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Gaucks Amtsverzicht
"Die SPD könnte ein Signal setzen"

Ein gemeinsamer Kandidat von SPD, Grünen und Linken für die Bundespräsidentenwahl wäre "ein positives Signal" für die Bundestagswahl 2017, sagte die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht im DLF. Eine solche Personalie würde den Wählern verdeutlichen, dass es zwei unterschiedlich ausgerichtete Regierungsoptionen gebe.

Sahra Wagenknecht im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 07.06.2016
    Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht.
    Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht. (Imago / Metodi Popow)
    Es wäre wichtig, dass der neue Bundespräsident die "soziale Dimension von Freiheit" verkörpere, so Wagenknecht im Deutschlandfunk. Namen wollte sie nicht nennen. Das Parteibuch des Kandidaten oder der Kandidatin, sei für sie "relativ egal", allerdings habe es auch "Charme", parteilose Kandidaten aufzustellen.
    Soziale Sicherheit und die schwindende Mittelschicht seien nie die Themen von Bundespräsident Joachim Gauck gewesen, so Wagenknecht. Dass immer mehr soziale Sicherungen zerstört würden, es "keine ordentliche Rentenversicherung mehr" und eine immer größere Zahl armer Kinder gebe, seien die Probleme, die Deutschland bewegten. Bundespräsident Gauck hatte gestern angekündigt, aus Altersgründen nicht für eine zweite Amtszeit zur Verfügung zu stehen.
    "SPD könnte sich aus Unterordnung der Großen Koalition absetzen"
    Was einen gemeinsamen Kandidaten betrifft, sagte Wagenknecht, die SPD versuche, "in der Rhetorik nach links abzubiegen. Wenn das glaubwürdig sein soll, muss es auch politische Schritte geben." Die Wahl des Bundespräsidenten wäre ihrer Auffassung nach ein Schritt in diese Richtung und würde den Wählern verdeutlichen, dass es um zwei unterschiedlich ausgerichtete Regierungsoptionen gehe. "Die SPD könnte ein Signal setzen, sich aus der Unterordnung der Großen Koalition abzusetzen", so Wagenknecht.
    Die Bundespräsidentenwahl sei aber nur eine Facette einer Neupositionierung der Sozialdemokraten. Die SPD müsse auch ihres politische Programm entsprechend ausrichten. Sozialdemokratische Politik habe vor Schröder nicht darin bestanden, "dass man Löhne kürzt und den Sozialstaat zerstört", sagte Wagenknecht. Auf den früheren Kurs sozialer Reformpolitik müsse sich die SPD nun wieder besinnen. "Wenn die SPD permanent gegen ihre eigenen Wähler Politik macht, laufen die Wähler weg."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: In Berlin haben die Planspiele begonnen, die Planspiele für die Nachfolge von Bundespräsident Joachim Gauck. Das ist für die Parteien im Reichstag vermutlich immer die heikelste, die schwierigste Personalentscheidung überhaupt. Denn auch wenn der Bundespräsident hier bei uns in Deutschland nicht besonders viel zu sagen hat, seine Wahl hat einen Symbolwert, der sich nicht so leicht überschätzen lässt. Man könnte sagen, der Bundespräsident zeigt immer auch, welche Werte, welche Inhalte wichtig werden sollen in den kommenden fünf Jahren.
    Eine Politikerin, die da sicher ein Wörtchen mitreden will in den kommenden Monaten, ist Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linken im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Frau Wagenknecht.
    Sahra Wagenknecht: Guten Morgen.
    Armbrüster: Frau Wagenknecht, ist Ihnen schon ein Name eingefallen?
    Wagenknecht: Ich halte gar nichts davon, jetzt irgendwelche Namen öffentlich zu verbrennen. Ich glaube, was tatsächlich wichtig wäre ist, wenn wir einen neuen Bundespräsidenten bekämen, der die soziale Dimension von Freiheit begreift, weil wir haben ein Land, das sozial immer mehr auseinanderdriftet, die Ungleichheit wächst, die Mittelschicht wird schmaler, und ich würde mir natürlich sehr einen Bundespräsidenten wünschen, der für die Wiederherstellung des Sozialstaates einsteht und der das auch öffentlich einfordert. Ich glaube, das wäre ein gutes Signal, und natürlich würde ich mir wünschen, dass so ein Bundespräsident dann auch von SPD und Grünen vorgeschlagen und auch mit durchgesetzt würde.
    "Ich würde mir wünschen, dass ein neuer Präsident andere Akzente setzt"
    Armbrüster: Also ein Präsident, der durchaus noch deutlicher ist als Joachim Gauck?
