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Lernen für eine bessere Zukunft

Das gewaltige Wohlstandsgefälle in China macht auch vor dem Bildungssystem nicht halt. Während die Kinder der neuen Mittelschicht von klein auf mit Privatstunden unterstützt werden, sieht es auf dem Land ganz anders aus - Computer gibt es keine und die Kinder sind auf sich gestellt, da die Eltern meist Analphabeten sind. China-Korrespondentin Ruth Kirchner hat in einer abgelegenen Bergregion der westchinesischen Provinz Gansu eine Dorfschule besucht.

Von Ruth Kirchner | 09.06.2014
    Ein Mädchen an einem Schulpult in China.
    Kinder, die an Chinas Dorfschulen unterrichtet werden, haben es schwer: Das fängt bei der Sprache an. (dpa/picture alliance/Imaginechina)
    Die Yangjixiang Grundschule im Kreis Huining, 200 Kilometer von der Provinzhauptstadt Lanzhou entfernt. In einem Klassenraum mit grauen Betonwänden sitzen acht Schüler und üben Lesen. Es ist kalt; der Raum ist ungeheizt. Die Schüler tragen wattierte Jacken, denn über Nacht ist noch einmal Schnee gefallen - und das am Ende des Frühlings.
    Die Schüler sitzen an alten Holzpulten. Es gibt eine schwarze Tafel, ein paar Stücke Kreide, sonst nichts. Trotzdem sind alle Kinder mit Feuereifer bei der Sache. Sie wissen - nur ein guter Schulabschluss eröffnet bessere Chancen für die Zukunft. Der zehnjährige Liu Shaoyuan etwa träumt von einem Studium im fernen Peking.
    "Ich bin zehn Jahre alt. Mathematik ist mein Lieblingsfach, denn es ist nicht so schwer. Ich möchte Lehrer werden - um anderen Kindern später zu helfen."
    Kein Computer im gesamten Dorf
    Die kleine Dorfschule mit insgesamt 50 Schülern liegt am Ende eines ungeteerten Feldweges. Zur Kreisstadt fährt man über eine Stunde. 200 Familien leben im Dorf, die auf den karstigen Berghängen Schafe hüten und auf winzigen Feldern Weizen und Mais anbauen. Was in den reichen Städten im Osten Chinas heute selbstverständlich ist - Internet, Smartphones, Computer - ist für die Kinder im Dorf eine fremde Welt, sagt Schulleiter Liu, der seit 20 Jahren an der Schule unterrichtet.
    "Unsere Schüler wissen nicht einmal wie man Computer an- und ausschaltet. Keine einzige Familie im Dorf hat einen Computer."
    Zum Beispiel die Familie Wang. Die 34jährige Wang Xiaxia schneidet Gemüse fürs Abendessen. Sie lebt mit ihrem Mann, vier Kindern und ihren Schwiegereltern in einem einfachen Backsteinhaus. Ein großer Kang, ein traditionelles Ofenbett nimmt den größten Teil des Wohnraumes ein. Die Familie besitzt 20 Schafe, bestellt ein kleines Stück Land und ist bitterarm. Ihr Jahreseinkommen beträgt umgerechnet 500 Euro. Alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft konzentrieren sich daher auf die Kinder.
    "Ich hoffe, dass es meine Kinder auf die Universität schaffen. Das ist mein großer Wunsch, aber ich habe Angst, dass das nicht gelingt."
    Kinder sind auf sich alleine gestellt
    Denn helfen kann Mutter Wang ihren Kindern nicht. Sie hat zwar Grundschulbildung, aber mehr als ihren Namen schreiben kann sie nicht mehr. Ihr Mann ist Analphabet wie auch die Großeltern. Genau das ist das Problem in dieser Armutsregion. Während Kinder in den Städten von ihren ehrgeizigen Eltern mit Privatstunden und Extrakursen gefördert und angetrieben werden, seien die Kinder auf dem Dorf auf sich gestellt, sagt Lehrer Liu, der selbst nie studiert hat.
    "Es ist nicht leicht für diese Kinder. Sie müssen sich viel mehr anstrengen als die Kinder in der Stadt."
    Zumal viele Kinder ganz ohne Eltern aufwachsen. Viele Väter und Mütter sind weggegangen, um sich als Wanderarbeiter in den Städten zu verdingen. Oft kommen sie nur einmal im Jahr nach Hause. Dabei geht es den Kindern in Huining - was die Schulbildung angeht - noch relativ gut. Der Landkreis ist bekannt dafür, dass es viele später auf ein College oder eine Universität schaffen. Das spornt schon die Grundschüler an.
    Lehrer auf dem Land haben einen begrenzten Horizont
    Aus den Lautsprechern an den flachen Schulgebäuden ertönt Musik - Zeit für die tägliche Pausen-Gymnastik. Mittags kochen die Lehrer für die Schüler ein einfaches Mittagessen - Maisbrei oder Nudeln, Gemüse und Eier. Das Schulessen wird mit umgerechnet 35 Cent pro Schüler vom Staat subventioniert und soll die Ernährung der Kinder verbessern. Ein junger Lehrer beaufsichtigt die Kinder beim Sport und beim Essen. Auch das hilft. Hao Hao ist Gründer einer Nicht-Regierungsorganisation, Regenbogen, die die Bergschulen im Kreis Huining unterstützt:
    "Den Familien der Kinder fehlt es an Geld, wir versuche ihnen wirtschaftlich zu helfen. Vor allem stellen wir freiwillige Zusatzlehrer, denn die Lehrer auf dem Land haben nur einen begrenzten Horizont. Wir wollen die die Kinder mit Dingen vertraut machen, die sie auf dem Land nicht kennen."
    Das fängt bei der Sprache an: Kinder und Lehrer sprechen nur den örtlichen Dialekt. Mit Hao Hao lernen sie erstmals Hoch-Chinesisch. Und: Er hat Bälle mitgebracht, hilft beim Englischunterricht und hat Sommerkurse eingerichtet, damit die Schüler in den Ferien nicht nur Schafe zu hüten. Lehrer Liu ist glücklich:
    "Die größte Verbesserung für unsere Schüler ist, dass sie jetzt Hoch-Chinesisch können und sich in der Sprache von den Stadtkindern nicht mehr so sehr unterscheiden."
    Ohne Spenden geht es nicht
    Lehrer Liu träumt - zusammen mit Hao Hao - schon von einem neuen Projekt: Von einem Multi-Media-Klassenzimmer, um den Kindern zu zeigen, wie die Welt außerhalb des Dorfes aussieht. Doch noch ist das ein ferner Wunschtraum: Der einzige Computer der Schule - ebenfalls eine Spende - steht im winzigen Lehrerzimmer. Der Bildschirm ist schwarz. Das Gerät ist schon seit Langem kaputt.