Donnerstag, 25. April 2024

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Games und Literatur
"Mir fehlt der große Poproman über Computerspielleidenschaft"

In Köln hat gestern die Gamescom begonnen. Viele der dort präsentierten Videospiele lehnen sich in ihrer Erzählweise an Filmen an - auf Literatur beziehen sich nur wenige Spieledesigner. Doch umgekehrt nimmt sich die Literatur auch zu wenig der Computerspielszene an, findet der Gamesjournalist Christian Schiffer.

Christian Schiffer im Gespräch mit Jan Drees | 18.08.2016
    Man sieht eine Ritter-Rüstung aus Metall und dahinter viele Bildschirme.
    Figuren aus Filmen schaffen es immer wieder in Videospiele - bei literarischen Charakteren kommt das seltener vor. (picture-alliance / dpa / Henning Kaiser)
    Jan Drees: Seit gestern hat die Gamescom ihre Pforten geöffnet. Auf der größten Computerspielmesse der Welt werden bis zu 500.000 Besucher erwartet. Computerspiele sind mittlerweile Big Business, aber auch Kulturgut und Kunst und auch Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. Mit der Ludologie hat sich eine Lehre des Spiels herausgebildet, vergleichbar mit den Literaturwissenschaften. Aber wie ist es bestellt um das Erzählen im Computerspiel? Und wie ist das Verhältnis zum gedruckten Buch? Darüber sprechen wir mit Christian Schiffer. Christian Schiffer, gab es auf der Gamescom denn ein Spiel, bei Sie sagen würden: Das setzt erzählerisch neue Maßstäbe?
    Christian Schiffer: Nicht besonders viel, muss man sagen, denn die Gamescom ist einfach eine Leistungsschau der Industrie. Dort werden die Mainstreamtitel ausgestellt, und das ist wie Blockbusterkino. Die interessanten Spiele, die wirklich erzählerisch interessanten Spiele, die findet man dann nicht auf der Gamescom, die findet man tatsächlich eher auf kleinen Festivals, auf kleinen Kunstveranstaltungen, teilweise auch im Internet. Auf der Gamescom, da stehen vor allem dann Panzer rum. Es geht um Egoshooter, es ist martialisch, es geht um Explosionen. Die großen, wirklich epischen Geschichten findet man dort eher am Rande.
    "In Osteuropa traut man sich eher an Bücher auch heran"
    Drees: Und doch gibt es wahrscheinlich das eine oder andere Spiel, das sich anlehnt an Literatur. Es gibt ja inzwischen sogar schon einen eigenen Wikipedia-Eintrag zu Spielen, die auf Büchern basieren.
    Schiffer: Das ist richtig, und zwar in der englischen Wikipedia. Dieser Artikel, also diese Kategorie ist allerdings nicht besonders umfangreich, vor allem, wenn man sie vergleicht mit der Kategorie Computerspiele, die auf Filmen basieren. Ich würde sagen, dass diese Wikipedia-Kategorie, dort werden vielleicht um den Faktor 50 bis 100 mehr Titel angegeben, und da sehen wir schon, dass sich die Computerspiele eben weniger an Literatur orientiert haben in den letzten 40 Jahren als vielmehr am Film. Das war das Medium, dem Computerspiele immer nachgeeifert haben. Mittlerweile kehrt sich das Verhältnis ja etwas um. Man sieht ja in der Filmästhetik, dass sie sich immer mehr an Computerspielen orientiert.
    Aber tatsächlich scheint es so zu sein, dass Bücher als Vorlagen etwas unterrepräsentiert sind, auch wenn jetzt vielleicht diese Wikipedia-Kategorie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder mal tatsächlich große Spiele durchaus gesehen, die auf Büchern basieren. Im letzten Jahr das großartige, international mit Preisen überhäufte "The Witcher" zum Beispiel, das basiert auf der "Witcher"-Serie aus Polen. Das ist so das polnische "Herr der Ringe", sehr, sehr populär, und es wurde ein großartiges Spiel daraus gemacht, und wir müssen auch weitermachen dann in Osteuropa, wenn wir Spiele suchen, die auf Büchern basieren, und vor allem gute Spiele suchen. Da gab es, ich glaube, vor zehn Jahren ungefähr, "Stalker" - das basierte auf "Picknick am Wegesrand", spielte in Tschernobyl in so einer ganz, ganz depressiven Umgebung, so ein bisschen endzeitlich - und dann "Metro". "Metro" ist von einem russischen Autor, ich glaube, es hieß "Metro 2033", das spielt in den U-Bahn-Stationen von Moskau. Auch das ein schönes Endzeitbuch, einfach mal in einer anderen Umgebung, und das auch ein ganz, ganz fantastisches Spiel.
