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Gaucks Russland-Kritik
"Unsere Freiheit ist nicht selbstverständlich"

Die Freiheit in Europa sei nicht mehr selbstverständlich, sagte der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter im DLF. Vor diesem Hintergrund gebe es an den deutlichen Worten des Bundespräsidenten Gauck an Russlands Adresse nichts auszusetzen. Dennoch müsse man eine Eskalation des Ukraine-Konflikts unbedingt vermeiden.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Silvia Engels | 02.09.2014
    Die Schatten von drei Soldaten im Krieg, die Waffen in den Händen halten.
    Roderich Kiesewetter: "Keine militärische Intervention in der Ukraine." (AFP / Anatoliy Boyko)
    Der CDU-Politiker und ehemalige Generalstabsoffizier der Bundeswehr, Roderich Kiesewetter, hat die Kritik von Bundespräsident Joachim Gauck an Russlands Rolle im Ukraine-Konflikt im Deutschlandfunk verteidigt: "Gauck ist eine markante Stimme der Freiheit", sagte Kiesewetter. Er sehe sich als Anwalt der Länder Osteuropas, die sich zunehmend von Russland bedroht fühlten.
    Die gegenwärtige Ukraine-Krise zeige ganz deutlich, dass die Freiheit in Europa nicht mehr selbstverständlich sei. Dennoch warnte Kiesewetter davor, die Situation in der Ostukraine eskalieren zu lassen. Eine militärische Intervention des Westens sei völlig ausgeschlossen. Vielmehr müsse Russland zurück an den Verhandlungstisch gebracht werden.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Silvia Engels: Am Telefon begrüße ich Roderich Kiesewetter. Er sitzt für die CDU im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und er ist Präsident des Reservistenverbandes der Bundeswehr. Guten Tag, Herr Kiesewetter.
    Roderich Kiesewetter: Guten Tag, Frau Engels!
    Engels: Wir knüpfen direkt an diesem Stück an. Eben klang es schon an: Die Linkspartei kritisiert sehr deutlich Bundespräsident Gauck für seine Rede gestern. Links-Parteichef Riexinger wirft dem Bundespräsidenten zu wenig historische Sensibilität vor, wenn er ausgerechnet beim Gedenken des Weltkriegsausbruches Russland kritisiert. Hat er Recht?
    Kiesewetter: Wenn einer Partei historische Sensibilität fehlt in Deutschland, dann ist es die Linkspartei und ist es auch die NPD, und ich halte das für äußerst kritisch, was hier geäußert wird. Der Bundespräsident ist eine markante Stimme der Freiheit und fühlt sich auch als Anwalt der Stimmungslage in den osteuropäischen Ländern, die wir Deutschen nicht immer so wahrnehmen, weil wir sehr stark westorientiert sind. Ich glaube, es ist gerade die Chance Deutschlands, dass wir für den Zusammenhalt Europas mehr leisten können und dabei auch in der deutschen Bevölkerung - und danke, dass Sie sich dieses Themas annehmen - sensibilisieren müssen, dass die Freiheit in Europa nicht mehr so selbstverständlich ist, wie sie noch vor fünf Jahren war.
    Engels: Aber welche Konsequenzen erwachsen aus einer solchen Haltung? Ich zitiere noch einmal den Bundespräsidenten, der gesagt hat, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößere. Zitate Ende. Mit Blick auf den Termin gestern muss man das natürlich als eine Absage, als eine Appeasement-Politik verstehen, gerade auch mit seinem Verweis auf die Geschichte. Wenn er hier gegenüber Russland warnt, macht er dann den Gedankengang hoffähig, dass man am Ende doch militärisch in der Ukraine-Krise handeln muss?
    Kiesewetter: Nein. Es wird ja gerade militärisch gehandelt durch Russland in der Ukraine.
    Engels: Aber durch die NATO, wäre ja das Thema.