    Wagenknecht: Na ja, Joachim Gauck - - Man soll natürlich keinem scheidenden Bundespräsidenten jetzt Dreck nachwerfen, aber man muss natürlich sagen, die soziale Dimension und das soziale Problem, das war nie sein Thema. Auch wenn er von Freiheit gesprochen hat, da ging es um Freiheitsrechte im allgemeinen Sinne. Aber dass soziale Sicherheit eine ganz wesentliche Grundbedingung für Freiheit ist und dass zum Beispiel auch prekäre Jobs, Dauerbefristungen auch ein Angriff auf menschliche Freiheit ist, nämlich Beschäftigte wehrlos machen auch gegenüber den Arbeitgebern, das ist leider für ihn nie ein Thema gewesen. Und da würde ich mir schon wünschen, dass ein neuer Präsident andere Akzente setzt.
    Armbrüster: Für wie groß halten Sie denn die Wahrscheinlichkeit, dass das tatsächlich diesmal klappt, zusammen mit der SPD und den Grünen?
    Wagenknecht: Ja, warten wir mal ab. Natürlich hängt das am Ende primär auch von der Entscheidung der SPD ab. Natürlich muss man auch sehen, wie die Grünen sich positionieren. Es gibt ja dort bekanntermaßen einen nicht geringen Flügel, der eigentlich eher in Richtung Schwarz-Grün marschieren möchte und deswegen vielleicht eher Sympathien mit einem Kandidaten von Frau Merkel haben wird. Das muss man sehen. Ich höre ja nur, dass die SPD und gerade auch Herr Gabriel jetzt versucht, so ein bisschen in der Rhetorik nach links abzubiegen, und da muss ich sagen: Wenn das glaubwürdig sein soll, dann muss es natürlich auch politische Schritte geben, und die Wahl des Bundespräsidenten wäre ein solcher Schritt.
    Armbrüster: Jetzt kann man natürlich sagen, Sie halten da der SPD jetzt wieder so ein Stöckchen hin, über das die Sozialdemokraten dann springen sollen. Kann das wirklich funktionieren?
    Wagenknecht: Es geht ja nicht um Stöckchen und es geht ja auch gar nicht primär darum, irgendwelche Parteienspielchen jetzt hochzuziehen, sondern es geht ja wirklich darum, welcher Bundespräsident oder auch welche Bundespräsidentin - das wäre ja auch nicht schlecht - würde diesem Land gut tun, würde die politische Debatte in eine Richtung beeinflussen, die wir dringend brauchen, die dringend notwendig ist. Und deswegen meine ich, dass wir jemanden mit sozialem Profil brauchen, weil wir endlich eine Diskussion darüber brauchen, dass es nicht angehen kann, wenn immer mehr soziale Sicherungen zerstört werden. Wir haben keine ordentliche Rentenversicherung mehr, auch die Arbeitslosenversicherung greift bei den meisten Arbeitslosen nicht mehr, die fallen in Hartz IV. Wir haben das Problem, dass wir immer größere Zahlen armer Kinder haben, und das sind doch die Probleme, die die Menschen in diesem Land bewegen. Und ich finde, wenn ein Bundespräsident sich solcher Themen annehmen würde, dort auch die Politik, auch die Regierung unter Druck setzen würde, dann wäre das einfach hilfreich, nicht aus Parteienegoismus, sondern einfach, weil es vielleicht dazu beitragen würde, in diesem Land die Stimmung und auch das politische Klima zu verändern.
    "Mir ist relativ egal, welches Parteibuch diese Persönlichkeit hat"
    Armbrüster: Könnte diese Person denn aus der SPD kommen?
    Wagenknecht: Mir ist relativ egal, welches Parteibuch diese Persönlichkeit hat, oder ob sie überhaupt ein Parteibuch hat. Es hat ja auch Scharm, parteilose Kandidaten aufzustellen, weil das natürlich oft dann erleichtert, ein breites Bündnis oder andere Parteien zum Mittragen zu bringen. Das ist für mich nicht die primäre Frage, sondern die primäre Frage ist wirklich, welches Profil vertritt jemand, welche inhaltlichen Positionen sind dort zu erwarten, und auch, welche Denkanstöße wird es dann in den nächsten Jahren geben.
    Armbrüster: Sie haben jetzt als Hauptanforderung vor allen Dingen beschrieben, dass der neue Bundespräsident diese soziale Dimension beherzigen sollte, dass er die in seinem Programm drin haben sollte. Ist das nicht eine etwas zu enge Definition, ein etwas zu enges Korsett für einen Bundespräsidenten, der doch eigentlich auch immer das große Ganze im Blick haben sollte, der vor allen Dingen auch Deutschland an sich repräsentieren soll, auch im Ausland? Da sind Fragen wie Hartz IV bei uns in Deutschland oder soziale Grundsicherung doch eher nur ein Nebenaspekt.
    Wagenknecht: Ich glaube, dass für viele Menschen in diesem Land genau diese Fragen keine Nebenaspekte sind, sondern ganz entscheidende. Ich habe ja auch nicht gesagt, dass ich das Profil darauf reduzieren wollte. Ich fände natürlich auch sehr wichtig, dass er nach außen ein Bild von Deutschland vertritt, das eigentlich an diese Traditionen anknüpft, die wir auch früher in Europa hatten, dass Deutschland sich zurücknimmt, dass er natürlich nach meinen Vorstellungen nicht dafür stehen sollte, was leider auch Gauck getan hat, dass Deutschland noch mehr sich in internationale Kriege verwickelt, dass es noch mehr Bundeswehrsoldaten im Ausland gibt, sondern für das Gegenteil, für das freundliche Deutschland, für das friedliche Deutschland. Das sind natürlich genauso wichtige Anforderungen. Aber wie gesagt, auch die soziale Dimension und auch die Einmischung in die Diskussion hier in Deutschland, die halte ich nicht für unwichtig.
