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Familienmodelle im Wandel
Vater, Mutter, Kind war gestern

Ob verheirate oder unverheiratete Eltern, Alleinerziehende oder gleichgeschlechtliche Paare mit Kind: Noch nie waren Familienmodelle so vielfältig. Eine Berliner Tagung zum Thema "Familie von morgen" zeigte jedoch im Gegensatz dazu: Die Rollenbilder von Mann und Frau haben sich seit dem letzten Jahrhundert kaum verändert.

Von Ingeborg Breuer | 13.04.2017
    Weiße Figuren von einem Vater mit Kind und einer Familie mit Kindern kleben auf einer Glasscheibe.
    Die Familie hat für viele Menschen einen extrem hohen Stellenwert, egal in welcher Form. (pa/dpa/Jens Kalaene)
    "Im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg war der normative Bezugspunkt für die Familienpolitik in Westdeutschland das Familienmodell des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Und mit diesem Modell ging einher eine Geschlechterrollenteilung, wo der Mann für den Broterwerb zuständig war und die Frau für die Haushaltsführung."
    Dr. Christopher Neumaier, zurzeit Professor für Technikgeschichte an der TU München über das Familienmodell der Nachkriegszeit.
    "Als Regenbogenfamilien bezeichnet man inzwischen Lesben, Schwule, Trans-Menschen, Bisexuelle mit Kindern."
    Constanze Körner, Leiterin des Regenbogenfamilienzentrums Berlin über Familien im Jahr 2017.
    "Es ist klar, man muss bei dieser Art von Familie noch mal ganz genau hinschauen, wer sind die biologischen Eltern, wer können die rechtlichen Eltern sein, wer will die soziale Elternschaft übernehmen?"
    Ob traditionelle Kleinfamilie, unverheiratete Eltern mit Kind, ob Patchworkfamilie, alleinerziehend oder Regenbogenfamilie, viele "familiale Lebensformen" werden mittlerweile akzeptiert. Familie – was ist das heute?
    "Die dominierende Definition von Familie definiert Familie als eine Eltern-Kind -Beziehung, damit ist ein Elternteil und ein Kind bereits als Familie gesehen. Und diese Definition umfasst in der öffentlichen Debatte auch heterosexuelle und homosexuelle Paare mit Kindern."
    Die "Familie von morgen" war das Thema einer Tagung, die vergangene Woche in Berlin stattfand. Allerdings zeichneten viele Vorträge eher ein Bild davon, wie familiäres Leben sich heute gestaltet und welche Konsequenzen sich daraus ergeben könnten. Und die Freiburger Soziologieprofessorin Nina Wehner hob vorweg hervor: die "Erosion" des traditionellen Familienmodells habe keinesfalls zur Folge, dass die Bedeutung familialer Lebensformen abnimmt.
    "Gerade mit dieser neuen Wahlfreiheit von familialen Lebensformen sehen wir eher, dass Familie an Bedeutung enorm gewinnt, vor allem als emotionale Bezugsgröße. Familie als der Sehnsuchtsort für ganz viele Menschen. Und dafür sind Männer und Frauen bereit enorm viel Aufwand in Kauf zu nehmen."
    Ein Aufwand, der nicht zuletzt dadurch entsteht, dass alte Rollenverteilungsmuster nach wie vor bestehen, sich dazu aber noch weitere Ansprüche gesellen:
    "Sie sollen nicht nur die gute Mutter sein, sondern auch noch erwerbstätig, nicht nur der erwerbstätige Vater sein, sondern auch noch der gute, präsente Vater. Und sie wollen auch beides sein."
    Die Realität sieht meistens anders aus
    Das Leitbild vieler junger Paare ist heute eine egalitäre Aufteilung von Berufs- und Familienarbeit. Doch die Realität sieht meistens anders aus, weiß die Bochumer Leiterin des Forschungszentrums 'familienbewusste Personalpolitik', Prof. Irene Gerlach:
    "Wir wissen, dass es da einen Gap gibt, viel weniger leben das. Das kann an den Rahmenbedingungen hängen, dass zum Beispiel Möglichkeiten der Vereinbarkeit über Home Office, über flexible Arbeitszeitgestaltung nicht möglich ist, die Betreuungsmöglichkeiten nicht vorhanden sind oder so teuer, dass es sich nicht lohnt zu arbeiten."
