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Gaza-Krieg
"Niemanden kann man zum Frieden zwingen"

Im Gaza-Krieg müssten in erster Linie Israel und die Hamas eine politische Lösung finden, sagte Stefan Liebich (Linke) im Interview mit dem Deutschlandfunk. Zum Frieden zwingen könne man allerdings niemanden. Die Situation im Nahen Osten sei in dieser Form unerträglich.

Stefan Liebich im Gespräch mit Peter Kapern | 08.08.2014
    Stefan Liebich (Die Linke), aufgenommen am 23.10.2011 während des Bundesparteitags seiner Partei in Erfurt.
    Stefan Liebich (Die Linke), Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    Den Vorschlag von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), im Gaza-Streifen eine europäische Grenzmission einzurichten, hält Linken-Politiker Stefan Liebich für bedenkenswert. Eine langfristige Lösung im Gaza-Konflikt könnten letztendlich jedoch nur die beteiligten Parteien Israel und Hamas finden. Angesichts der erneuten Kämpfe im Krisengebiet mache sich bei vielen eine gewisse Ratlosigkeit breit, so Liebich.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Die Bilder, die uns in den vergangenen Tagen aus dem Gazastreifen erreicht haben, schienen direkt aus dem Vorhof der Hölle zu kommen. Schutt und Asche, Trümmerfelder, so weit das Auge reicht, und mittendrin obdachlose Familien, die unter den Betonbrocken nach den Resten ihres ohnehin bescheidenen Wohlstands graben. Der Alptraum geht weiter, nach 72-stündiger Feuerpause sind die Kämpfe wieder aufgeflammt. Und mitgehört hat Stefan Liebich, der Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, guten Tag, Herr Liebich!
    Stefan Liebich: Guten Tag!
    "Alles dreht sich in einer sinnlosen Spirale der Gewalt"
    Kapern: Herr Liebich, sagen Sie uns doch, sehen Sie noch einen Ausweg aus diesem Konflikt?
    Liebich: Ja, es ist schon zum Verzweifeln. Kaum gab es etwas Ruhe für die geplagte Zivilbevölkerung im Gazastreifen, kaum haben die Sirenen in Tel Aviv und anderswo in Israel geschwiegen, geht der ganze Irrsinn wieder los. Als heute Morgen die Nachricht kam, dass aus dem Gazastreifen wieder eine Rakete auf Ashkelon geschossen wurde, musste ich daran denken, wie ich noch vor wenigen Wochen dort war, das ist ja die Partnerstadt meines Wahlkreises hier in Berlin-Pankow. Und man hat das Gefühl, alles dreht sich in einer sinnlosen Spirale der Gewalt. Es ist aber nicht so, dass diese aktuelle Entwicklung gleichermaßen Verantwortung auf beiden Seiten hat, denn das ist ...
    Ein israelisches Artillerie-Geschütz feuert am 2. August 2014 eine 155-Millimeter-Granate nahe der Grenze zum Gaza-Streifen ab.
    Ein israelisches Artillerie-Geschütz nahe der Grenze zum Gaza-Streifen. (AFP PHOTO/DAVID BUIMOVITCH)
    Kapern: Sondern?
    Liebich: Das ist aus dem Bericht ja deutlich geworden: Die Hamas nimmt ihre eigene Bevölkerung zur Geisel, um ihre Forderungen bei den Verhandlungen durchzusetzen. Es gab ja eine Waffenruhe und die Hamas und die palästinensische Seite hat sich entschieden, diese Waffenruhe wieder zu beenden. Egal wie man jetzt deren Forderungen bewertet: Dafür das Leben und die Gesundheit der Palästinenser im Gazastreifen aufs Spiel zu setzen, das ist einfach falsch.
    "Die Europäische Union muss mit der Hamas sprechen"
    Kapern: Und das bedeutet nun was für den Umgang mit der Hamas?
    Liebich: Wir kommen nicht umhin, mit denen zu verhandeln, die zuständig sind und die Verantwortung tragen.
    Kapern: Das ist die Hamas.