    "SPD könnte sich aus der Unterordnung in der Großen Koalition lösen"
    Armbrüster: Und wenn das nun tatsächlich gelingen sollte, so ein rot-rot-grüner Kandidat, dann wären Sie, Frau Wagenknecht, auch für eine rot-rot-grüne Bundesregierung?
    Wagenknecht: Das eine folgt nicht unmittelbar aus dem anderen. Ich denke, dass die SPD damit natürlich ein Signal setzen könnte, dass sie sich aus dieser Unterordnung in der Großen Koalition löst, dass sie dort sich auch versucht, freizuschwimmen. Aber wie gesagt: Wie die Koalitionsoptionen sind, das hängt ja nun auch wirklich von dem Bundestagswahlergebnis ab, von den Mehrheitsverhältnissen und natürlich auch von der inhaltlichen Politik. Das ist damit nicht vorentschieden.
    Armbrüster: Aber es ist doch zumindest ein deutliches Signal, wäre es?
    Wagenknecht: Ja, ich fände es ein positives Signal, weil es den Wählern verdeutlichen würde, dass es vielleicht bei der nächsten Wahl tatsächlich um zwei mögliche, unterschiedlich ausgerichtete Regierungsoptionen geht. Bei den letzten Wahlen ging es doch im Kern immer nur darum, mit wem Frau Merkel weiterregiert, und so wie es jetzt angelegt ist, könnte auch die Wahl 2017 wieder keinen anderen Inhalt haben, als gibt es entweder danach Schwarz-Grün, oder gibt es weiter die Große Koalition, oder wird vielleicht die FDP wieder in eine Regierung reingehen. Das sind ja langweilige Optionen. Es wäre natürlich schön, wenn wir auch 2017 die Chance hätten, dass die Menschen entscheiden können, wollen sie weiter den Merkel-Kurs, oder wollen sie eine soziale Wende. Aber das muss die SPD glaubwürdig auch mit anderen Punkten untersetzen. Da ist ja wirklich der Bundespräsident jetzt nur eine wesentliche Fassette. Da geht es zum Beispiel um Aussagen zur Rente auch von der SPD selbst: Wollen sie denn ein ordentliches Rentensystem wieder? Wollen sie den Sozialstaat wiederherstellen? Das sind natürlich Fragen, die wir dann 2017 auch vor allem nach der Wahl besprechen müssten, wenn es überhaupt rechnerische Mehrheiten gibt. Deswegen würde ich das eine nicht unmittelbar mit dem anderen verknüpfen.
    Armbrüster: Und, Frau Wagenknecht, wenn sich die SPD nun für Sie, für Ihre Partei von der Union tatsächlich lösen würde, was würden Sie der SPD denn im Gegenzug anbieten?
    Wagenknecht: Ich glaube, die SPD braucht nicht von uns Angebote, sondern die SPD muss für sich entscheiden, das ist ja nicht unsere Aufgabe, wie sie auch selber wieder Akzeptanz gewinnt.
    "Die SPD müsste sich eigentlich nur besinnen"
    Armbrüster: Na ja. Sie versuchen, da ja eine Partei in Ihr Lager zu ziehen.
    Wagenknecht: Da muss man eigentlich sagen, die SPD kommt aus diesem Lager. Ich meine, sozialdemokratische Politik bestand über viele Jahrzehnte - das war auch noch unter Willy Brandt so - nicht darin, dass man Löhne kürzt, dass man Renten verschlechtert, dass man den Sozialstaat zerstört, sondern sozialdemokratische Politik war in der Vergangenheit bis hin vor Gerhard Schröder eine soziale Reformpolitik zur Verbesserung der Situation der abhängig Beschäftigten, der Rentner, der großen Mehrheit der Bevölkerung. Die SPD muss nicht das Lager wechseln, sie müsste eigentlich sich nur besinnen, aus welchem Lager sie kommt und welches Lager sie mit der Agenda 2010, mit Gerhard Schröder und mit allem, was danach gekommen ist, verlassen hat. Und es wird ihr ja nicht gedankt, sondern natürlich, wenn sie permanent gegen ihre eigenen Wähler Politik macht, dann laufen ihr diese Wähler auch weg. Das erlebt sie ja. Insoweit wäre es, denke ich, auch im eigenen Interesse der SPD, sich hier auf ihre Wurzeln zu besinnen und wirklich wieder soziale Politik zu verkörpern.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Sahra Wagenknecht, die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Deutschen Bundestag. Vielen Dank, Frau Wagenknecht.
    Wagenknecht: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.