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Gaza-Offensive
"Man kann die sture israelische Politik verstehen"

Man solle die israelische Offensive gegen Hamas nicht als einen israelischen Krieg sehen, sondern als einen Krieg, den die Hamas sehr energisch durchgeführt habe, sagte John Kornblum im DLF. Israel reagiere nur darauf, ergänzte der ehemalige US-Botschafter in Deutschland.

John Kornblum im Gespräch mit Bettina Klein | 29.07.2014
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    John C. Kornblum, ehemaliger Botschafter der USA in Deutschland (dpa / Horst Galuschka)
    "Beide Kriegsparteien sind so weit voneinander entfernt", sagte Kornblum. Weder die Israelis noch die Hamas lassen Raum für Kompromisse.
    Im Hinblick auf die US-Vermittlungsversuche von US-Außenminister John Kerry sagte Kornblum: "Kerry hat über die letzten vier Wochen schwer daran gearbeitet, einen Waffenstillstand und ein Fundament für die Zukunft zu finden. Präsident Obama und Kerry werfen sich in die Bresche, auch wenn es aussichtslos aussieht". Die US-Regierung suche nach Lösungen, unterstrich Kornblum.
    EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland
    Im Hinblick auf die EU-Einigung, nun Sanktionen gegen Russland zu vereinbaren, sagte Kornblum über den Finanzsektor: "Ziel ist nicht, die russische Wirtschaft in die Knie zu zwingen, sondern hoffentlich Russland in Richtung einer Verhandlung zu bringen und die Kriegshandlung [Anm. d. Redaktion: in der Ukraine] zu verändern." Mit den Sanktionen soll Russland dazu bewegt werden, seine Unterstützung für die Aufständischen in der Ostukraine aufzugeben.
    Kornblum ergänzte, es gehe bei den Sanktionen nicht um das Erreichen einer schnellen Lösung, sondern darum, dass man als Westen Einigkeit demonstriere. "Dass man verhandeln will, aber nur, wenn Kriegshandlungen verändert werden". Sanktionen seien nie dazu da, um kurzfristige Lösungen herbeizubringen, sondern um längerfristige Strategien zu unterstützen, unterstrich Kornblum.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland und ehemaliger Deutschland-Chef eines US-amerikanischen Bankhauses. Ich grüße Sie, Herr Kornblum!
    John Kornblum: Guten Morgen!
    Klein: Es hat ja auch Telefongespräche gestern schon gegeben zwischen Präsident Obama und Staatschefs europäischer Länder. Beim Thema Sanktionen gegen Russland ziehen USA und Europa da also jetzt an einem Strang?
    Kornblum: Sieht so aus, ja, sieht so aus. Ich glaube, die Entwicklungen in Ukraine und die Rolle von Russland werden immer klarer, und man sieht, dass zu diesem Zeitpunkt es wirklich kaum andere Alternativen gibt, als mehr Sanktionen und greifendere Sanktionen zu vereinbaren.
    Klein: Es hat aufseiten der Vereinigten Staaten wohl auch große Verärgerung - zumindest hinter den Kulissen - über die Europäer gegeben, die sich beim Thema Sanktionen aus Sicht der US-Regierung da zu langsam und zu zögerlich verhalten hätten. Das ist damit jetzt auch erledigt?
    Kornblum: Nehme ich an. Ich meine, wir sind immer frustriert mit den Europäern, aber im Endeffekt, wenn man lange genug redet und offen genug debattiert, dann kommt man immer zu einem guten Ergebnis.
    Klein: Welche Restriktionen gibt es denn vonseiten der USA bereits? Wie man lesen konnte, sind vier russische Geldinstitute vom Geldzufluss amerikanischer Investoren abgeschnitten. Ist das richtig?