    Also offensichtlich in Osteuropa steht man eben auf düstere Inhalte und traut sich eher an Bücher auch heran, wenn es um Computerspiele geht. In Deutschland ist das eher selten, da ist wichtig, dass Bastei Lübbe, also der große Verlag, ein großes Spielestudio übernommen hat, oder ein mittelgroßes Spielestudio, vor zwei Jahren, Daedalic heißt es. Es ist sehr, sehr renommiert für so Grafikadventures. Und die planen tatsächlich mehrere Buchumsetzungen als Computerspiele und wollen anfangen, mit "Säulen der Erde", also der große Roman von Ken Follett.
    "Mir fehlt das 'High Fidelity' der Computerspielkultur"
    Drees: Der Expressionismus ist überhaupt gar nicht ablösbar von Film und Literatur. Literatur und Film haben dort die ganze Zeit lang miteinander zu tun gehabt, haben sich gegenseitig auch beeinflusst. Das geht beim Film und der Literatur weiter bis hin zu Arno Schmidt. Es gibt aber auch Telefonromane, es gibt Chatromane. Gibt es denn auch daran angelehnt Romane, große Geschichten, die sich an die Erzählweise von Games anlehnen?
    Schiffer: Wenn wir jetzt nicht über Hochkultur reden oder Hochliteratur, kommt man wahrscheinlich nicht umhin, zumindest die Abenteuerromane aus den 80er-Jahren kurz zu erwähnen. Das waren interaktive Bücher, wo man dann Entscheidungen treffen musste, und dann hieß es, "lesen Sie weiter auf Seite 31, wenn Sie das gemacht haben". Das hat man als 14-Jähriger gerne mal sich angeschaut, fand es dann zwei Wochen spannend und hat es dann weggelegt, aber das war sozusagen im ganz klassischen Sinne nicht-lineare Erzählweise in Form, wenn man so möchte, von Literatur. Wenn wir jetzt in die etwas höhere Sparte gehen, da muss man sagen, dass nicht die Erzählweise vielleicht aufgegriffen wird, aber natürlich die Themen, die Computerspiele aufgreifen beziehungsweise Computerspiele selber zum Thema werden.
    Cory Doctorow zum Beispiel hat einen Roman geschrieben, ich glaube, "For the win" hieß es. Da ging es um chinesische Goldfarmer - also es sind Leute, die für Spiele wie "World of Warcraft" Goldfarmer, das heißt ihre Helden rumschicken, nur um Gold zu erwirtschaften, das sie dann in die westliche Welt verkaufen. Und die gründen dann eine Gewerkschaft und wehren sich sozusagen dann gegen diese neue Form der Ausbeutung, die dort passiert. Das ist zum Beispiel ein Spiel, wo ganz klar eben Online-Rollenspiel ein Thema ist. Ein anderes Buch, das auch ein Computerspielgenre im Prinzip thematisiert, das ist Anthony McCarten: "Ganz normale Helden". Da geht es eigentlich um eine Familiengeschichte, die aber dann abgleitet eben in so ein Online-Rollenspiel und dann die Welt dieses Online-Rollenspiels schildert. Also das sind ganz typische Beispiele. Ich glaube, Jan Fischer, ein junger Autor aus Hannover, hat "Herzlust" geschrieben. Auch das thematisiert Computerspiele. (Der Titel heißt "Ihr Pixelherz" - Anm. d. Red.)
    Was mir aber tatsächlich fehlt, und das wundert mich sehr, ist tatsächlich der große, große, große Poproman, der Computerspielleidenschaft thematisiert. Also mir fehlt wirklich das "High Fidelity" der Computerspielkultur oder "Fever Pitch" der Computerspielkultur. Also den großen Poproman, wo man sich als Gamer dann richtig wiederfindet, der sich vielleicht auch ein Stück weit lustig macht über diese Leidenschaft oder es zumindest ironisiert, und so ein Buch, wo man das dann liest und die ganze Zeit das Gefühl hat, ja, genau so ist das, und dann eben sehr gegenwärtig diese Kultur einfängt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.