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Die bisherige Bilanz der Politik von Präsidentin Fernández de Kirchner ist widersprüchlich. Zu den positiven Aspekten zählt die Sozialpolitik, für die sie sich stark gemacht hat. Daneben steht das Land vor enormen Problemen der Energieversorgung. Und die Inflation ist schon wieder auf 25 Prozent gestiegen.

Von Peter B. Schumann | 05.10.2010
    "Diese Schwachköpfe des Obersten Gerichtshofs versammeln sich hinter unseren Rücken und lassen sich heimlich mit Geld gefüllte Kuverts zustecken. Wir dürfen es nicht länger zulassen, dass sie die Entscheidungen der Regierung von Cristina Fernández de Kirchner blockieren. Wenn sie das Medien-Gesetz nicht passieren lassen, müssen wir es ihnen entreißen! Und wenn wir deshalb den Justizpalast stürmen müssen, dann stürmen wir ihn."
    Mit diesen verbalen Ausfällen von Hebe Bonafini, der streitbaren Vorsitzenden der Mütter der Plaza de Mayo, endete vergangene Woche eine Demonstration vor dem Justizpalast in Buenos Aires. Sie bildete einen neuen Höhepunkt im Streit der Regierung Kirchner um die Durchsetzung ihrer Politik. Diesmal war der Oberste Gerichtshof in die Schusslinie geraten.

    Wir erleben den größten institutionellen Konflikt in der Ära Kirchner.
    So hieß es in einem Leitartikel von La Nación, einer der größten oppositionellen Zeitungen des Landes.

    In den letzten 48 Stunden hat die Exekutive eine bis dahin nicht gekannte Batterie von Beschimpfungen und Maßnahmen gegen den Obersten Gerichtshof aufgefahren. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Krise entwickelt, ist besorgniserregend, zumal es für die Kirchners immer nur Sieg oder Niederlage gibt.
    Mit drei Urteilen hatte sich die Justiz bei den Regierenden unbeliebt gemacht. Sie hatte Anfang des Jahres der Regierung den Zugriff auf die Devisenreserven des Landes unter Umgehung des Parlaments vereitelt. Dann hatte ein Richter in der Provinzhauptstadt La Plata mit seiner Entscheidung die Schließung von Fibertel, dem Internetprovider des Medien-Konzerns Clarín, blockiert, die der Planungsminister verordnet hatte. Und zudem wollte der Oberste Gerichtshof noch immer nicht über die Verfassungsmäßigkeit des neue Medien-Gesetzes befinden, das die Präsidentin zu einem der wichtigsten Ziele ihrer Politik erklärt hat:

    "Das neue Gesetz will die Massenmedien demokratisieren: Den Zugang zu Informationen und die Möglichkeiten der Kommunikation erleichtern. Damit Gewerkschaften, Universitäten oder Nachbarschaftskomitees sich der neuen Ausdrucksmittel bedienen können, dem Computer, Facebook, Twitter und all diesen anderen modernen Sachen, die zur Demokratisierung beitragen und uns alle sichtbarer und hörbarer machen."

    Das war auch dringend nötig, denn es stammte noch aus der Zeit der Diktatur. Deshalb hat es das Parlament mit großer Mehrheit akzeptiert. Doch dann wurde durch weitere Maßnahmen der Regierung die eigentliche Zielrichtung klarer. Die beiden wichtigsten Medienkonzerne der Opposition sollen zerschlagen werden: La Nación und vor allem Clarín, der mehrere Radio- und Fernsehsender sowie eines der größten Kabelnetze besitzt, unter anderem den Provider Fibertel, den rund eine Million Argentinier abonniert haben. Als viele der Nutzer feststellten, dass sie über kurz oder lang diesen Zugang ins Internet verlieren würden, gingen erste Klagen bei Gericht ein, und Richter Sagarra erließ eine einstweilige Verfügung.

