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Gauck zum Thema Zuwanderung
"Offen sein ist anstrengend"

Angesichts des Zuwanderungsbooms und der Debatte über Missbrauch von Sozialleistungen hat Bundespräsident Joachim Gauck eine "geistige Öffnung" gegenüber Einwanderern angemahnt. Ausgrenzung von Deutschen "mit Migrationshintergrund" untersage das Grundgesetz, sagte Gauck bei einer Rede in Berlin. "Wir müssen dazulernen."

22.05.2014
    Bundespräsident Gauck schüttelt dem kleinen Noah die Hand, während links der beiden Noahs größere Schwester und seine Eltern stehen. Alle lächeln.
    Bundespräsident Joachim Gauck will Kinder von Migranten stärker fördern lassen (dpa / Stephanie Pilick)
    Gauck erinnerte zugleich an die Geschichte deutscher Migranten. "Zu Hunderttausenden suchten unsere Vorfahren einst ihr Glück in der Fremde", sagte Gauck bei einer Einbürgerungsfeier für 22 Migranten im Schloss Bellevue. Viele von ihnen würde man heute "Armutseinwanderer" oder "Wirtschaftsflüchtlinge" nennen. "Einwanderung setzt starke Gefühle frei und birgt gelegentlich handfeste Konflikte. Die offene Gesellschaft verlangt uns allen einiges ab: jenen, die ankommen, und jenen, die sich öffnen müssen für Hinzukommende. Offen sein ist anstrengend."
    Der deutschen Gesellschaft sei Migration nicht fremd. "Die Kowalskis und de Maizières gehören heute so selbstverständlich zu uns, dass wir uns kaum mehr erinnern, wie sie heimisch wurden. Millionen Vertriebene haben nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt, wie es ist, in einer deutschen Fremde anzukommen, nicht immer willkommen zu sein und schließlich doch ein neues Zuhause zu finden." Es sei "skurril", der Vorstellung anzuhängen, es könne so etwas wie ein "homogenes, abgeschlossenes, gewissermaßen einfarbiges Deutschland" geben. "Mit dem Grundgesetz wurde das Fundament geschaffen für ein friedliches, pluralistisches und demokratisches Gemeinwesen." Die Verfassung feiert morgen ihren 65. Jahrestag.
    "Es sind unsere Kinder"
    In den vergangenen 15 Jahren habe es bei dem Thema Bewegung gegeben. "Inzwischen hat die Politik erkannt, dass es nicht ausreicht, nichts zu tun", sagte Gauck. Doch trotz Integrationskurse, -gipfel und -beauftragte fühlten sich Menschen, die hier geboren, aufgewachsen und heimisch sind, "immer wieder aufs Neue zu 'Anderen' gemacht", sagte der Bundespräsident. "Das darf nicht sein. Hören wir auf, von 'wir' und 'denen' zu reden. Es gibt ein neues deutsches 'Wir', die Einheit der Verschiedenen. Und dazu gehören Sie genauso selbstverständlich wie ich."
    Grenzübergang zur BRD
    Grenzübergang zur BRD (dpa / Armin Weigel)
    Gauck forderte vor allem dazu auf, Kinder in Problemvierteln - dort lebten nicht nur Einwanderer - stärker zu fördern, wenn die Eltern dies nicht täten. Denn es sind unsere Kinder", sagte er. Sie wüchsen in dieser Gesellschaft auf, gingen hier in Kindergärten und Schulen. Gleichzeitig mahnte er Gelassenheit bei Debatten über Zuwanderung an. "Wir werden solche Auseinandersetzungen immer öfter erleben - aber nicht, weil Integration immer schlechter, sondern im Gegenteil, weil sie immer besser gelingt", sagte der Bundespräsident.
    Kinderspielzeug hängt an einem Rahmen. Im Hintergrund spielt eine Erzieherin mit zwei kleinen Kindern
    Gauck: "Wir müssen um jedes dieser Kinder kämpfen" (dpa / Julian Stratenschulte)
    "Probleme ernst nehmen"
    Eine Einwanderungsgesellschaft bedeute auch immer wieder die Auseinandersetzung mit Problemen, sagte der Bundespräsident. Ob Ghettobildung, Jugendkriminalität, patriarchalische Weltbilder, Homophobie, Sozialhilfekarrieren und Schulschwänzer: "Probleme dürfen nicht verschwiegen werden, weil die falsche Seite applaudieren könnte. Gleichzeitig müssen wir aber darauf achten, mit Kritik an diesen Phänomenen nicht ganze Gruppen zu stigmatisieren. Auch gilt es, kulturelle und soziale Ursachen nicht einfach in einen Topf zu werfen."
    Zuwanderung in die Bundesrepublik sei allerdings nur begrenzt möglich, erklärte Gauck. "Wir können nicht alle aufnehmen, die kommen möchten."