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Games For Change
Spieleentwickler verbessern die Welt

Spiele, die mehr sind als nur Selbstzweck, darum geht es auf dem Festival Games For Change. Die dort vorgestellten Spiele sollen etwas bewegen - in den Köpfen der Spieler, aber auch in der Gesellschaft. Und dazu wird keine VR-Brille benötigt, manchmal noch nicht einmal ein Computer oder Smartphone.

Von Thomas Reintjes | 02.08.2017
    Junge mit Computerspiel
    Auf dem Festival Games For Change treffen sich Spieleentwickler, Bildungsforscher und Aktivisten (picture alliance / dpa / Foto: Maximilian Schönherr)
    Auf dem Tisch vor mir steht eine große Kiste. Eine Art Schatztruhe. Sieht aus wie ein nettes Requisit, für ein Piratenspiel oder so, aber: die Kiste ist das Spiel. Analoge Spiele zum Anfassen habe ich nicht erwartet, auf einem Games-Festival. Aber "Tracking Ida" ist eines der Top-Spiele hier: Es ist für einen der Preise nominiert. Es geht um die Geschichte der schwarzen Journalistin Ida B. Wells im Memphis der 1890er-Jahre. Entwicklerin Lishan AZ fasst sie so zusammen:
    "After a lynch mob burns down her newspaper office, she preserves some documents in this trunk and sends it to a friend, safeguarded against attackers in locked compartments."
    Weil ein Lynchmob die Redaktion niedergebrannt hat, sichert die Journalistin Dokumente in der verschlossenen Truhe. Lishan spielt das Spiel vor allem mit Schülergruppen. Die müssen dann verschiedene Rätsel lösen, um die Kiste zu öffnen. Dabei entschlüsseln sie Codes für die Zahlenschlösser und lernen gleichzeitig etwas über die Journalistin und Aktivistin. Im ersten Rätsel müssen Überschriften-Paare gefunden werden. Die Zeitung von Ida B. Wells und die weiße Zeitung in Memphis berichteten ganz unterschiedlich über die gleichen Ereignisse.
    "Man denkt: Oh Gott, die Überschriften sind so grundverschieden, wie kann das dieselbe Geschichte sein? Darüber nachzudenken inspiriert Gespräche und man kann nicht einfach zusehen, sondern muss was machen", sagt Lishan AZ.
    Indie-Games und Branchenriesen
    Zusammenarbeiten und Gespräche anstoßen, das sind zwei Motive, die sich bei vielen Spielen hier finden. Auch wenn die allermeisten doch digital sind und auf einem Bildschirm stattfinden. Wenn sie es schaffen, Diskussionen anzuregen, dann können diese Spiele etwas bewegen - bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen. Darauf hofft Leena Kejriwal. Sie hat das Spiel "Missing" entwickelt. Darin geht es um Kinderhandel.
    "Wir versetzen den Spieler in die Lage eines entführten Mädchens", erklärt Kejriwal. "Wenn man das Spiel startet, öffnet sie ihre Augen und sieht, dass sie in diesem dunklen Loch sitzt. Jetzt will sie da raus. Zum ersten Mal versetzen wir Spieler in die Lage eines Opfers.
    Es ist kein unterhaltsames, kein schönes Spiel. Es fühlt sich schwer an und es ist schwierig.
    "Viele Leute haben mir gemailt: Es ist so frustrierend! Wo ist dieser Schlüssel? Wo ist dies? Wo ist das? Aber ich habe trotzdem 4,3 Sterne auf Google Play mit einer halben Million Downloads."
    Besonders in Bangladesch werde das Spiel viel gespielt, aber auch in Indien, wo Leena Kejriwal lebt. Sie hofft, dass ihr "Missing" die Gesellschaft verändern kann. Aber sie setzt sich in ihrer Heimatstadt Kalkutta auch konkret für Hilfsprojekte ein. Die Fortsetzung des Spiels soll nicht mehr kostenlos sein. Mit den Einnahmen aus dem Verkauf soll Kindern geholfen werden, die zur Prostitution gezwungen wurden.
    Auf dem Games For Change Festival sind nicht nur Indie-Games wie "Missing" oder "Tracking Ida" vertreten, auch Branchenriesen wie Microsoft. Der Konzern präsentiert die Education Edition des Aufbau-Spiels "Minecraft". Auf einer Website können sich Lehrer rund 200 Unterrichtspläne für Minecraft herunterladen. Schüler können dann in der virtuellen Welt zusammen spielen und lernen. Aber dient der Lernaspekt vielleicht nur als Ausrede, um spielen zu dürfen? Nein, sagen Wissenschaftler auf dem Festival. Oft würden Spiele sogar besser funktionieren als klassische Lernmethoden.