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Galerie auf Buchseiten

Peter Lichts "Wir werden siegen!" versteht sich als poetisches "Journal der Gegenwart". Es beinhaltet Gedichte und Geschichten, tagebuchartige Aufzeichnungen und Traumbilder, Aphorismen und Listen, Zeichnungen und die Songtexte seiner parallel auf CD veröffentlichten "Lieder vom Ende des Kapitalismus". Man kann die Galerie auf Buchseiten von allen Seiten betreten, und manchmal trifft man dabei auf Poesie.

Von Olaf Karnik | 14.07.2006
    Peter Licht: "Ja, ich finde eben, man kann das eben auch mal in Frage stellen und sich mal wirklich Gedanken machen, ob das so ist. Und ich finde, dass für mich spürbar war und ist, dass irgendwas endet. So, der Begriff Ende. Und ich habe das eben auf den Kapitalismus bezogen, und, ja, vielleicht ist es ja ganz anders. Also, man hat ja in der letzten Zeit schon erlebt, dass ich, ja, gerade 1989, es ändert sichein ne Menge, und vielleicht ändert sich auch das mal."

    Peter Licht winkt mit einem Slogan, der provoziert. Denn dass es keine Alternative mehr zum Kapitalismus gebe, scheint heute wie ein Naturgesetz festgeschrieben zu sein. Wer nun von Licht aber erhellende ökonomische Analysen, politische Theorien oder gar Klassenkampf-Parolen erwartet, liegt falsch. Sein "Buch vom Ende des Kapitalismus" versteht sich eher als poetisches "Journal der Gegenwart". Es beinhaltet Gedichte und Geschichten, tagebuchartige Aufzeichnungen und Traumbilder, Aphorismen und Listen, Zeichnungen und natürlich auch die Songtexte seiner parallel auf CD veröffentlichten "Lieder vom Ende des Kapitalismus". Eine Sammlung von Fragmenten, die weniger durch das übergeordnete Thema zusammengehalten wird, als durch eine ästhetische Struktur: die Abwechslung verschiedener Textsorten, Bilder und typographischer Elemente. So entsteht fast der Eindruck einer Galerie auf Buchseiten. Man kann sie von allen Seiten betreten, und manchmal trifft man dabei auf Poesie:

    "Wintereinbruch im Sommer

    Es schließt sich
    die offene Pore des Sommers
    sie verengt sich
    durch ein nach innen gerichtetes Ziehen
    Das Ziel ist, die Wärme zu halten
    Die Asphaltwärme unserer Liebe, in deren Luftzug
    unsere Flimmerhärchen flimmern
    Im stillen Licht des Erinnerns bewegen sich Menschen an Orten
    und treffen auf andere. Oder stehn da vor Wänden
    in Wiesen
    sitzen auf Steinen
    Die Bilder, die in mir aufgingen,
    die ich behielt,
    Die Bilder, aus denen wir bestehen.
    Allen ist gleich: irgendeine Form von Liebe"


    Peter Lichts Texte wirken oft wie Nachrichten aus einer eigenen Welt – kryptisch, surreal, romantisch, skurril. Dennoch schwingen sie sich immer wieder zu einem Wir auf – als ginge es dem Autor darum, dass Verhältnis von Kollektiv und Individuum im Herzen und in den Randzonen einer endlos ausdifferenzierten Gesellschaft auszuloten. Es sind immaterielle Dinge, die dabei eine wesentliche Rolle spielen: Wind, Licht, Tag und Nacht, die Jahreszeiten, oder Naturphänomene wie Sterne, Bäume, Seen, Gebirge. Nicht zuletzt Gegenstände, Orte, Räume, deren Befindlichkeiten geprüft werden. Wer nichts hat oder haben will, so könnte man meinen, dem verbleiben nach dem geprobten "Ende des Kapitalismus" nur noch Ansichten, Ambienten und Atmosphären - das nackte Leben als Utopie?

    Licht: "Der wahre Moment, irgendwie. Der sozusagen freigelegt ist von Besitz oder Plots, die Existenz. Ja, finde ich schon. Also, es sind zwar hohe, große Worte oder, aber ich hab so einen Wahrheitsanspruch. Man kann ja alles schreiben und mal so behaupten, und ich habe eben schon versucht zu gucken, wo ist jetzt hier in dem jeweiligen Thema oder mit den Dingen, die ich dann sehe, wo ist hier die Wahrheit? Also das ist für mich am klarsten dann so mit den Nationalitäten - die Belgier und die Amerikaner, und wenn man so überlegt, was kommt so, wenn ich mir die Belgier vorstelle, was kommt da? Und da hab ich eben versucht, dem so nachzuspüren."

    "Die Belgier

    Die Belgier haben gedrechselte Füße aus Holz. Die Füße sind zylinderförmig, etwa so wie von Kommoden oder Schränken. Die Körper der Belgier bestehen zu gewissen Teilen aus Altmöbeln, die aber noch ganz gut in Schuss sind und ganz passabel ausschaun.
    Eigentlich/Genaugenommen kommen die Möbel, aus denen die Belgier bestehen, aus Dänemark.
    Die belgische Bevölkerung ist schon längst vergangen, man sah sie zuletzt bei einem Waldstück. Die Gegend dort war ziemlich flach und die Bäume dünn (und aber grün).
    Einen einzigen Belgier gibt es noch. Er hält sich unter einer Granitplatte versteckt."


    Als selbsterklärter Chronist seiner Zeit weiß Peter Licht um die begrenzte Haltbarkeit seiner Wahrnehmungs- und Nachspürpoesie -ö eine Einsicht, die er für seine Lieder produktiv macht. Bis auf die popsongtypische Wiederholungsstruktur unterscheiden die sich auch gar nicht so sehr von seiner fragmentarischen Literatur, die übrigens von den Münchner Kammerspielen auch als Bühnenversion aufgeführt wird. Ein medienübergreifender Pop-Ansatz wird hier deutlich. Und wo Lichts Lieder und Texte dem Moment verpflichtet sind, treffen sie mal ins Schwarze, schießen übers Ziel hinaus oder verkümmern zur dämlichen Banalität – auch das wäre ein typisches Kennzeichen von Pop. 0’40

    Licht: "Man kann ja gar nicht anders, als dass man von den Dingen beeinflusst wird, die einen einfach umgeben. Und da gehört natürlich Popmusik und Pop Art - das gehört natürlich alles dazu. Aber eigentlich würde ich mich viel eher auf das 19. Jahrhundert beziehen oder noch davor - das Lied und solche Dinge, diese Zeit. Aber da bin ich jetzt auch nicht explizit unterwegs, dass ich sagen würde, ich möchte jetzt die Romantik nachstellen in der heutigen Zeit, überhaupt nicht. Aber das ist mir eigentlich näher, das hat eine größere Wärme für mich als die Vorstellung jetzt von Andy Warhol oder sowas."