    Roderich Kiesewetter
    Über Roderich Kiesewetter
    Geboren 1963 in Pfullendorf, Baden-Württemberg. Der CDU-Politiker studierte bis 1986 Wirtschaftswissenschaften in München und Austin/Texas und schloss sein Studium als Diplom-Kaufmann ab. Im Anschluss daran nahm er verschiedene Positionen bei Bundeswehr und NATO wahr. Seit 2009 ist er Mitglied im Deutschen Bundestag, dort unter anderem Obmann der CDU/CSU-Fraktion für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.
    Kiesewetter: Und hier geht es erst mal darum, dass wir ganz klar sagen, Russland hat die Souveränität der Ukraine verletzt, indem es widerrechtlich sich die Krim angeeignet hat. Das hätte man anders lösen können. Und zweitens: Die NATO muss jetzt auf ihrem Gipfel deutlich machen, dass sie Sicherheit und Freiheit in Einklang bringt. Die NATO hat über 20 Jahre von dem Ende des Kalten Krieges profitiert. Die NATO-Staaten haben längst nicht mehr so in ihre Armeen investiert, wie es in der Vergangenheit war. Für Putin ist die Abschreckung der NATO unglaubwürdig. Aber wir dürfen trotzdem nicht Putin auf den Leim gehen und jetzt versuchen, militärische Lösungen herbeizuführen. Unsere Kanzlerin hat das auch sehr stark gesagt, auch gestern: Es geht um mehr Sanktionen. Und wenn Putin nicht einlenkt, dann müssen die Sanktionen verschärft werden. Es bringt doch nichts, wenn wir mit militärischer Gewalt drohen. Etwas anderes ist allerdings wichtig, dass wir dem Baltikum, der Bevölkerung in den baltischen Staaten versichern: Sollte NATO-Territorium bedroht sein, dann muss auch der militärische Beistand gelten. Diese Sprache versteht Putin und Putin braucht ein klares Signal, dass die NATO abwehrbereit ist. Aber auf der anderen Seite müssen wir bereit sein zu Verhandlungen. Verhandlungen müssen im Vordergrund stehen und kein militärisches Säbelgerassel.
    Engels: Auf der anderen Seite, wenn Sie selbst sagen, für Putin sei die Abschreckung der NATO derzeit offenbar unglaubwürdig, dann führt ja nach Ihrer Argumentation kein Weg daran vorbei, dass NATO-Truppen in Osteuropa verstärkt werden müssen. Und zwar dauerhaft und kräftig.
    Kiesewetter: Wir möchten zunächst einmal ganz stark darauf drängen, dass die NATO-Russland-Grundakte von 1997 von russischer Seite verletzt wurde. Es hilft nichts, wenn wir jetzt von unserer Seite da gegenrüsten, sondern was ganz Entscheidendes aus meiner Sicht ist, dass die NATO in der Lage ist, kurzfristig Eingreiftruppen auch in den östlichen NATO-Staaten zu stationieren, aber nicht dauerhaft. Wenn wir es dauerhaft machen würden, würden wir von unserer Seite aus die NATO-Russland-Grundakte verletzen. Russland hat sie bereits verletzt, aber es hilft ja nichts, wenn wir uns gegenseitig hochschaukeln. Das gute Zeichen wäre, wenn wir diese schnelle Eingreiftruppe weiter aktivieren und dort durch Einrichten von Kasernen und Depots kurzfristig Übungen ableisten könnten. Aber eine dauerhafte Stationierung wäre erst ein viel weiterer Schritt in der Eskalation, den wir vermeiden sollten. Ich halte deshalb politische Signale für wichtig. Auch die Andeutung, dass man Russland kurzfristig aus G-20 ausschließen könnte, wie es Australien heute signalisiert hat, halte ich für wesentlich griffiger. Militärisch allerdings müssen wir uns in Deutschland Gedanken machen, ob die Aussetzung der Wehrpflicht sinnvoll war. Nach dem, was wir heute wissen, brauchen wir, glaube ich, schon Überlegungen, wie wir in Deutschland unsere Abwehrfähigkeit diskutieren. Ich würde aber hier eher von der Pflege her argumentieren und einen Freiwilligendienst in der Gesellschaft anbieten, in dem auch die Bundeswehr ihren Platz haben könnte.
