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Wahlkrimi in Honduras
Protest nach mutmaßlicher Wahlmanipulation

Bei den Wahlen in Honduras lag erst das Bündnis "Gegen die Diktatur" vorn. Als plötzlich die Computer aus gingen, lag kurz darauf die Nationalpartei vorn. Das führte zu Protesten, besonders überrascht aber sind Beobachter nicht. Das mittelamerikanische Land ist schon lange geprägt von Korruption und Klientelismus.

Von Anne-Katrin Mellmann | 02.12.2017
    Soldaten und Polizeikräfte in Schutzkleidung flüchten vor den wütenden Anhängern des Oppositionsführers von Honduras, Salvador Nasralla. Die Demonstranten befinden sich in der Nähe des Wahlamtes von Tegucigalpa. Nasralla hatte seine Anhänger aufgefordert, auf die Straße zu gehen und seinen Sieg zu verteidigen.
    Wut über mutmaßliche Wahlmanipulation trieb Oppositionsanhänger in Honduras auf die Straße. Ihre Partei hatte bei den Wahlen zunächst vorne gelegen, nach einem langen Computerausfall dann nicht mehr. (AFP / Orlando Sierra)
    Brennende Autoreifen, blockierte Fernstraßen, Proteste im ganzen Land – das Wahlergebnis bringt Oppositionsanhänger auf die Barrikaden. Sicherheitskräfte feuern Warnschüsse und Tränengaspatronen ab.
    Die Wut der Demonstranten ist groß. Sie wollen nicht hinnehmen, was kurz nach der Präsidentenwahl am Sonntag geschah: Zunächst lag Salvador Nasralla vom Mitte-Links-Oppositionsbündniss mit fünf Prozentpunkten vorn. Dann fielen die Computer aus. Erst anderthalb Tage später fuhren sie wieder hoch – und bescheinigten dem Präsidenten Juan Orlando Hernández einen knappen Vorsprung.
    "Wir hatten ein kompliziertes technisches Problem"
    Das gehe nicht mit rechten Dingen zu, wirft Oppositionskandidat Nasralla dem Wahlrat vor. Er hatte noch am Wahl-Sonntag ein Dokument der Organisation Amerikanischer Staaten OAS unterzeichnet, in dem er sich verpflichtete, das Ergebnis anzuerkennen:
    "Als ich das Dokument unterschrieb, hatte ich ja keine Ahnung, dass danach gleich das Computer-System abstürzen würde. Die Vereinbarung ist, dass ich das Ergebnis von vorschriftsmäßig eingereichten Wahldokumenten akzeptiere. Der Wahlrat hat jedoch ungültige Dokumente registriert, die den Willen des Volkes verfälschen. Das werde ich nicht akzeptieren. Deshalb hat Dokument der OAS keine Gültigkeit. Man wollte mir eine Falle stellen, aber ich tappe nicht in Fallen."
    Beweise hat Nasralla bislang nicht. Er legt nahe, was seine Anhänger vermuten: Mithilfe der Institutionen, Wahlrat und Oberstem Gericht, wolle die Regierung seinen Sieg zu verhindern. Der Direktor des Wahlrats David Matamoros, früher Parlamentsabgeordneter der regierenden Nationalpartei, rechtfertigt das Vorgehen seiner Behörde:
    "Wir hatten ein kompliziertes technisches Problem. Die Systeme waren überlastet und wir mussten mehr Computer einsetzen. Wir möchten uns dafür beim honduranischen Volk entschuldigen. Es ist nicht neu, dass das System bei Wahlen zeitweise ausfällt, aber noch nie ist es in so einem kritischen Moment passiert."
    Bündnis "Gegen die Diktatur" sprach von Betrug
    Schon vor der Wahl sprach die Opposition von Betrug. Auch vor vier Jahren, als die regierende Nationalpartei ebenfalls wiedergewählt wurde, prangerte sie Betrug an. Noch nie haben andere Kräfte das kleine mittelamerikanische Land regiert als die Nationale oder die Liberale Partei. Sie wechseln sich seit Jahrzehnten an der Macht ab. Nasralla und sein Bündnis "Gegen die Diktatur" wollen das von korrupten Machteliten regierte Honduras umkrempeln.
