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Garn aus Schlachtabfällen
Gelatine zum Stricken

Mit Gelatine kann man Soßen binden, einen Wackelpudding machen - und vielleicht bald auch Pullover stricken. Forscher der ETH Zürich arbeiten an einem Material, das aus Schlachtabfällen hergestellt wird, aber die gleichen Eigenschaften hat wie Wolle.

Von Lucian Haas | 27.08.2015
    Wollknäuel
    Gibt es Wollknäuel bald auch aus Schlachtabfällen? (dpa / picture alliance)
    "Ganz zu Anfang des Projektes haben wir uns einfach die Frage gestellt: Wie schaffen wir es, aus einem Abfallprotein etwas Brauchbares herzustellen?" Philipp Stössel ist Lebensmitteltechniker im Labor für Funktionelle Materialien an der ETH Zürich. Mit Abfallprotein meint er Gelatine, die aus dem Kollagen in Schlachtabfällen wie Tierhäuten und Bindegewebe gewonnen wird. Hundertausende Tonnen davon fallen pro Jahr allein in der EU an und müssen entsorgt werden. Philipp Stössel hat bei Experimenten herausgefunden, dass sich daraus wollartige Fasern und Garne produzieren lassen.
    "Der Prozess ist ganz einfach. Wir lösen Gelatine in Wasser. Wir geben ein Lösungsmittel dazu, das ist Isopropanol, ein ungefährliches organisches Lösungsmittel. Und dann fällt diese Gelatine aus. Das heißt, sie wird ganz weiß, flockig und sinkt an den Boden des Gefäßes. Diese klebrige weiße Pampe kann man ganz einfach mit einer Pipette zu Fasern verspinnen."
    Dutzende miteinander versponnene Gelatinefasern ergeben ein Garn, das sich wie Wolle zu Strickwaren verarbeiten lässt. Es hat auch ganz ähnliche Eigenschaften, zum Beispiel was die Wärmeisolation betrifft. Allerdings hat das Gelatinegarn einen grundsätzlichen Nachteil, zumindest in seiner unbehandelten Form. Es ist wasserlöslich. Ein Strickpulli aus dem Material würde beim Waschen einfach wieder zu einer klebrigen Pampe zusammenklumpen. Doch auch dafür hat Philipp Stössel eine Lösung gefunden. Er behandelt die Textilien mit Epoxid und Formaldehyd. So werden die Gelatinefasern stärker miteinander verknüpft und gehärtet. Ein Überzug mit natürlichem Wollfett macht die Garne geschmeidig.
    Eine 30-Grad-Wäsche haben die Fasern schon überstanden
    "Da waren wir schon überrascht, wie wenig es eigentlich braucht, um diese Strukturen wasserfest zu machen. Das ist schon eindrücklich. Man hat eine unbehandelte Struktur, gibt die in Wasser, und ja, in wenigen Minuten wird die transparent und löst sich auf. Und daneben hat man ein behandeltes Produkt, gibt es in Wasser, und es bleibt einfach so wie es sein soll." Im Labor gefertigte Strickhandschuhe aus den Gelatinefäden haben sogar schon eine 30-Grad-Wäsche mit Waschmitteln ohne Auflösungserscheinungen überstanden.
    Ein Problem besteht aber noch: Die Fasern sind im nassen Zustand nicht sehr reißfest. Philipp Stössel arbeitet noch daran, auch das zu verbessern. Sollte ihm das gelingen, sieht er in seinen Gelatinefasern eine interessante Alternative zu anderen Biopolymeren. Zumal sie einen großen Vorteil bieten: Sie können, wie synthetische Fasern, endlos hergestellt werden. "Eine Schafswollfaser, die ist einfach nur 10, 15 Zentimeter lang, weil sie nicht länger wächst beim Schaf. Die ganzen Interessen an den Biopolymerfasern, die rühren daher, dass man versuchen will, eine unendliche Faser herzustellen, also im gleichen Stil wie bei den synthetischen Fasern, aber eben auf biologischer Basis. Und der große Vorteil ist: Von der Verarbeitung her hat man viel mehr Möglichkeiten, als mit natürlichen Fasern."
    "Das ist vielleicht gewöhnungsbedürftig"
    Für den praktischen Einsatz stellt sich noch die Frage der Wirtschaftlichkeit. Philipp Stössel kann noch nicht sagen, wie günstig sich Gelatinegarne im großen Stil herstellen ließen. Klar ist nur, dass das Ausgangsmaterial Gelatine mit rund zehn Euro pro Kilogramm derzeit etwa fünf Mal teurer ist als synthetische Polymere aus Erdöl. Allerdings steigt am Textilmarkt das Interesse an Biopolymeren. Unklar ist nur, ob Verbraucher Textilien akzeptieren, wenn sie erfahren, dass diese aus Schlachtabfällen stammen. Philipp Stössel ist optimistisch: "Ich glaube, das ist eine Frage der Zeit. Wenn wir schauen, was wir sonst für Kleider tragen, haben ja viele einen tierischen Ursprung, sei es Schafwolle, sei es Leder. Vor allem bei Leder, da sagt ja niemand: 'Wäää, das ziehe ich nicht an, das ist eine Kuhhaut'. Klar ist die Idee, aus Schlachtabfällen ein Produkt zu gewinnen vielleicht gewöhnungsbedürftig. Aber ich denke, man gewöhnt sich daran, wie bei anderen Dingen auch."