    Engels: Moskau sagt ja schon jetzt, man werde auf eine mögliche stärkere Präsenz von NATO-Truppen in Osteuropa mit einer Anpassung seiner Verteidigungspolitik reagieren. Wenn ich jetzt noch mal dazunehme, dass Sie auch überlegen, ob die Aussetzung der Wehrpflicht ein Fehler war, führt diese Krise langsam zur Rückkehr in Doktrinen des Kalten Krieges?
    Kiesewetter: Nein. Das ist ja genau der Punkt. Russland ist ja absolut unglaubwürdig, denn die Militärdoktrin hat ja Russland überarbeitet. Russland ist es doch gewesen, das die Krim besetzt hat. Und Russland ist es jetzt zurzeit, das die Lage in der Ostukraine destabilisiert. Das ist ja nicht die NATO und es ist auch nicht die EU. Umgekehrt müssen wir uns Gedanken machen, wie schützen wir heute die Souveränität von Staaten. Wie können wir als EU, die wir die Menschenrechte sehr stark befürworten und Freiheit und Bürgerrechte uns in den Mittelpunkt stellen, wie können wir Staaten, die an der Peripherie von NATO und EU sind, so stabilisieren, dass sie ihre, ja wie soll ich sagen, Souveränität behalten. Wir brauchen ein sichtbares Zeichen. So wie wir das jetzt für die Kurden im Nordirak machen, brauchen wir ein sichtbares Zeichen für die Ukraine. Das könnten Hilfskonvois sein, die Solidarität in der deutschen Bevölkerung stärken, Hilfsaktionen, sammeln. Das wären alles solche Zeichen, die Russland merken lassen, dass es nicht hilft, militärisch zu eskalieren. Ich warne davor, dass wir einseitig militärisch eskalieren. Es würde nur helfen, wenn das Militär einen Platz in einem politischen Gesamtkonzept hat, aber auf keinen Fall eine alleinige militärische Reaktion.
    Engels: Aber, Herr Kiesewetter, wenn Sie einen Bezug schon selbst aufmachen zum Nordirak, kommen dann auch Waffenlieferungen an Kiew aus Deutschland oder aus dem NATO-Bereich in Frage?
    Kiesewetter: Aus dem NATO-Bereich – das müssen die anderen NATO-Staaten entscheiden. Aber wir leisten zunächst mal humanitäre Hilfe. Wir haben sehr viele ukrainische Soldaten zur medizinischen Behandlung. Zurzeit sind 19, die in Kampfhandlungen der Ostukraine verletzt wurden, in Bundeswehrkrankenhäusern untergebracht. Waffenlieferungen – diese Region ist an Waffen sehr reich. Nein! Ich halte sehr viel davon, dass wir versuchen, durch Mediation, durch Ausgleich, durch wirtschaftliche Anreize zu wirken. Russland muss zurück an den Verhandlungstisch. Waffenlieferungen würden den Konflikt nur anheizen. Das wäre etwas, wäre viel zu früh. Wenn die Lage weiter eskalieren würde, wenn Russland sein strategisches Ziel deutlich macht, die Ukraine zu spalten, sodass wir zwei Teile haben, von Transnistrien im Osten von Moldawien über die Südukraine, Odessa bis einschließlich Krim, das ist ja das strategische Ziel dieser Abspaltung der Ukraine. Das müssen wir verhindern. Wir müssen die Souveränität der Ukraine erhalten. Das geht aber nicht, indem wir dort Waffen hinliefern. Das würde den Konflikt nur befeuern.
    Engels: Roderich Kiesewetter, für die CDU im Auswärtigen Ausschuss. Vielen Dank für das Gespräch heute Mittag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.