    Vor allem Korruption und Straflosigkeit haben sie den Kampf angesagt. In Honduras plünderten korrupte Politiker sogar die Sozialversicherung, um damit ihren Wahlkampf zu finanzieren. Verbindungen von Politikern zur organisierten Kriminalität, die den Drogenschmuggel von Süd- nach Nordamerika über Honduras abwickelt, werden immer wieder aufgedeckt. So sitzt in den USA der Sohn des früheren Präsidenten Lobo von der Nationalpartei eine lange Haftstrafe wegen Drogenschmuggels ab.
    Aktivisten beklagen zudem den Ausverkauf des rohstoffreichen Landes: Auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung sowie der Umwelt boomt der Bergbau, Flüsse wurden privatisiert. Unter anderem dagegen kämpfte Goldman-Preisträgerin Berta Cáceres: Unsere militarisierte und vergiftete Erde zwingt uns zum Handeln, sagte die Aktivistin bei der Preisverleihung 2015. Ein Jahr später wurde Cáceres ermordet, die Ermittlungen sind bis heute verschleppt.
    "Straflosigkeit ist tief im Justizsystem verwurzelt"
    Ihr Fall ist international bekannt, aber nur einer von vielen: Seit 2010 wurden in Honduras mindestens 120 Aktivisten ermordet – weil sie sich den Eliten aus Staat und Unternehmern entgegen stellten. Wer kritisch ist, lebt gefährlich. Die Journalistin Dina Meza erhielt schon mehrere Morddrohungen:
    "Die Straflosigkeit ist tief im Justizsystem verwurzelt. Mit dem Putsch von 2009 sind die Institutionen zusammengebrochen und funktionieren nicht mehr. Die Anzeigen von Opfern werden von Polizeibehörden einfach nicht entgegengenommen. Aber diejenigen, die Journalisten, Menschenrechts- oder Umweltaktivisten attackieren, können mit ihren Anklagen Gerichtsprozesse einleiten. Die enden meistens damit, dass die Opfer den Tätern eine Entschädigung bezahlen müssen."
    Auch so werden Kritiker zum Schweigen gebracht. Als der frühere Präsident Manuel Zelaya in seiner Amtszeit vor etwa 10 Jahren damit begann, die neoliberalen Verhältnisse im Land zu kippen, den Mindestlohn anhob und mit Venezuelas sozialistischem Präsidenten Hugo Chávez anbändelte, ging das der Elite zu weit: 2009 wurde Zelaya in der Nacht vom Militär aus seinem Haus gezerrt und noch im Schlafanzug außer Landes gebracht. Als Anlass diente den Putschisten Zelayas Versuch, die Möglichkeit der Wiederwahl des Präsidenten einzuführen. Das sieht die Verfassung nicht vor.
    "Wahlen sind Teil unserer politischen Folklore"
    Politischer Gewinner des Putsches war die Nationalpartei, die seitdem regiert. Als Präsident Juan Orlando Hernández jetzt ein zweites Mal antrat, war kaum Protest zu hören. Oberstes Gericht und Parlament winkten den Verfassungsbruch durch. Und die Opposition hielt das nicht davon ab, sich an der Wahl zu beteiligen. Der Politologe Eugenio Sosa bescheinigt seinem Land eine demokratische Fassade:
    "Die Menschen mögen Wahlen, sie sind Teil unserer politischen Folklore. Es ist paradox: Die meisten sagen, dass bei Wahlen betrogen wird, aber sie gehen trotzdem hin. Letztendlich ist es die Mischung einer ganz eigenen traditionellen politischen Kultur, die autoritär und militaristisch ist. Sie kommt denen zu Gute, die genau das Gegenteil der Demokratie verkörpern."
    Ob die Opposition anders mit der Macht umgehen würde als die beiden etablierten Parteien, das wird Honduras vorerst nicht erfahren.