Donnerstag, 18. April 2024

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Gaechinger Cantorey
Schwäbischer Bachklang im Wandel

Die "Gächinger Kantorei" hat in diesem Jahr einen fundamentalen Wandel erlebt - nicht nur in der Schreibweise: Jetzt wurde er im Rahmen des Musikfestes Stuttgart auch auf dem Konzertpodium vollzogen: Vor 62 Jahren als Chor gegründet, besteht die "Gaechinger Cantorey" nun aus Chor und Orchester - und das klingt ziemlich anders.

Von Rainer Baumgärtner | 06.09.2016
    Blick auf die Register der nachgebauten Silbermann-Orgel der Bachakademie Stuttgart
    Neues Schmuckstück der Bachakademie: eine nachgebaute Silbermann-Orgel (Holger Schneider )
    Er habe ein wichtiges Ziel erreicht, erklärt Hans-Christoph Rademann, der Leiter der Bachakademie Stuttgart und Dirigent der "Gaechinger Cantorey" nüchtern. Ein Traum gehe aber erst dann für ihn in Erfüllung, wenn das Publikum in vermehrter Zahl dem eingeschlagenen Weg folge. Gerade wegen der Hörer hält er den Umbruch hin zur historischen Aufführungspraxis für unerlässlich:
    "Weil das Publikum einen Anspruch darauf hat von einer Bachakademie, Bach so zu hören, wie man es heute möglichst optimal machen kann."
    Welche Vorstellungen ihn dabei umtreiben, hat er interessierten Hörern in mehreren gut besuchten "Klangateliers" vermittelt. Das erste war interdisziplinär angelegt und fand in der Staatsgalerie statt. Rademann stellte dabei eine Analogie her zwischen der sorgsamen Restaurierung alter Gemälde mit den richtigen Farben und seinem Versuch, mit ursprünglichen Klangfarben ein optimales Klangbild barocker Musik zu kreieren. Unterstützt wurde Rademann bei seinem Vortrag von seinem Dramaturgen Henning Bey.
    "Sind wir so ’n bisschen auf die Sachen eingegangen, mit Stimmtönen, Orchestersitzpläne, Instrumentarium, allem, dass die Leute mal sehen, was überhaupt Aufführungspraxis ist… und das tut Not. Also die Leute sind gierig, begeistert, neugierig, sag ich mal so,…und kommen auch in Scharen."
    Handverlesenes Orchester
    Ein Pfund, mit dem die Bachakademie bei ihrer Transformation wuchert, ist das handverlesene und international besetzte Orchester. Für den französischen Traversflötisten Georges Barthel gab es während der Probe sogar Beifall der Kollegen.
    Musik: J.S.Bach, Herr Jesu Christ, du höchstes Gut
    "Das ist ’n riesen Luxus, dass man so ’n Orchester zusammenstellt, das hier nicht auf ’n Stil fixiert ist. Jedes gestandene Originalklangorchester hat seine Methodik entwickelt… Ich lächle dabei, weil ich auch weiß, dass das auch ’ne Gefahr ist, dass man seinen Stil dann nicht mehr hinterfragt. Und…wir haben da niemanden, der da auf irgendwas beharrt: ‚So muss es aber sein‘. Und das ist ’ne ganz riesen große Chance und für mich ist es wie ’ne Befreiung. Also ich muss mich davor hüten, den Musikern irgendwo ihre Intention zu rauben. Ich will alles von denen haben, was die mir anbieten können, und versuch‘ daraus ’was Gutes dann zu kreieren."
    Wie man hört, hat mancher der beteiligten Musiker fest geplante Engagements sausen lassen, weil er unbedingt beim eher kurzfristig realisierten Stuttgarter Bachorchester-Projekt dabei sein wollte.
    Musik: J.S.Bach, Was frag ich nach der Welt
    Klanglich-ideelles Zentrum der Akademie