    Kornblum: Das ist richtig, und natürlich: Auf beiden Seiten des Atlantiks pointiert man die Sanktionen auch auf enge Mitarbeiter, enge Unterstützer von Putin, und versucht sozusagen, die Politik, die man in Ukraine macht, so schwierig wie möglich zu machen.
    Klein: Wie schwerwiegend wäre es dann eben, wenn eben auch von europäischer Seite auf dem Finanzsektor diese Sanktionen beschlossen würden, das heißt, sowohl der Dollar- als auch der Euro-Hahn abgedreht würde? Der frühere Ministerpräsident Kasjanow spricht davon, dass die russische Wirtschaft binnen sechs Wochen zusammenbrechen könnte. Kann das denn das Ziel sein?
    Russland mit Sanktionen zu Verhandlungen führen
    Kornblum: Das weiß ich nicht, ob das passieren würde. Ich glaube, der Punkt hier ist die Finanzierung, und schon seit der letzten Runde der amerikanischen Sanktionen hat es erhebliche Schwierigkeiten in Russland gegeben, und man sieht, dass es auch Kapitalausfluss gibt und auch, dass viele Menschen das Land verlassen. Man muss hier darüber im Klaren sein - und ich war gerade vier Tage in Ukraine, in West-Ukraine, nebenbei gesagt -, und man sieht, dass das Land sehr einig ist in dem Gefühl, dass sie angegriffen werden und dass es einen Krieg gibt. Und das Ziel von aller dieser Sanktionspolitik ist nicht, die russische Wirtschaft in die Knie zu zwingen, überhaupt nicht, sondern hoffentlich Russland in Richtung einer Verhandlung zu bringen und auch vor allem die Kriegshandlungen zu ändern und die Lage in Ukraine wieder zu normalisieren.
    Klein: Aber die Zweifler, diejenigen, die Zweifel äußern an der ganzen Sanktionspolitik, verweisen auf Präsident Putin, der ja weiterhin sich sehr sicher fühlt und zum Beispiel sagt bei den Rüstungsexporten, das sei sowieso alles altmodisches Zeug gewesen, was man geliefert habe. Also es hat ja im Augenblick nicht den Anschein, dass man mit den Sanktionen das bewirken könnte, was man eigentlich beabsichtigt.
    Kornblum: Ja, nein, das würde ich nicht sagen. Sie brauchen nur die verschiedenen Statistiken und auch einige Hiobsbotschaften aus Russland zu sehen, und Sie sehen, dass die Sanktion Russland direkt betrifft. Aber der Punkt hier ist nicht so sehr, dass man eine schnelle Lösung herbeibringt, sondern dass man einige Sachen demonstriert, erstens Einigkeit des Westens, zweitens, dass es Putin klar wird, dass man mit ihm verhandeln will, aber nur, nachdem er die Kriegshandlungen ändert, und drittens, dass man eine längerfristige Strategie hat, die Lage wieder zu normalisieren. Sanktionen sind nie - und es gibt lange Erfahrungen mit Sanktionen, gute und schlechte -, sie sind nie dazu da, um eine kurzfristige Lösung herbeizubringen, sie sind immer da, um eine längerfristige Strategie zu unterstützen.
    Klein: Beim Thema Sanktionen gegen Russland im Zusammenhang mit der Ukrainekrise sieht es nun also nach so etwas wie Einverständnis, Einigung aus, nicht nur unter den europäischen Staaten, sondern offenbar auch mit den USA. Wir sprechen darüber mit John Kornblum, dem früheren Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland. Bei einem anderen Krisenherd und Kriegsschauplatz, muss man sagen, Herr Kornblum, schauen alle im Augenblick entsetzt und gebannt zu und auch US-Außenminister Kerry war nicht erfolgreich. Ich spreche von der neuen Offensive Israels im Gazastreifen, seit gestern Abend wieder Angriffe. Herr Netanjahu spricht von einem langen Feldzug, und da schauen jetzt alle zu, auch die Vereinigten Staaten.