    Liebich: Ja, der Zeitpunkt ist zwar lange her, dass die Hamas gewählt wurde, nämlich im Jahr 2006, und es ist an der Zeit, dass im Gazastreifen und auch im Westjordanland die Bevölkerung mal wieder gefragt wird, wer sie eigentlich vertreten soll, aber im Moment ist es die Hamas. Und deshalb muss Israel, deshalb muss Ägypten, deshalb muss die Europäische Union auch mit der Hamas aus dem Gazastreifen sprechen, da hilft alles nichts.
    "Die Belagerung zu lockern, das sollten wir unterstützen"
    Kapern: Nun haben Sie schon ein paar Akteure aufgezählt, die da möglicherweise Vermittlungen übernehmen könnten und Verhandlungen aufnehmen könnten, aber schauen wir uns das doch mal an: Die Vermittlung Ägyptens – das haben ja wohl die Gespräche in Kairo in der vergangenen Nacht gezeigt – funktioniert nicht, die USA sind eher im Zuschauermodus. Und nun soll ausgerechnet die EU das Problem beheben können?
    Liebich: Die EU kann hier letztlich nur helfen und vermitteln, wenn es die beiden konkret am Konflikt beteiligten Parteien auch wollen. Das heißt Israel, und das bedeutet auch die Hamas. Ich fand ja gestern die Nachricht etwas zwiespältig, dass Herr Lieberman, der israelische Außenminister, gesagt hat, die Europäische Union trüge die Verantwortung dafür, die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen zu beheben. Herr Lieberman ist ja nicht irgendwer, sondern er ist im Konzert der israelischen Politik einer derjenigen, der ein noch härteres Vorgehen verlangt hat. Und das, was die israelische Armee als Antwort auf den Beschuss im Gazastreifen gemacht hat, das war ohne jeden Zweifel unverhältnismäßig. Und nun zu sagen, die EU trüge die Verantwortung dafür, den Schaden wieder aufzuräumen, das finde ich schon zynisch. Der damit verbundene Vorschlag allerdings, dass die Europäische Union wieder am Grenzübergang Rafah zu Ägypten die Verantwortung übernimmt, dass dort Grenzverkehr stattfindet, den finde ich tatsächlich bedenkenswert. Ich glaube, alles, was dazu beiträgt, die Lage für die Menschen im Gazastreifen zu verbessern, die Belagerung zu lockern, das sollten wir unterstützen. Und da hat die Europäische Union und auch Deutschland tatsächlich eine Verantwortung.
    Gaza-Krieg: Palästinensische Kinder suchen Zuflucht in einer UNO-Schule
    Gaza-Krieg: Palästinensische Kinder suchen Zuflucht in einer UNO-Schule (picture-alliance / dpa / Mohammed Saber)
    "Mich hat das ein bisschen an das geschlossene Ostberlin erinnert"
    Kapern: Aber damit, Herr Liebich, sind wir im Prinzip wieder beim Ausgangspunkt unseres Gesprächs, als Sie gesagt haben, dass die Verantwortung für das Ende der Feuerpause eindeutig bei der Hamas liege. Die Hamas verlangt ein Ende der Blockade des Gazastreifens, ein Freiluftgefängnis für 1,8 Millionen Menschen, so wird die Situation dort häufig beschrieben, und Israel scheint auch bei den aktuellen Gesprächen nicht bereit zu sein, diese Blockade zu lockern. So wie auch schon beim letzten Militäreinsatz vor zwei Jahren nicht.
    Liebich: Da finde ich die Position Israels auch falsch. Unsere Partei und auch ich persönlich sind für ein Ende der Blockade, ich habe den Gazastreifen vor einigen Jahren besucht, als die Blockade stattfand, das ist schon eine unmögliche Situation. Mich hat das ein bisschen an das geschlossene Ostberlin erinnert, also rundum war alles dicht, die Kollegen, die mit mir im Bus saßen aus dem Gazastreifen, sagten ein bisschen bitter zu mir, na, wir würden hier gerne eine Station weiter mitfahren, und sie konnten es nicht, weil alles zugesperrt war. Das ist kein Zustand, das muss beendet werden. Ich verstehe aber auf der anderen Seite auch die Position Israels, die sagen, na ja, wenn wir die Belagerung hier beenden wollen – was aus meiner Sicht richtig ist –, dann muss auch garantiert werden, dass die Terrorisierung der israelischen Bevölkerung beendet wird. Das heißt, wir haben hier ein zweiseitiges Problem nach wie vor und das lässt sich nur lösen, wenn diese beiden Seiten es auch miteinander lösen wollen.