    "Das ist ein Provinzrichter, das heißt, er ist inkompetent. Er darf keine Maßnahmen gegen Entscheidungen der Nationalregierung treffen."
    So ließ die Präsidentin, die sich gerade auf einer Konferenz in New York befand, über das soziale Netzwerk Twitter wissen. Und fügte hinzu:

    Natürlich kann jeder Berufung einlegen in einem demokratischen Land. Aber diese Justiz ist sehr fragwürdig und entscheidet nach Gutdünken oder hält die Hände auf. Ihr wisst ja, was in Argentinien los ist.
    Und auch Ex-Präsident Kirchner twitterte aus New York:

    Mit diesen Spielereien der Justiz sollte Schluss gemacht werden, das ist wirklich eine Schande. Wir wollen keine Justiz, die abhängig von den Medien der Monopolpresse ist.
    Diese massiven Angriffe forderten den Widerspruch von Ricardo Recondo heraus, dem Vorsitzenden des nationalen Richterverbandes.

    "Die Präsidentin zielte mit generellen Attacken auf die Justiz, ohne Namen zu nennen. Sie bezeichnete die Richter ganz allgemein als bestechlich, doch wir haben großes Interesse daran, solche Richter, wenn es sie gäbe, aus ihrem Amt zu entfernen. Aber so wird nur eine Büchse der Pandora geöffnet."
    Die Kirchners begnügten sich jedoch nicht mit Unterstellungen. Die Präsidentin hatte bereits erklärt, dass sie die internationale Justiz anrufen würde, wenn die nationale ihre Politik behindere. Letzte Woche ließ sie außerdem bekannt geben, dass der Etat des Obersten Gerichtshofs für 2011 nur um 20 Prozent statt der geforderten 40 Prozent erhöht werden würde, und dass ferner alle Ausgaben mit dem Kabinettchef der Regierung vorher abgeklärt werden müssten. Das widersprach völlig den Intentionen des Obersten Gerichtshofs, denn dieser wollte endlich die längst überfällige Justizreform durchführen. Ricardo Lorenzetti, sein Präsident, hatte erst vor Kurzem betont, dass unter den gegenwärtigen Umständen die rund 900 Richter außerstande wären, ihrer Arbeit ordnungsgemäß nachzugehen:

    "Wir müssen dringend die Anzahl der Richter erhöhen, um die Verfahren beschleunigen zu können. Wir haben deshalb ein 'Projekt zur Verstärkung der Unabhängigkeit der Justiz' in Angriff genommen und zwar nicht zuletzt, damit wir selbstständiger über unseren Etat verfügen können. Wir fordern das nicht, weil es uns Spaß macht, Etats zu verwalten, sondern damit die Richter möglichst rasch die nötigen Mittel erhalten und nicht wie heute oft Jahre vergehen, bis sie einen Raum finden, um eine Verhandlung durchzuführen."
    Das scheint die Regierung Kirchner gegenwärtig wenig zu interessieren. Mit ihren Attacken auf die Justiz hat sie einem dritten vermeintlichen Hauptgegner ihrer Politik den Kampf erklärt. 2008 waren es zunächst die Landwirte, vor allem die Großagrarier, mit denen sie sich anlegte. Sie verlangte eine drastische Erhöhung der Abgaben auf die Ausfuhr der landwirtschaftlichen Produkte, besonders auf das Soja. Dadurch wollte sie die ständig wachsenden Gewinne abschöpfen. Diese berechtigte Steuerpolitik führte jedoch beinahe zum Zusammenbruch der Versorgung, denn die Regierung wollte wieder einmal eine ihrer Maßnahmen mit aller Macht durchdrücken und zeigte sich monate-lang zu keinerlei Kompromiss bereit. Dagegen wehrten sich die Landwirte mit Straßenblockaden und Produktionsstreik. Ein Händler:

    "Hier kann man nichts mehr planen. Es gibt kein Rindfleisch, keine Milchprodukte, kaum noch Gemüse. Die Lkw-Fahrer wollen auch nichts mehr transportieren, denn sie wissen ja nicht, ob sie durchkommen oder die ganze Ladung verlieren."