    Montag Mittag fand beim Musikfest Stuttgart der erste öffentliche Auftritt der neuen "Gaechinger Cantorey" mit ihrem Kernrepertoire — Kantaten von Johann Sebastian Bach — statt. Und im Mittelpunkt standen nicht nur die exzellenten Musiker, sondern ein Instrument, das zukünftig das Rückgrat des Orchesters bilden soll — ihr klanglich-ideelles Zentrum, wie es die Bachakademie formuliert hat. Es handelt sich um den Nachbau einer kleinen Orgel, die vor wenigen Jahren in der Kapelle der Schlosskirche im sächsischen Seerhausen gefunden wurde. Hergestellt hat ihn der Dresdner Kristian Wegscheider und der ist überzeugt, dass wir es bei dem Fund mit einem Instrument aus der Werkstatt des berühmten Gottfried Silbermann zu tun haben.
    "Das ist das Instrument, das wir ewig gesucht haben in der Silbermann-Forschung. Wir wussten, es gibt diese kleinen Instrumente, aber wir wussten nicht, dass noch eins existiert."
    Dies lag vor allem daran, dass sich das Instrument in der Kirche der ehemaligen Freiherren von Fritsch in einem erbärmlichen Zustand befindet. Von den elementaren Teilen waren nur noch je eine Holz- und Metallpfeife sowie eine einzige Taste vorhanden, außerdem Windlade und — zum Glück — die Rasterbretter zum Halten der Pfeifen. Dank dieser war es möglich, die Zahl und Größe der Pfeifen zu ermitteln, die in die ins Jahr 1722 datierte Orgel eingebaut gewesen waren. Sie ist kein gewöhnliches Instrument:
    "Gottfried Silbermann war ein Kirchenorgelbauer; er war nicht so der Mann der kleinen Instrumente. Also wir haben jetzt aus einer großen Kirchenorgel ausgegliedert die drei wichtigsten Register, in einer Truhenform; die Truhe ist auch mächtig gewaltig, wiegt 234 Kilo. Es sind vier ausgewachsene Männer notwendig, um das Ding zu bewegen. So die Truhenorgelbauer, die es heute gibt, belächeln das etwas. Aber irgendwie ist diese massive Kiste dann auch mit diesem massiven Klang, irgendwie passt das auch wieder zusammen."
    Bemerkenswerter Nachbau
    Hans-Christoph Rademann hörte von dem sensationellen Fund und war sofort elektrisiert. Er fand einen Sponsor und beauftragte Kristian Wegscheider, einen Spezialisten für Restaurierungen und für Instrumente des 18.Jahrhunderts, mit einem Nachbau. Bei diesem sind alle Eigenschaften des Originals aufgegriffen, er ist aber aufgrund der heutigen Erfordernisse leicht modifiziert und erweitert.
    "Die Dimensionen sind einfach ein bisschen größer und auch der Klang ist anders."
    …erklärt Michaela Hasselt. Sie durfte die neue Orgel als erste im Konzert bedienen.
    "Also hat, also wenn ich das in meine Musikersprache übersetze, mehr Konsonanten, ist kerniger und direkter."
    Musik: G.F.Händel, Orgelkonzert-Zitat
    Das gehörige Klangvolumen der Orgel beeindruckt sofort und unterscheidet das Instrument von gewöhnlichen Truhenorgeln. Sie liefert die Grundlage für den "mitteldeutschen" Bachklang, den Hans-Christoph Rademann sich wünscht: hell und licht, dabei aber immer kernig.
    Musik: J.S. Bach, Tue Rechnung! Donnerwort
    In der Probe für das Premierenkonzert mit dem Silbermann-Nachbau hieß es für Hans-Christoph Rademann und seine Musiker noch, sich auf die klanglichen Dimensionen der Orgel einzustellen.
    "Ich hab zunächst befürchtet, dass sie doch zu laut ist für das Orchester und dann war es doch gar nicht so. Und es hat unmittelbar in dem Moment, wo wir die ersten Töne gespielt haben, bereits ’ne Wirkung gehabt, dass die Orgel da losspielt und das Orchester dazu… Es ist in gewisser Weise strahlkräftiger, das ist ’n Verstärkungseffekt, das fühlt sich sicherer… Das bestätigt mich absolut darin, dass sie ein Bindeglied ist des Klanges. Und da hab ich so die Vision, wenn die Orgel als Grundlage einer Gesamtklangidee steht und dann die anderen Register dazu treten… alles, was man auf der Orgel als Register ziehen kann, ist bei uns dann instrumental hinzu gefügt. Und so hoffe ich, dass daraus dann dieser bestimmte Klang sich summiert, von dem wir hier geredet haben."