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Akustik
Zuhörer bevorzugen den Klang moderner Geigen

Amati, Guarneri oder Stradivari - die alten italienischen Meistergeigen sind legendär. Eine französische Akustikerin kratzt allerdings hartnäckig an deren Nimbus: In Blindtests würden sich versierte Geiger in der Mehrzahl für neue statt für alte Instrumente entscheiden. Und auch beim Publikum kämen moderne Geigen besser an - wie sie jetzt im Fachblatt "PNAS" nachlegte.

Von Michael Gessat | 16.05.2017
    So unscheinbar diese Geige auch aussehen mag, ist sie mit einem Kaufpreis von 1 Millionen Euro eine der teuersten Geigen der Welt. Gebaut wurde sie von dem berühmten Geigenbauer Antonio Stradivari vor 300 Jahren.
    So unscheinbar diese Geige auch aussehen mag, ist sie mit einem Kaufpreis von 1 Million Euro eine der teuersten Geigen der Welt. Gebaut wurde sie von dem berühmten Geigenbauer Antonio Stradivari vor 300 Jahren. (picture alliance / dpa / Miguel Villagran ))
    Das Geheimnis der Stradivari – ein purer Mythos? Der berühmteste Geigenbauer entthront durch objektive Messergebnisse? Mit ihren Veröffentlichungen 2012 und 2014 hatte Claudia Fritz, Akustikerin am Nationalen Forschungszentrum CNRS in Paris, für Schlagzeilen gesorgt – und sich eine Menge Kritik von Musikern eingehandelt. Ein Argument kam dabei besonders häufig zur Sprache, für einen musikalischen Laien klingt es nach bloßer Legende, Claudia Fritz hatte es aber von vornherein durchaus ernstgenommen:
    "Es gibt die These, dass alte italienische Geigen eine bessere Tragfähigkeit haben als neue. Dahinter steckt die Vorstellung, dass eine Geige am Ohr des Spielers leise sein kann, aber dann sehr gut bis zur letzten Reihe eines Konzertsaals trägt. Man hört sogar Aussagen wie ‚der Klang einer italienischen Geige wächst in der Entfernung‘, was nach rein physikalischen Kriterien keinen Sinn ergibt."
    Ein psycho-akustisches Phänomen
    Aber "Tragfähigkeit", im Englischen "Projection", ist kein rein physikalisches, sondern ein psycho-akustisches Phänomen, das sich nicht durch Mikrofone in einem Saal messen, sondern nur durch die Befragung von Hörern abschätzen lässt. Also hatten Claudia Fritz und ihr Team 2012 und 2013 – parallel zu dem Blind-Test und der Beurteilung von alten und neuen Geigen durch die Spieler - bei einem Teil der Instrumente auch untersucht, wie diese bei einem fachlich versierten Publikum ankamen.
    "Um die Aufgabe für die Testhörer einfacher zu machen, haben wir sie jeweils zwei Geigen im Vergleich beurteilen lassen – jeweils mit einer kurzen Solo- und einer Orchesterpassage. Wir hatten das Testfeld auf drei neue Geigen und drei Stradivaris beschränkt – das waren also neun Kombinationen alt-neu, wobei das Publikum natürlich gar nicht wusste, dass es jeweils ein Paar alt-neu war."
    Für jedes Vergleichspaar konnten die Testhörer auf einer Skala ankreuzen, ob sie Geige A oder B als "tragfähiger" beurteilten und in welchem Ausmaß. Auch die Geiger wussten nicht, ob sie die Testpassage gerade auf einem alten oder neuen Instrument spielten. Das Ergebnis des "Doppelt-Blindversuchs":
    "Es war ähnlich wie bei unseren vorausgegangenen Experimenten mit den Spielern allein – auch die Zuhörer bevorzugten die neuen Geigen, und zusätzlich wurden diese auch als tragfähiger beurteilt."
    Das Ergebnis gelte, das betont Claudia Fritz ganz ausdrücklich, natürlich nur für die konkreten Instrumente im Testfeld und könne nicht pauschal auf alle Geigen der Welt übertragen werden. Und dennoch:
    "Wir haben ja sehr gute Stradivaris im Testfeld gehabt, die uns die Händler oder Besitzer sehr gern geliehen haben, weil sie überzeugt waren, die alten Geigen gewinnen den Vergleich: Wenn dieser Effekt mit der angeblich besseren Tragfähigkeit so klar wäre wie behauptet, dann hätten wir ihn bemerken sollen."
    Neue Geigen seien leichter zu spielen
    Demetrius Polyzoides, Primarius im Kölner Streichsextett und Mitglied des Gürzenich-Orchesters, ist da allerdings skeptisch – neue Instrumente seien leichter spielbar und hätten daher in einem Ad-hoc-Test möglicherweise einen Vorteil:
    "Also ich habe selbst eine Maggini von 1630, ich habe Jahre gebraucht, um sie wirklich kennenzulernen, um wirklich zu wissen, was im Saal ankommt. Diese alten Instrumente reagieren irgendwie, man könnte sagen, wie ein Rennpferd, das auf die leiseste Nuance reagiert, und einfachere Instrumente zeigen schnell, wie man sie behandeln muss, damit sie das Optimum bringen."
    In einem Punkt sind er und Claudia Fritz sich völlig einig:
    Polyzoides: "Man hört immer den Geiger. Ich kann mich an meine Jugend erinnern, wo ich versuchte auseinanderzuhören, ob Jascha Heifetz jetzt mit der Guarneri oder mit der Stradivari spielt, das ist mir nie gelungen. Ich habe aber nach zwei Tönen gewusst, dass er spielt. Der Klang, der wird vom Geiger gemacht."
    Fritz: "Eine Geige erklingt, weil sie gespielt wird. Und wenn also verschiedene Spieler eine Geige verschieden beurteilen, dann liegt das am Geschmack, natürlich – aber auch daran, dass sie so unterschiedlich spielen und das Instrument jeweils anders reagiert. Bei einem Spieler mit leichtem Bogendruck wird die eine Geige besser klingen, und zu einem mit starkem Bogendruck wird eine andere viel besser passen."