    Die Präsidentin sah sich schließlich gezwungen, einzulenken. Seither herrscht eine Art Waffenstillstand. Kaum war dieser Konflikt einigermaßen bereinigt, eskalierte in diesem Jahr die Auseinandersetzung um das neue Mediengesetz. Die Regierung gab sich nicht mit einer unstrittigen Novellierung zufrieden. Sie versuchte gleichzeitig, zwei politische Gegner – Clarín und La Nación – zu diskreditieren, anstatt lediglich auf legalem Weg ihre Macht zu beschneiden. Die Kultursoziologin Beatriz Sarlo:

    "Dieses Gesetz enthält positive, zukunftsweisende Aspekte wie die größere Vielfalt im Bereich der Medien, aber ebenso negative Elemente wie die Konzentration vieler Entscheidungen bei der Regierung, eine alte argentinische Tradition. Besonders schlimm finde ich es, dass das Gesetz gegen jemanden gemacht wurde, ohne das klar zu benennen: gegen die Gruppe Clarín, die damit die Investitionen verliert, die Kirchner ihr zuvor bewilligt hatte. Das zeugt von einem demokratischen Verständnis auf unterstem Niveau."
    Die Präsidentin scheute sich auch nicht, die Vergangenheit zu beschwören, um den Einfluss von Clarín und La Nación zu beschränken. Sie unterstellte den beiden Konzernen, 1976, zu Beginn der Diktatur, die einzige argentinische Zeitungspapierfabrik mithilfe "illegaler Praktiken" erworben zu haben. Es war sogar von Folter der Angehörigen der damaligen Inhaber die Rede, die zum Verkauf geführt haben soll. Ein ungeheuerlicher Vorwurf, der jedoch vor Jahrzehnten bereits entkräftet wurde. Auch hat das private Papiermonopol 34 Jahre lang nie Anlass zu Besorgnis gegeben. Beatriz Sarlo hält es für möglich, dass die Kirchners ihrerseits ein Regierungsmonopol anstreben:

    "Es gibt im neuen Mediengesetz beispielsweise keine klare Definition der Funktion des öffentlichen Canal 7. Er ist sehr wichtig, denn er kann von allen gesehen werden. Nur bis jetzt verbreitet er reine Kirchner-Propaganda, obwohl er von der gesamten Bevölkerung bezahlt wird. Außerdem wurden weitere zehn digitale Kanäle geschaffen, von denen bereits zwei senden, für die es jedoch keinerlei Regulierungen gibt. Inzwischen werden bereits Decoder an die arme Bevölkerung verteilt, damit sie kostenlos diese zehn Fernseh-Kanäle sehen kann."
    Hinzu kommen regionale Radiosender, die kräftig mit offizieller Werbung versorgt werden. Auch wurden zahlreiche Lizenzen an befreundete Unternehmer vergeben. Die Regierung rüstet medial auf, um sich auf die Wahl-Kampagne 2011 vorzubereiten, denn dann will einer der beiden Kirchners erneut für die Präsidentschaft kandidieren. Dazu benötigen sie viel Geld und sie haben sich in diesen Jahren der beiderseitigen Macht ein beträchtliches Polster zugelegt: Ihr Vermögen hat sich versechsfacht.

    Sarlo: "Es gibt eine ganz traditionelle Form der Bereicherung in Argentinien, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Die Kirchners haben in einem neuen Touristenzentrum in ihrer Heimatprovinz Santa Cruz sehr günstig Land gekauft, das sich in staatlichem Besitz befand, bevor die Bautätigkeit dort richtig losging. Der Wert dieses Landbesitzes hat sich in zwei, drei Jahren vervielfacht. So etwas dürfte eigentlich ein Staatsfunktionär nicht machen, denn es basiert auf Insiderwissen."
    Die Kirchners scheinen Angst vor der Zukunft zu haben. Dabei kann sich ihre politische Bilanz durchaus sehen lassen. Der Publizist und Menschenrechtler Horacio Verbitzky:

