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Gauweiler: EU wird zur Schuldenunion

Laut Peter Gauweiler darf aus einem ursprünglich einmaligen EU-Rettungspaket kein Dauerzustand werden. Diese Form von "Schuldenaufnahmefortsetzung" führe zwangsläufig "in eine noch größere Krise".

Peter Gauweiler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 17.05.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Für Dominique Strauss-Kahn und seine Anwälte läuft es alles andere als rund. Erst wird der Chef des Internationalen Währungsfonds vor den Augen der Öffentlichkeit in Handschellen abgeführt, dann am Abend die ernüchternde Nachricht, nicht einmal eine millionenschwere Kaution hat ausgereicht, um den Franzosen auf freien Fuß zu setzen. Der Top-Finanzmann muss deshalb einstweilen in Untersuchungshaft bleiben und wurde unterdessen auf die Gefängnisinsel Rikers Island verlegt. Die Finanzminister der Euro-Zone, die Spitzen der EU-Kommission der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds, sie waren gestern in Brüssel verabredet, um über die Zukunft des Euro und die Rettungshilfen für Portugal und Griechenland zu beraten. Alle waren sie gekommen, außer einer: Dominique Strauss-Kahn, der Chef des IWF. Während der damit beschäftigt ist, die Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn abzuwehren, brachte die Runde die 78-Milliarden-Hilfe für Portugal auf den Weg. Heute gehen die Beratungen im Kreis der EU-Finanzminister weiter. Es sind also auch die Länder vertreten, die nicht über die Gemeinschaftswährung verfügen.
    Mitgehört am Telefon hat Peter Gauweiler. Er sitzt für die CSU im Deutschen Bundestag und hat gegen die Einführung des Euro und gegen den Euro-Rettungsschirm geklagt, in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht, natürlich auch im Bundestag dagegen gestimmt. Schönen guten Tag, Herr Gauweiler.

    Peter Gauweiler: Grüß Gott, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Gauweiler, gestern also der Beschluss, Portugal mit 78 Milliarden Euro unter die Arme zu greifen. Ein weiterer Riesenfehler aus Ihrer Sicht?

    Gauweiler: Ja natürlich. Wenn es wirklich darum ginge, den Euro dauerhaft zu sichern und damit das Prinzip der Bindung und Einbindung Europas offenzuhalten, dann wäre die Kritik fehl am Platze. Aber leider geht es darum nicht.

    Heckmann: Sondern?

    Gauweiler: Wir haben ja 60 Jahre lang das europäische Prinzip durchgehalten, dass es niemals nötig war, Schulden von Mitgliedsländern zu vergemeinschaften, oder die öffentlichen Haushalte von Mitgliedsstaaten zu subventionieren. Wir sind jetzt deshalb im Problem, weil es ein Teil der Euroländer, Beispiel Portugal, Beispiel Griechenland, nicht schafft, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft in diesem gemeinsamen Währungsraum, der keine Klammer ist für diese Länder, sondern mit großer Sprengkraft versehen ist, ihre Staatsdefizite zu beherrschen. Es ist jetzt eine völlig illusionäre Hoffnung, und man hat es ja an den unklaren Formulierungen von Herrn Juncker gerade eben wieder gemerkt und an der Kritik, die selbst diese vage Formulierung schon wieder von anderen Ländern auf sich gezogen hat, man könne dies jetzt durch das Management einer Reihe von Finanzministern kompensieren. Ich meine, wie will man auf europäischer Ebene etwas schaffen, was Italien bei seinem Konflikt Nord- und Süditalien innerhalb von 150 Jahren nicht geschafft hat? Was wir wegen der Leistungsdefizite in Deutschland im Rahmen des Länderfinanzausgleichs mühsam und mit jährlichem Streit zukriegen, das klappt kaum auf nationaler Ebene. Auf kontinentaler Ebene kann es schon wegen der Größe her nicht klappen.

    Heckmann: Aber, Herr Gauweiler, Sie sind in der absoluten Minderheit, denn das Rettungspaket für Portugal hat in der vergangenen Woche ja im Deutschen Bundestag eine übergroße Mehrheit bekommen.

    Gauweiler: Ja. Die Frage Mehrheit und Minderheit, die ist nicht unbedingt zwischen richtig und falsch. Wenn man auf diese Einwände hinweist, soweit zur Minderheit, dann darf ich nur daran erinnern, dass über 150 deutsche Volkswirtschaftler sich in den letzten Wochen zu dem Thema geäußert haben und einmütig die Regierungen der EU gewarnt haben, diese Form von Schuldenaufnahmefortsetzung, um die Schulden anderer zu bezahlen beziehungsweise um den anderen die Möglichkeiten zu geben, weitere Schulden zu machen, hier zu verlängern. Das kann nur in eine noch größere Krise führen.

    Heckmann: Aber Konsens scheint auch zu sein, unter den meisten Finanzexperten jedenfalls, dass eine Umschuldung oder ein Austritt Griechenlands beispielsweise oder Portugals theoretisch gesprochen jedenfalls für Deutschland viel teurer kommen würde.

    Gauweiler: Das ist ja Quatsch! Das genaue Gegenteil ist richtig. Der wissenschaftliche Beirat sowohl des deutschen Wirtschaftsministeriums wie des deutschen Finanzministeriums hat erklärt, dass man um eine Umschuldung langfristig nicht herumkommen wird. Was die Frage der Mitgliedschaft dieser Länder in der Euro-Zone angeht, ist das eine weitere große Problematik. Aber zunächst die Strategie des weiter so, jetzt noch mal mit Kreditmöglichkeiten diese Länder zuzuschütten, die ja wiederum nicht den Not leidenden Volkswirtschaften zugutekommt, sondern global tätigen Investmentbanken, das ist der falsche Weg.

