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Gasthörer an Unis
Studieren ohne Leistungsdruck

Rund 34.000 Gasthörer saßen im vergangenen Semester in den deutschen Hörsälen. Für die einen ist es die Erfüllung eines Lebenstraumes, für andere reiner Zeitrvertreib. Das Gute: Um im höheren Alter an Studienveranstaltungen teilnehmen zu können, braucht man noch nicht einmal Abitur. Und es gibt noch weitere Vorteile.

Von Matthis Jungblut | 26.04.2017
    Studierende nehmen am 24.03.2015 in einem Hörsaal der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) am Seniorenkolleg mit dem Vortrag zum Thema "Königspfalzenland Sachsen-Anhalt" teil. Seit Jahrzehnten haben wissbegierige Menschen ab dem 50. Lebensjahr die Möglichkeit in Magdeburg derartige Angebote der Hochschule zu nutzen.
    Bei Gasthörern stehen vor allem die Geisteswissenschaften hoch im Kurs. (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    Irgendetwas ist heute anders an in der Uni Köln. Der große Senatssaal ist mit ca. 150 Studierenden gut gefüllt. Aber: Keiner im Saal ist unter 50, denn heute findet hier eine Infoveranstaltung zum Gasthörer-Studium statt. Gasthörer, das sind an der Uni Köln zu über 90 Prozent Seniorenstudierende. Und deswegen sieht man Notizblöcke statt Laptops und hört man kritzelnde Stifte statt tippender Finger.
    Auch Maria Kröhr schreibt fleißig mit. Für sie beginnt das zweite Semester als Gasthörerin. Erste Erfahrungen bisher:
    "Die Vorlesungen sind manchmal recht laut. Und viele sitzen da mit ihren Handys, Laptops und iPads rum und spielen und gucken sich Filme an. Und der Professor sagt dann vorne: Naja, ihr müsst aber auch mal ne Klausur schreiben. Und glaubt nicht, dass alles so leicht ist, wie es sich jetzt anhört. Ihr müsst das Wissen auch beherrschen. Oh, sagen die dann und gucken weiter Filme."
    Maria Kröhr hat im vergangenen Wintersemester ihr Seniorenstudium aufgenommen – ihre Tochter hatte sie auf die Idee gebracht. Es ist ihr zweites Studium, vor über 40 Jahren war sie schon einmal immatrikuliert. Damals Städteplanung - heute alles, was sie möchte.
    "Ich hab Geschichte gemacht, ich hab was im musischen Bereich gemacht, neue Musik, zeitgenössische Musik, Einführung in die Psychologie, soziale Beziehungen im Alter, eigentlich wenn man so will einen Querschnitt. Was mich so grundsätzlich interessiert hat."
    Insgesamt hatten im vergangenen Wintersemester rund 34.000 Studierende in Deutschland den Status eines Gasthörers. In Köln sind die meisten Gasthörer in der philosophischen Fakultät aktiv – Absolutes Lieblingsfach: Geschichte. Insgesamt haben sich rund 1.000 Studierende in diesem Semester als Gasthörer eingeschrieben.
    "Und das kann wirklich jeder tun, also es gibt keine Zugangsvoraussetzungen wie zum Beispiel ein Abitur, sondern jeder, der das möchte, zum Beispiel auch in der nachberuflichen Phase noch mal an die Universität kommen möchte, um zu studieren, kann das tun."
    Das sagt Anne Löhr. Sie ist Geschäftsführerin der Koordinationsstelle Wissenschaft und Öffentlichkeit der Uni Köln und verantwortlich für das Gasthörer- und Seniorenstudium.
    Studieren ohne Prüfungsstress
    Im Gegensatz zu den regulären Studierenden dürfen Gasthörer keine Prüfungsleistungen erbringen und erreichen daher auch keinen Abschluss.
    "Sie können die Mensen nutzen, sie können das Sportangebot der Universität zu Köln nutzen, sie können die Universitätsbibliotheken nutzen – im Preis ist nicht mit einbezogen: das Semesterticket."
    Die Gebühren für ein Semester als Gasthörer variieren von Universität zu Universität. In Tübingen kosten ein Gasthörer-Semester beispielsweise 50 Euro, an der Uni Hamburg belaufen sich die Gebühren pro Semester auf 124 Euro. Pro Semester zahlen Gasthörer in Köln 100 Euro - dafür dürfen sie an fast allen Veranstaltungen des regulären Semesterbetriebs teilnehmen. An welchen genau können Interessierte bei der Koordinationsstelle Wissenschaft und Öffentlichkeit herausfinden. Auch an anderen Unis in Deutschland gibt es feste Ansprechpartner, die für Gasthörer zuständig sind.
    Studieren im Alter sei auch wegen der guten Bedingungen so beliebt, meint Löhr.
    "Viele erfüllen sich damit noch mal einen Lebenstraum. Sie können das studieren, was sie früher nicht studieren konnten oder durften oder beschäftigen sich mit ganz anderen Dingen als im Berufsleben zum Beispiel und erfahren darüber noch mal was ganz neues in ihrem Leben. Viele beschreiben das so als ihre Bildungsheimat, wo sie gerne hinkommen und wirklich über lange Jahre ganz treu der Universität verbunden bleiben."
    Mehr als Wissensvermittlung
    Doch auch für Seniorenstudierende geht es an der Uni nicht nur um Wissen - manche erleben ihre ganz eigenen Freundschaftsgeschichten. Und da unterscheidet sich das Seniorenstudium dann doch nicht mehr ganz so sehr von der regulären Uni.
    "Ich hab auch eine wieder getroffen, die ich vor 40 Jahren kennengelernt hab und wir haben gemeinsam studiert. Dann hatten wir 40 Jahre keinen Kontakt und jetzt haben wir einen ganz guten Kontakt wieder. Ich hab sie mal angesprochen auf der ersten Veranstaltung, wo ich sie sah und dann hat sich das so ergeben. Wir hatten gemeinsame Veranstaltungen und haben festgestellt: Ach, gemeinsame Interessen! Und dann haben wir mal gemeinsam so ein paar Sachen auch gemacht. Das ist schön! Kann eben auch passieren - Ich wollte es gar nicht glauben."