    "Die Politik der Menschenrechte und die Verurteilung der Verbrechen der Militärdiktatur sind zentrale Punkte. Hinzu kommt die Annullierung früherer Amnestie-Gesetze. Dann hat Kirchner das Oberkommando der Streitkräfte abgelöst, das sich wieder in die Politik einmischen wollte, und an einem Tag 27 Generäle der Armee entlassen. Ähnliches geschah mit den Militärbischöfen der Diktatur, die die Notwendigkeit der berüchtigten Todesflüge, bei denen Folteropfer ins Meer gestürzt wurden, indirekt rechtfertigten: er enthob sie ihres Amtes."
    Diese Politik gehört gewiss zu den wichtigsten Ergebnissen der Kirchner-Regierungen und hat ihnen die ungeteilte Sympathie der Mütter und der Großmütter der Plaza de Mayo eingebracht. Andererseits diente sie dazu, Néstor Kirchners Präsidentschaft zu legitimieren, denn er war 2003 mit nur 25 Prozent der Stimmen gewählt worden. Mit diesem Engagement konnte er sich außerdem gegen seinen peronistischen Vorgänger Menem profilieren, der ihm den Weg an die Spitze des Staates freigemacht hatte. Und dann hat Kirchner noch eine weitere Erblast Menems beseitigt. Horacio Verbitzky:

    "Die Bereinigung des Obersten Gerichtshofs ist ein anderes zentrales Ergebnis. Menem hatte eine Reihe von inkompetenten Leuten ernannt, die ihn und seinen Kreis gegen Vorwürfe der grassierenden Korruption schützen sollten. Kirchner hat sie durch ehrenwerte, fähige, unabhängige Richter ersetzt. Ihre Unabhängigkeit können wir gerade an den Entscheidungen in diesen Tagen sehen, die der Regierung gar nicht gefallen. Das ist doch das beste Beispiel, dass diese Politik erfolgreich war."
    Diese Meinung scheint allerdings die gegenwärtige Präsidentin nicht mehr uneingeschränkt zu teilen. Und schon gar nicht Hebe Bonafini, die Vorsitzende der Mütter der Plaza de Mayo. Die verdienstvolle Kämpferin neigt immer öfter zu verbalem Radikalismus. Es ist Taktik der Regierung, ihr nicht zu widersprechen. Das taten umso klarer die Medien und die Opposition jeglicher Couleur nach Bonafinis beleidigenden Äußerungen gegen den Obersten Gerichtshof. Selbst ihre Mitstreiterin, Estela de Carlotto, die Vorsitzende der Organisation der Großmütter, distanzierte sich:

    Ich teile mit ihr nur den Schmerz, nicht die Äußerungen.
    Auch das Zentrum für rechtliche und soziale Studien, die Menschenrechtsorganisation von Horacio Verbitzky, wies die Attacke von Hebe Bonafini zurück.

    Die Richter des Obersten Gerichtshofs "Schwachköpfe, die mit Geld gefüllte Kuverts erhalten" zu nennen, stößt auf unsere entschiedene Ablehnung. Denn es ist dieser Gerichtshof, der die Gesetze der Straflosigkeit annullierte, der die vernachlässigten Bürger- und Umweltgesetze vorantrieb, der die von der Diktatur und dem Neoliberalismus ererbten Maßnahmen gegen Arbeiter außer Kraft setzte und die Folterungen in Gefängnissen und Kommissariaten verurteilte.
    Horacio Verbitzky ist dadurch bekannt geworden, dass er in Argentinien zahlreiche Verbrechen gegen die Menschenrechte und viele Fälle von Korruption aufgedeckt hat. Er ist heute ein Parteigänger der Kirchners. Aber auch er ist besorgt über ihre Politik der Konfrontation:

    "Es gibt ein Missverhältnis zwischen der Radikalität einzelner Maßnahmen von Kirchner und von Cristina und der politischen Grundlage, auf der sie beruhen, sowie der organisatorischen Basis, die sie verteidigen könnte. Das hat mich schon immer beunruhigt. ( ... )Im übrigen ist dieser Stil der Konfrontation nicht typisch für Kirchner, sondern für die gesamte argentinische Politik. Clarín ist nicht weniger aggressiv als Kirchner und bildet die Spitze der Opposition."
    Mit ihrer Taktik der frontalen Auseinandersetzung haben die Kirchners die Gesellschaft weiter polarisiert. Sie wären besser beraten gewesen – meinen wohlwollende Beobachter –, wenn sie stattdessen die sozialen Erfolge ihrer Politik deutlicher herausgestellt hätten. Carlos Menem, der Vorgänger, der das Land ruinierte, hatte beispielsweise 1993 den Rentenfond privatisiert und damit jeglicher Spekulation ausgeliefert. Ein kafkaeskes System entstand, das nur einem nützte: der Gesellschaft, die den Fond verwaltete und dafür 30 Prozent an Gebühren für jede Einzahlung kassieren durfte.