    Heckmann: In Griechenland oder für den Fall Griechenlands wird jetzt ein zweites Rettungspaket ins Spiel gebracht. Fühlen Sie sich durch diese Entwicklung bestätigt?

    Gauweiler: Es geht nicht um meine Gefühle, sondern es geht darum, dass die Regierung – und nicht nur unsere Regierung, sondern auch die anderen europäischen Regierungen – vor genau zwölf Monaten, im Mai 2010, erklärt hat, dies sei nur eine einmalige Hilfe. Damals ist das erste Rettungspaket für die Griechen beschlossen worden, eine einmalige außergewöhnliche Hilfe, vergleichbar der Hilfe bei einer Naturkatastrophe. Die Skeptiker haben darauf hingewiesen, schon zum damaligen Zeitpunkt, dass nach aller Wahrscheinlichkeit aus dieser Hilfe ein Dauerzustand, eine Dauersubvention werden wird.

    Heckmann: Die Befürworter dieser Kredite und Hilfe, die sagen allerdings, dass es ein gutes Geschäft werden dürfte für Deutschland auch und die deutschen Banken.

    Gauweiler: Wenn Geld drucken ein gutes Geschäft ist, dann ja.

    Heckmann: Die deutschen Banken bekommen Zinsen für die Kredite, die sie geben.

    Gauweiler: Ein Geschäft vielleicht für die Papierindustrie. – Griechenland wird die Schulden, die es jetzt wieder aufnehmen soll, niemals bezahlen können. Wie kann man von der Bezahlung von Schulden reden, von mehr Schulden, wenn die jetzigen Zinslasten von dem jeweiligen Land nicht getragen werden können?

    Heckmann: Herr Gauweiler, der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück, der hat gestern im ARD-Fernsehen gesagt, es werde zu wenig über den politischen Wert der Union gesprochen.

    Gauweiler: Insofern hat Herr Steinbrück recht, aber durch diese Schuldenpolitik wird der Wert von Europa, der Wert der Bindung und Einbindung, der Wert der zwölf Sterne auf der blauen Flagge, angegriffen. Warum? – Das Prinzip des Europas der Vaterländer war über 60 Jahre ein Erfolgskonzept. Jetzt aus der EU eine Schuldenunion zu machen, bei der am Ende so der Mittelwert der Regulierungen von Italien, Frankreich und Deutschland, also das graueste Grau, zur neuen Norm einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung wird, das ist nicht das, was sich die Europäer für ihre Zukunft vorgestellt haben. So macht man die europäische Idee kaputt.

    Heckmann: Im Bundestag, Herr Gauweiler, steht in den nächsten Wochen die Abstimmung über den langfristigen Euro-Stabilisierungsfonds an. Wie groß ist aus Ihrer Sicht der Widerstand im Parlament?

    Gauweiler: Die gefühlte Gegnerschaft und die gefühlte Kritik, die ist bei 95 Prozent der Abgeordneten, die alle sagen, das kann nicht klappen. Bei den Abstimmungen, da haben Sie ja schon zu Beginn unseres Gespräches darauf hingewiesen, da ist es genau das Gegenteil. Das hängt einfach mit der Macht der Fraktionen und der politischen Apparate zusammen. Sie müssen sich die Bewegungen in der Politik wie einen Sardinenschwarm vorstellen, der wendet sich dann irgendwann mal blitzschnell, wenn er die Gefahr erkennt. Wie lange dieses Erkennen dauert, darüber kann man nur spekulieren.

    Heckmann: IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn ist ja in New York in Untersuchungshaft. Er gilt als glühender Verfechter der Währungsunion, die Sie ja so bekämpfen. Seitdem wird spekuliert, was das Ganze für den Kurs des IWF bedeuten könnte. Hören wir mal ganz kurz, was der ehemalige Finanzminister Hans Eichel heute früh im Deutschlandfunk dazu sagte.

    O-Ton Hans Eichel: Eines ist sicher, dass jedenfalls Strauss-Kahn einen ganz großen Anteil daran hat, dass überhaupt der Internationale Währungsfonds sich in diesem Umfang in den Schuldenländern Europas engagiert. Es ist nicht selbstverständlich.

    Heckmann: Strauss-Kahn also ist das Engagement des IWF bei der Euro-Rettung zu verdanken. Erwarten Sie jetzt einen Kurswechsel beim IWF?

    Gauweiler: Darüber kann man in der Tat nur spekulieren. Der IWF erfüllt eine ganz wichtige Funktion, weltweit, nicht nur in der EU, wenn ein Land Pleite geht, wenn der sogenannte Staatsbankrott eingetreten ist, die Zahlungsunfähigkeit eines Landes, wie es in den 90er-Jahren bei Argentinien und dann bei Russland gewesen ist. Die Maßnahmen, die der IWF damals erzwungen hatte, Schuldenschnitt, Moratorium für die Rückzahlung und Neuanfang, waren die richtigen Rezepte und wären auch die richtigen Rezepte für Griechenland und für Portugal. Die Deutschen haben ja zurecht verlangt, dass die Probleme von Griechenland und von Portugal und in gewisser Weise auch von Irland nicht allein dem EU-Apparat überlassen bleiben, und wir brauchen selbstverständlich einen starken IWF und man kann nur hoffen, dass diese Führungsprobleme jetzt schnell geregelt werden.

    Heckmann: Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler war das hier im Interview im Deutschlandfunk. Herr Gauweiler, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Gauweiler: Danke auch.