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Gaddafis Leiche und nackter Protest

6000 Pressefotografen haben ihre Aufnahmen Anfang des Jahres nach Amsterdam zur Stiftung World Press Photo geschickt. Eine Jury hat daraus die Arbeiten von 57 Fotografen ausgewählt und eine Ausstellung entwickelt: die World Press Photo 12. Sie wird auf der ganzen Welt zu sehen sein und macht zurzeit Station in Berlin.

Von Mandy Schielke | 07.06.2012
    Die Fotoschau tourt jetzt durch die ganze Welt und ist ab heute einen Monat lang in Berlin zu sehen, im Willy Brandt Haus in Kreuzberg. Für das beste Pressefoto des vergangenen Jahres ist der spanische Fotograf Samuel Aranda ausgezeichnet worden. Es zeigt eine Jemenitin, die ihren verletzten Sohn im Arm hält. Mandy Schielke hat sich die Fotoausstellung für uns angesehen und mit Besuchern über ihre Eindrücke gesprochen.

    "Das Foto spiegelt einerseits die Realität im Jemen wieder und ist ein zeitgeschichtliches Dokument für die Revolution dort und schockiert uns in Deutschland wegen der voll verschleierten Frau. Auf der anderen Seite ist es sehr weit entfernt aber es trifft jeden total."

    Die Aufnahme entstand am 15. Oktober 2011 in einer Moschee in Sanaa, die während der Kämpfe dort zu einem Feldlazarett umfunktioniert wurde. Eine Momentaufnahme.

    "Was die Jury gemeint hat, was so schön ist an diesem Bild, dass es mal die andere Seite der Revolution zeigt. Nicht Gewalt, nicht Blut, sondern die Liebe, die Menschlichkeit."

    Der Niederländer Erik de Kruif reist im Auftrag von World Press Photo mit der Ausstellung um die ganze Welt. In 100 Städten ist sie im Laufe des Jahres zu sehen.

    "Es ist Journalismus, die großen Sachen, die passiert sind, sind immer dabei und das waren 2011 natürlich der Arabische Frühling und Japan. Tsunami und Erdbeben in Japan. Aber wir haben wie immer auch Naturporträts, Sport, Kultur."

    Und Dokumentationen des stillen Alltagsleben fernab des Schlagzeilenjournalismus. Die Geschichte des 84-jährigen Marcos etwa, der sich in der gemeinsamen Wohnung in Buenos Aires um seine an Alzheimer erkrankte Ehefrau kümmert oder die Aufnahmen der Fotografin Stephanie Sinclair, die mit ihrer Kamera minderjährige Frauen begleitet, die zur Ehe gezwungen werden. Abgetrennte Gliedmaßen, Szenen im mexikanischen Drogenkrieg, die Leiche Gaddafis, Leichen der norwegischen Schüler auf Utoya. Anrührendes und Schreckliches zeigt sich in der Ausstellung so konzentriert, dass einem ganz flau werden kann.

    "Also dieses Jahr haben wir ein kleines Problem und das ist diese Frau, diese ukrainische Frau, die protestiert."

    Erik de Kruif meint das Porträt, das eine junge Ukrainerin mit blankem Busen vor einer Hochhaussiedlung zeigt. Inna Shevchenko ist die Anführerin der Protestgruppe Femen. Ihr Markenzeichen ist ihre Nacktheit. Im Libanon, in Marroko oder Indonesien kann die Ausstellung deshalb in diesem Jahr nicht gezeigt werden. Es gibt sie nur als Komplettpaket. Alles andere wäre Zensur, so Erik de Kruif.

    "Diese Serie von Rèmi Ochlik, die ist in Libyen gemacht worden."

    Aufnahmen aus Tripolis. Ein Rebell hält einem vermeintlichen Gaddafi-Söldner eine Pistole an den Kopf. Ein müder Kämpfer nach der Schlacht. Zehn Tage nachdem der französische Fotograf Rèmi Ochlik erfuhr, dass er mit seinen Aufnahmen aus dem Kriegsgebiet einen Preis im World Press Photo Wettbewerb gewonnen hat, wurde er in Syrien getötet.

    "Es ist auch wichtig, dass die Besucher das realisieren. Ganz viele Fotografen riskieren ihr Leben. Und Rèmi Ochlik ist ein krasses Beispiel, dass ein Fotograf mit 28 Jahren sein Leben verloren hat, um der Welt zu zeigen, was alles passiert."

    Starke Bilder entstehen manchmal aber auch durch einen Zufall. Das beweist eine Aufnahme aus Pjöngjang. Eine graue Wohnsiedlung im Morgengrauen. Alle Fenster sind dunkel. Nur eine Abbildung des Staatsgründers Kim Il Sung ist hell erleuchtet. Der Fotograf hat diese Szene vom Balkon seines Hotels eingefangen. Während einer Zigarettenpause.

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