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Gammastrahlung
Auf der Jagd nach dem Phantom der Astrophysik

Vor 50 Jahren wurden zum ersten Mal sogenannte Gammablitze nachgewiesen. Forscher haben bis heute nicht ganz verstanden, was genau diese energetische Strahlung verursacht. Dieses Rätsel soll jetzt von einem neuen Schweizer Experiment ergründet werden, das im Herbst mit der neuen chinesischen Raumstationen starten soll.

Von Karl Urban | 19.05.2016
    Wojtek Hajdas im Porträt
    Wojtek Hajdas will den Ursprung von Gammablitzen erkunden (Paul Scherrer Institut)
    Wojciech Hajdas jagt ein Phantom der Astrophysik. Es ist für unsere Augen unsichtbar und nur im All überhaupt messbar. Es handelt sich um starke, aber kurze Ausbrüche von Gammastrahlung, die zufällig über den Himmel verteilt sind.
    Die Rede ist von Gammastrahlenausbrüchen, oder Gammablitzen. In einigen Sekunden geben sie so viel Energie ab wie die Sonne in ihrer gesamten Lebenszeit. Damit sind es die stärksten Energieausbrüche des Universums. Obwohl vor fast 50 Jahren entdeckt, ist ihr Ursprung noch immer ungeklärt. Und Wojciech Hajdas will das ändern.
    Im Keller des Paul-Scherrer-Instituts in der Schweiz holt der Physiker eine kleine Box hervor, kaum größer als ein Tintenstrahldrucker.
    1.600 dünne Plastikstäbe ähnlich lang wie ein Küchenmesser stecken in der Box. Mit ihnen wollen die Forscher die Gammablitze genauer untersuchen.
    "Die Stäbe bestehen aus einem speziellen Kunststoff, der mit einigen Chemikalien angereichert wurde. Das Licht der Gammastrahlung regt darin Elektronen an, die ihrerseits wiederum sichtbares Licht abgegeben. Sie können diese blaue Aura sehen. Das ist die Szintilation."
    Sternexplosionen oder verschmelzende Neutronensterne?
    Diesen Prozess namens Szintillation für den Nachweis von Gammastrahlen zu verwenden, ist nicht neu. Doch anders als bei bisherigen Experimenten versuchen die Forscher nun auch die Polarisation der Strahlung zu untersuchen. Das ist eine schwer zu messende Eigenschaft der Gammablitze, die erst seit wenigen Jahren bekannt ist: Denn Gammastrahlung ist wie das sichtbare Licht eine elektromagnetische Welle, der etwa durch ein Magnetfeld tief im All eine Schwingungsrichtung aufgeprägt werden kann: Vielleicht sind es extrem starke Sternexplosionen oder verschmelzende Neutronensterne, die Gammablitze polarisieren.
    Überraschend anspruchsvoll war es für die Forscher aber zunächst, ihr gerade mal 33 Kilogramm schweres Instrument mit einem begrenzten Budget überhaupt ins All zu bringen:
    "Wir haben wirklich versucht, auf die Internationale Raumstation zu kommen. Wir versuchten es beim europäischen Columbus-Modul, bei den Russen oder an Bord einer amerikanischen Mission. Und am Ende sind wir zu den chinesischen Kollegen gegangen."
    Die gleichen Ursprünge wie Gravitationswellen?
    Im Herbst 2016 soll Tiangong-2 starten, Chinas zweite Raumstation. Sie besteht wie der gerade abgestürzte Vorgänger Tiangong-1 nur aus einem Modul. Aber sie soll mehrere Jahre im All bleiben und bietet dem Gammastrahlendetektor alles, was er braucht: Einen Transport ins All, einen Messplatz im Orbit und ausreichend Strom. Auch wissenschaftlich sind chinesische Forscher stark an der Mission der Schweizer interessiert. Das lernte Wojciech Hajdas bei einem Seminarvortrag für die chinesische Akademie der Wissenschaften schon vor einigen Jahren.
    "Ich war überrascht, wie viele detaillierte Fragen ich beantworten musste. Ich habe festgestellt, dass die Kollegen dort wirklich interessiert und enthusiastisch sind, bei so einer Mission dabei zu sein."
    Tatsächlich können die Physiker noch viel von den Gammablitzen lernen: Über polarisierte Gammastrahlung wollen sie den gewaltigsten Ereignissen des Universums nachspüren, genauso wie mit den kürzlich nachgewiesenen Gravitationswellen. Die Forscher könnten dem Phantom der Astrophysik also schon bald gleich aus mehreren Richtungen näher kommen.
    "Das könnte passieren. Ich glaube sehr fest daran: Momentan sind wir fast sicher, dass Gammablitze und Gravitationswellen die gleichen Ursprünge haben. Wenn wir jetzt auch die Polarisierung damit verknüpfen können, wäre das ein großer Schritt vorwärts."