    Verbitzky: "Die Wiederherstellung des staatlichen Vorsorgesystems ist eine der weit reichendsten Maßnahmen der Regierung. Die rechte Opposition behauptete dagegen, dass die Kirchners sich nun des Rentenfonds bemächtigt hätten. Dabei ist genau das Gegenteil geschehen: Sie haben ihn dem System der Spekulation entrissen. Alle Personen, die damals keine Beiträge gezahlt haben, weil sie arbeitslos waren, wurden wieder eingegliedert. Als Kirchner an die Regierung kam, erhielten nur noch 57 Prozent der Berechtigten eine Rente. Heute sind es mehr als 90 Prozent."
    Außerdem hat die Präsidentin die Sozialhilfe für den ärmsten Teil der Bevölkerung um ein Programm zur Unterstützung von Kindern aufgestockt. Sie erhalten umgerechnet rund 30 Euro pro Monat, vorausgesetzt, sie weisen die nötigen Schutzimpfungen und den Schulbesuch nach. Das hält auch Beatriz Sarlo im Ansatz für einen Fortschritt:

    "Aber es gibt ein großes Problem: die Schulen haben oft nicht genügend Kapazität, um die Kinder aufzunehmen. Vor allem die weiterführenden Schulen haben überall große Probleme mit dem neuen Andrang. Also tut man nur so, als ob diese Kinder die Sekundarstufe besuchen, denn kein Rektor dürfte die Bescheinigung verweigern, da sie ein zusätzliches Einkommen für die Familie bedeutet. Alles wird immer so unvollständig in diesem Teil des tiefen Südens geplant."
    Zurzeit erhalten rund 750.000 Kinder diese Hilfe, und der Kreis der Berechtigten soll noch aufgestockt werden. Durch solche Sozialprogramme hat sich die Situation für viele der Ärmsten etwas verbessert. Doch die Vernichtung von Arbeitsplätzen, die Menem durch seine Ausverkaufspolitik durchgeführt hat, konnte bis heute nicht entscheidend ausgeglichen werden. Beatriz Sarlo:

    "40 Prozent der Arbeitenden verrichten Schwarzarbeit. Das heißt: Die Leute erhalten noch nicht einmal den Mindestlohn, oft auch keine Unterstützung, zahlen keine Rentenbeiträge usw. Sie arbeiten und leben sogar oft unterhalb der Armutsgrenze. Diese Situation hat sich seit Langem für ein Drittel dieser Bevölkerung nicht verändert. Argentinien ist nach wie vor tief gespalten. Wer durch die Großstädte fährt, bemerkt zunächst nur einen gewissen Fortschritt. Aber dieser betrifft lediglich die Argentinier von der Mittelschicht aufwärts. Das Elend sieht man vor allem in den Außenbezirken: dort ist die Situation genauso oder noch schlechter als vor fünf Jahren."
    Die bisherige Bilanz der Politik von Präsidentin Fernández de Kirchner ist widersprüchlich. Zu den positiven Aspekten zählen auch die Eheschließung von Homosexuellen und die Entkriminalisierung der Abtreibung, für die sie sich stark gemacht hat. Auch die Produktivität ist höchst beachtlich: Sie soll mit 8,5 Prozent einen neuen Höhepunkt erreichen. Doch sie basiert hauptsächlich auf dem Export landwirtschaftlicher Produkte. Daneben steht das Land vor enormen Problemen der Energieversorgung. Und die Inflation ist schon wieder auf 25 Prozent gestiegen. Auch gibt die Medienpolitik Anlass zu großer Besorgnis. Wenn die Kirchners die Präsidentschaftswahlen in einem Jahr gewinnen wollen, dann werden sie noch einige der ungelösten Probleme anpacken müssen. Die Politik der Konfrontation dürfte dazu nicht beitragen.