John Green: "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken"

Es geht weiter, das Leben

Buchcover von John Green: "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken"
"Fiesen Gedanken" - davon wird Aza Tag und Nacht geplagt. © Hanser Verlag / imago stock&people/ Erwin Wodicka
Von Sylvia Schwab · 29.11.2017
Panikattacken, Angstzustände, Horrorvisionen - die 16-jährige Aza leidet unter psychischen Störungen. Wie es sich damit lebt und wie sich das Grauen überwinden lässt, das erzählt John Green in "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken".
Fiese Gedanken quälen einen vor allem in der Nacht. Doch die 16-jährige Aza wird – und das ist noch viel schlimmer – auch tagsüber permanent von ihnen gequält. Allerdings wird sie vorübergehend abgelenkt, als ein Milliardär verschwindet, mit dessen Sohn Davis Aza vor Jahren einen Trauerkurs besucht hat und mit dem sie damals eng befreundet war. Aza hatte damals ihren Vater verloren und Davis seine Mutter. Nun wird eine Belohnung von 100.000 Dollar ausgesetzt, und Azas superschlaue Freundin Daisy will sich diese Summe unbedingt verdienen, um ihr Studium zu finanzieren – und Aza entschließt sich, mitzumachen.

Über Zweifel, Ekel und Selbsthass

John Green hat in seinen neuen Roman eine Menge disparaten Stoff hineingepackt. Krimi-Elemente und Familiengeschichten, Freundschafts- und Liebesthemen. Und dazu, im Zentrum und absolut dominant, eine psychische Störung. Aza leidet unter Panikattacken und Zwangsgedanken, und da sie selbst die Erzählerin des Romans ist, erleben die Leser diese ganz direkt und unvermittelt mit. Was von außen oft merkwürdig und "spinnert" aussehen mag, von innen fühlt es sich grausam an: Azas Gedanken-"Rodeo" über ansteckende Krankheiten, ihre Angstattacken vor Keimen, ihr Ausgeliefertsein an nicht zu stoppende Horrorvisionen und ihre Verzweiflung, ihr Selbstekel und ihr Selbsthass. Denn die 16-Jährige ist ein hochintelligentes und hochsensibles Mädchen, das genau weiß, wie sie auf andere wirkt, und darum doppelt leidet.
Dennoch hat dieser Roman einige Schwächen: Die Entführungsgeschichte des Milliardärs Russell Pickett wirkt eher banal-gewollt als spannend. Dessen Reichtum - Villa, Golfplatz, Pools, Dienerschaft, ein biologisches Labor - wird klischeehaft in Szene gesetzt. Und Davis, der ältere Sohn, ist trotz des widerlichen Vaters ein bescheidener, freundlicher Kerl, liebevoller großer Bruder und sensibler Freund – ohne jede Macke. Das ist langweilig, wohingegen Aza und ihre Krankheit grausam und klar gezeichnet sind, ihr Ausgeliefertsein an ihre "fiesen Gedanken" und auch ihre Therapie werden den Lesern schmerzhaft deutlich.

So eindringlich beschrieben wie noch nie

Was die Struktur des Romans betrifft, so ist John Green nah dran an seinen Figuren – und an seinen jungen Lesern. SMS-Dialoge und ein Blog lockern die Erzählung auf wie auch Sprüche und Gedichte. Außerdem ist das Erzählen selbst immer wieder Thema, denn Daisy, Azas beste Freundin, schreibt Fanfiction im Internet und verarbeitet dort ihre Probleme. Interessant ist auch der Aspekt, dass Azas Selbst-Entfremdung der Beziehung zwischen einem Autor und seiner Figur gleicht: Sie sieht sich aus der Distanz, wie eine fiktive Figur, und wünscht sich so sehr, sie selbst zu werden.
Bemerkenswert ist vor allem Greens Sprache, vor allem die Bilder, die er für Azas innere Zustände findet. So spricht sie etwa von dem "Bus meines Bewusstseins", den sie nicht steuern kann. Eindringlicher wurde für Jugendliche selten eine psychische Krankheit beschrieben! John Green zeigt, wie Sprache, Bilder, Metaphern das Grauen bändigen können – zumindest vorübergehend.

John Green: "Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken"
Hanser Verlag, München 2017
288 Seiten, 20 Euro, ab 14 Jahren

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