Freitag, 19. April 2024

Archiv


Gallionsfigur einer großen Idee

Der Roman "Onkel Toms Hütte" machte die Bewegung für die Befreiung der schwarzen Sklaven populär. Wie groß der Anteil der Autorin, Harriet Beecher Stowe, am Bruch der Nation war, ist strittig. Unstrittig ist, dass der Roman einer der größten Erfolge der Literaturgeschichte war.

Von Beatrix Novy | 14.06.2011
    Stich der amerikanischen Schriftstellerin Harriet Beecher Stowe.
    Stich der amerikanischen Schriftstellerin Harriet Beecher Stowe. (picture alliance / dpa)
    Ist der Mensch ein Geschöpf, dem man absolute Gewalt anvertrauen darf, für die er sich niemandem verantworten muss? Erlaubt es das Sklavengesetz nicht auch, dass Schurken und brutale Menschen genauso viele Sklaven besitzen wie ehrenwerte, gerechte und humane Menschen?

    Wie kommt, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, eine strenggläubige Frau von 40 Jahren, Mutter von sieben Kindern, dazu, die Öffentlichkeit zu suchen und Galionsfigur einer großen Idee zu werden? Vielleicht ist dies die Antwort: Harriet Beecher, geboren am 14. Juni 1811 in Litchfield, Connecticut, von Beruf Lehrerin, war die Tochter eines berühmten calvinistischen Predigers. Und Calvin Stowe, der Mann, den sie heiratete, war wie sie und viele andere im nördlichen Teil der USA Abolitionist – Gegner der Sklaverei, die eine oder zwei Staatsgrenzen weiter, zum Beispiel in Kentucky, Alltag war.

    Zu verkaufen sind: Mehrere wohlgestaltete Mädchen von 10 bis 18 Jahren, ein Weib von 24 und eine sehr brauchbare Frau von 25 Jahren mit drei sehr hübschen Kindern.

    Immer wieder gelang es Sklaven, in den Norden der USA zu flüchten; ihnen zu helfen, war für Leute wie Harriet Beecher Stowe und ihren Mann selbstverständlich. Als 1850 ein dem Süden willfähriges Gesetz diese Christenpflicht für illegal erklärte, war das Maß voll.

    Hattie! Wenn ich so mit der Feder umgehen könnte wie du, dann würde ich etwas schreiben, das der ganzen Nation ins Bewusstsein bringt, was für eine schändliche Angelegenheit die Sklaverei ist,

    schrieb erbost ihre Schwägerin; sie wusste, dass Beecher Stowe seit Jahren kleine Erzählungen veröffentlichte. Das Geld, das sie damit verdiente, konnte die große Familie gut gebrauchen; so dass Harriet, 80 Jahre vor Virginia Woolfe, nebenbei auf eine andere Emanzipation drängen konnte.

    Soll ich mich literarisch betätigen, so brauche ich ein besonderes Zimmer.

    Harriet Beecher Stowe muss ihr Zimmer bekommen haben. 1851 begann sie ihren Roman "Onkel Toms Hütte". Der Titelheld Tom ist ein verheirateter Sklave, der, von seinem freundlichen, aber hoch verschuldeten Herrn verkauft, am Ende unter den Schlägen eines sadistischen Eigentümers stirbt. In einer abenteuerlichen, nach allen Regeln des romantischen Genres erzählten Fluchtgeschichte mit vielen spannungsreich verknüpften Schicksalen entfaltete Beecher Stowe das Motiv einer Willkür und Bigotterie, die Menschen offiziell zur Ware machen und ihnen jederzeit die ansonsten hochgehaltenen Familienbande verweigern darf.

    "Onkel Toms Hütte" war ein Manifest gegen das farbenfrohe Trugbild von der Südstaatenplantage als patriarchalischem Hauswesen, wie es ein Jahrhundert später noch in "Vom Winde verweht" fantasiert wurde.

    Denn über der ganzen Szene brütet ein furchtbarer Schatten – der Schatten der Gesetze.

    Onkel Toms Hütte wurde schlagartig ein internationaler Erfolg. Nicht umsonst galt seine durchschlagende Wirkung lange als entscheidend für die Bereitschaft vieler Nordstaatler, in den amerikanischen Bürgerkrieg zu ziehen. Dabei war die Autorin, anders als ihre Gegner ihr unterstellten, durchaus um Fairness bemüht: Indem sie jede Menge gutherzige Südstaatler erfand und die Profiteure des Sklavenhandels, die Gleichgültigen und die heimlichen Rassisten unter ihren eigenen Landsleuten im Norden nicht vergaß. Irritierend aus heutiger Sicht ist die fromme Vergeistigung des Themas: Onkel Tom wird mehr und mehr zur duldenden imitatio Christi, seine entschlossene Friedfertigkeit hat die schwarze Bürgerrechtsbewegung des 20. Jahrhunderts ein für allemal gegen ihn aufgebracht. "Onkel Tom" ist heute ein Schimpfwort. Das ist verständlich, aber historisch nicht gerecht. Die Autorin hat den unbeugsamen christlichen Versöhnungswillen keineswegs nur ihrem schwarzen Dulder Tom vorbehalten, auch die Quäker, eifrige Fluchthelfer im Roman, teilen ihn.

    Harriet Beecher Stowe starb, nicht verschont von Schicksalsschlägen, aber hochgeehrt und berühmt, 1896 in ihrer Heimat Connecticut.