    66 Prozent der Mütter mit Kindern arbeiten, die meisten davon in Teilzeit, oder sogar in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, während Männer in der Regel Vollzeitjobs haben. Irene Gerlachs Ideal wäre aber eine dauerhafte Aufteilung der Arbeit zu gleichen Teilen, etwa dass beide Eltern je 30 Stunden arbeiteten. Dies sei schon aus Gründen der sozialen Absicherung im Scheidungsfall erforderlich. Solange allerdings Frauen eher zum Beispiel Kultur- als Ingenieurwissenschaften studierten oder weniger aufstiegsbewusst seien, sei dies ökonomisch oft nicht machbar.
    "Dieses 30:30-Modell funktioniert nur, wenn die Geschlechter sich gleich verteilen über die Branchen und die Hierarchieebenen, und davon sind wir weit entfernt. Und deshalb ist das eine pragmatische Entscheidung bei vielen, dass wir wieder bei dem 1,5-Stellen-Arrangement landen."
    Ein Rollentausch fällt schwer
    Wie wirksam traditionelle Geschlechternormen auch in modernen Paarbeziehungen noch sind, diagnostizierte auch Dr. Sarah Speck vom Frankfurter Institut für Sozialforschung. In einem Projekt untersuchten sie und ihre Kollegin Cornelia Koppetsch Paare, in denen Frauen die Hauptverdienerinnen sind. Und nicht nur in traditionellen kleinbürgerlichen Milieus tut man sich schwer mit dem Rollentausch, sondern ebenso - bis auf einige Ausnahmen - auch in hochgebildeten Milieus.
    "Da ist es so, dass die Frauen oft, um einen Statusverlust des Mannes zu verhindern, daran interessiert sind, dass ihr männlicher Partner außerhäusig seiner künstlerischen, kreativen Arbeit nachgeht, sei sie noch so schlecht entlohnt. Sie sind eher bereit, einen großen Teil der Haus- und Familienarbeit trotz ihres Ernährerinnenstatus zu übernehmen, um sozusagen das Bild einer gleichberechtigten Beziehung aufrecht zu erhalten."
    Auch bei der Partnerwahl, hätten Forschungen zum Onlinedating ergeben, suchten Frauen nach wie vor Männer, die in einer besseren Position, etwas älter und zudem einen Kopf größer seien. Und jene Paare, die aus dem traditionellen Schema ausscheren?
    "Das sind hochkonfliktive Partnerschaften. Es geht um Statuskonkurrenz, es geht um prekäre Männlichkeit, aber auch für die Partnerinnen ist die Frage, ist mein Mann attraktiv? Man kann da nur hoffen, dass der gesellschaftliche Wandel etwas schneller voran geht, denn tatsächlich haben wir es international in allen westlichen Länder mit einer steigenden zunehmenden Zahl von Familienernährerinnenhaushalten tun."
    Zunehmende Akzeptanz von Regenbogenfamilien
    "Was ich aus meinen Studien zur Familie gelernt habe, ist, dass es ziemlich viele Prognosen gegeben hat. Zum Beispiel hat man den Tod der Familie in den 1970er-Jahren proklamiert und in den 80er-Jahren hat die Familie eine sehr hohe Wertschätzung erfahren in der Gesellschaft."
    Historiker Christopher Neumaier ist skeptisch, ob man schon heute Aussagen über die "Familie von morgen" machen kann, wie es Intention der Tagung war. Aber klar ist: Die traditionelle Familie ist mittlerweile ein, wenn auch weiterhin bedeutsames Modell unter verschiedenen. Und die Akzeptanz gegenüber der Vielfalt 'familialer Lebensformen' nimmt zu. Auch Regenbogenfamilien, so Constanze Körner, die mit ihrer Partnerin selbst zwei Kinder hat, würden mittlerweile zunehmend als 'normale' Familien toleriert.
    "Wenn man sich anguckt, wie in den Medien, in Kampagnen Regenbogenfamilien dargestellt werden, zuletzt hat die Telekom ne große Kampagne gemacht zu Familienangeboten innerhalb der Telekom. Und da waren Frauenpaare mit nem Kind plakatiert, das trägt natürlich ungeheuer zu einer Akzeptanz dieser Familienformen bei."