    "Am Ende geht es um die Einsicht der politischen Führer auf beiden Seiten"
    Kapern: Und wenn die es nicht wollen?
    Liebich: Wenn sie es nicht wollen, dann sind die Zivilisten im Gazastreifen, aber auch die Bürgerinnen und Bürger Israels die Leidtragenden. Wir werden die beiden Seiten nicht von außen mit Gewalt zum Frieden zwingen können, am Ende geht es um Einsicht der politischen Führer auf beiden Seiten und da gibt es im Moment wenig Anlass zu Optimismus.
    Kapern: Kann man von außen eingreifen, indem man beispielsweise beiden Seiten den Geldhahn zudreht? Denn beide Seiten leben ja doch sehr stark von Unterstützung dritter Seite!
    Liebich: Wenn man sich da zum Beispiel den Gazastreifen anschaut, dann muss man sich auch fragen, wem man da am Ende schadet. Deutschland hat sehr viel getan im Gazastreifen, auch zur Verbesserung der humanitären Situation und der Infrastruktur, auch mit deutschen Steuermitteln sind dort wichtige Anlagen entstanden, ich finde das auch richtig, das muss auch fortgesetzt werden. Und sagen, wir beenden das jetzt und treffen damit die Hamas, ich glaube, das ist falsch. Auf der anderen Seite, und da ist wieder das Dilemma, wenn man sieht, was mit den internationalen Mitteln im Gazastreifen dann zum Teil gemacht wird, wenn man sieht, dass Tunnel gegraben werden eben nicht zur Versorgung der eigenen Bevölkerung, sondern auf israelisches Territorium, um dort Anschläge zu verüben, dann lässt einen das alles schon sehr zweifeln. Und trotzdem, uns muss es darum gehen, die Lage der Menschen im Gazastreifen zu verbessern, und deshalb sollte man das nicht stoppen.
    Palästinensische Zivilisten laufen während einer brüchigen Waffenruhe am 01.08.2014 an einem Berg von Schutt vorbei.
    Zivilisten kehren während einer Waffenruhe am 01.08.14 in ihre Häuser zurück, sofern sie nicht zerstört wurden. (afp / Mahmud Hams)
    "Das wäre eine Aufgabe für Zivilisten"
    Kapern: Jetzt haben Sie eben, Herr Liebich, gefordert, dass die EU, also damit auch Deutschland, sich wieder an diesen Kontrollen in Rafah beteiligen müsse. Die ARD hat gestern eine Umfrage gestartet mit dem Ergebnis, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Deutschen der Meinung ist, dass sich Deutschland dort nicht engagieren solle.
    Liebich: Ja, das habe ich auch gelesen. Und dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung da in Sorge ist, das verstehe ich gut. Ich bin aber trotzdem der Auffassung und bleibe auch dabei: Wenn wir irgendetwas dazu beitragen können, dass es der Zivilbevölkerung im Gazastreifen besser geht, und die Öffnung einer Grenze - besser noch mehrerer Grenzen - würde dazu beitragen, dann sollten wir das tun. Das vertrete ich auch, wenn aktuelle Meinungsfragen dazu ein anderes Bild ergeben.
    Kapern: Wer sollte das eigentlich machen im Auftrage Deutschlands oder im Auftrage der EU? Die Bundeswehr?
    Liebich: Nein, keinesfalls. Das wäre eine Aufgabe für Zivilisten, wegen mir auch Polizisten, darüber müsste man im Detail reden. Die Bundeswehr hat dort gar nichts zu suchen, das war auch beim letzten Mal nicht die Bundeswehr, die dort geholfen hat. Und das Ganze geht auch nur dann, wenn sich die Europäische Union darauf verständigt und sowohl die palästinensische Seite als auch die ägyptische Seite und die israelische Seite damit einverstanden sind.
    Kapern: Stefan Liebich, der Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, heute Mittag im Deutschland. Herr Liebich, danke, dass Sie Zeit für uns hatten! Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
    Liebich: Danke schön, Wiederhören!
    Kapern: Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.