt ein Matriarchat. Aber mit der islamischen Zeit gab es auch andere Frauen, vor allem die Töchter, der Prophet hatte ja vor allem Töchter. Es ist ja ganz spannend, dass viele Väter darauf pochen, Söhne zu haben und sich gerade am Propheten orientieren.
    Dann gibt es beispielsweise die Tochter des Propheten Zainab, die mit einem Polytheisten verheiratet war, es war ihre große Liebe. Sie wollte sich von ihm nicht scheiden lassen. Ibn Rushd, einer der ganz wichtigen islamischen Geistlichen, der vor allem für Europa, für das Abendland eine ganz wichtige Rolle spielt, weil er die griechischen Philosophen übersetzt hat und somit die Aufklärung in Europa möglich gemacht hat. Er hat sich sehr deutlich positioniert, dass eine Frau ein Richteramt, ja ein Kalifat führen kann. Da gibt es noch ganz andere, die einen ganz anderen Zugang haben. Es gibt durchaus Reformatoren im 19. Jahrhundert. Das sind die Dinge, die oft unter den Tisch fallen, weil man sich an den Reformatoren orientiert, die eher die Steilvorlage für den Salafismus und die Muslimbruderschaftsideologie geben.
    Islamische Identität heute
    Florin: Sie kritisieren, dass der Islam heute vor allem dazu benutzt wird, Identität zu stiften statt Spiritualität zu schenken. Was schenkt Ihnen der Islam?
    El Masrar: Das ist eine Mischung aus beiden. Es ist auch eine Identität. Meine Wurzeln liegen in Marokko, das ist ein Land, das muslimisch geprägt ist, mit einer sehr reichen jüdischen Kultur, das darf auch nicht negiert werden. Meine Eltern haben mir mit dem Islam viele Werte mitgegeben. Ich verstehe mich als wertekonservativ: Wie gehe ich mit einem anderen Menschen um? Wie gestalte ich Wohltätigkeit? Wie ist das mit der Hadsch? Wie ist das mit dem Zugang zum Fasten? Versuche ich nur, irgendwelchen Leuten etwas zu beweisen oder versuche ich, mich weiterzuentwickeln?
    Deswegen ist das für mich auch eine wichtige Säule meiner eigenen Persönlichkeit. Sie speist sich aber nicht nur aus der Religion, sondern auch aus vielen Aspekten. Aus dieser reichen Kultur in Marokko, meine Sozialisation in Deutschland, aus dieser reichen Kulturgeschichte, die es sowohl in Europa gibt als auch in dieser sogenannten islamischen Welt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu Eigen.
    Sineb El Masrar: "Emanzipation im Islam - eine Abrechnung mit ihren Feinden"
    Herder Verlag. 320 Seiten, 24,99 Euro.