    Kerry hat Frustration über Israel-Politik geäußert
    Kornblum: Ja, man hat ... Da muss man sehen, welche verschiedenen Verantwortlichkeiten die Vereinigten Staaten treffen. Kerry hat über die letzten vier Wochen wirklich hart versucht, wirklich schwer dran gearbeitet, erstens einen Waffenstillstand und zweitens hoffentlich ein Fundament für die Zukunft zu finden. Aber in diesem Fall sind die beiden Parteien - hier muss man wirklich sagen, die beiden Kriegsparteien - so weit voneinander entfernt. Es ist nur wie auch sehr oft hier in der Presse auch erwähnt worden: Man soll das nicht als einen israelischen Krieg gegen den Hamas sehen, sondern man muss das sehen als einen Krieg, das Hamas sehr energisch durchgeführt hat und dass diese israelische Reaktion jetzt sehr stark ist. Kerry selber hat Frustration über die israelische Politik geäußert, ich finde, mit Recht. Aber man muss sich ja auch darüber im Klaren sein, was da passiert.
    Klein: Aber Netanjahu selbst spricht ja wenn nicht von Krieg gegen Hamas, so doch davon, dass die Offensive in jedem Fall weitergehen werde, bis Gaza völlig entmilitarisiert ist, also er selbst trifft ja diese Wortwahl.
    Kornblum: Ja. Ich meine, das ist natürlich ein starkes Wort, und ob man das durchführen kann und ob die Internationale Gemeinschaft das tragen wird, werden wir sehen. Das Problem ist und die Tragik ist, dass die Situation so pointiert geworden ist, so auf die Spitze gebracht wird, dass weder die Israelis noch Hamas sehr viel Raum oder sehr viel Bereitschaft haben zum Kompromiss. Ich habe ein Interview mit dem Hamas-Führer neulich im Fernsehen gesehen, wo er überhaupt keine Kompromissbereitschaft gezeigt hat, überhaupt nichts. Und wenn das der Fall ist, dann kann man verstehen, dass die israelische Politik auch ziemlich stur ist.
    Klein: Befürworten Sie denn, was wir da im Augenblick gerade sehen, also halten Sie das selber auch für das einzige Mittel, was den Israelis zur Verfügung steht in der Situation?
    Kornblum: Ich weiß es nicht. Ich bin natürlich nicht für Krieg, ich finde auch, es gibt schreckliche Szenen, was da passiert, auch für die Zivilbevölkerung. Man kann das nicht unbedingt befürworten. Aber wieder, wir kommen wieder mit demselben Punkt wie in Ukraine: Wenn man versucht, wenn man Diplomat ist, wie ich lange Jahre gewesen bin, dann redet man nicht dafür, ob man das befürwortet oder nicht, sondern versucht, zu sehen, wo Lösungsmöglichkeiten sind.
    Klein: Der amerikanische Außenminister hat ja vergangenen Sommer, Herr Kornblum, eine längerfristige Vermittlungsmission gestartet. Sie war auf neun Monate angesetzt, und sie ist dann letzten Endes im Frühjahr zu Ende gegangen mit einem erklärten Scheitern.
    Kornblum: Genau.
    Bush-Administration hat Lage in Israel vernachlässigt
    Klein: Muss man sagen, dass das auch ein Teil des Scheiterns der Außenpolitik von Obama ist?
    Kornblum: Nein, überhaupt nicht. Ich würde genau das Gegenteil sagen. Das zeigt, wie engagiert Obama ist und vor allem John Kerry ist in einer Situation, die viele als vielleicht ausweglos bezeichnen würden, ... eine Lösung zu finden. Es hat mehrere Jahre gegeben unter George Bush zum Beispiel, wo die Amerikaner überhaupt nichts probiert, versucht haben, weil sie glaubten, da war nichts zu suchen. Obama und Kerry machen genau das Gegenteil. Sie werfen sich sozusagen in die Bresche, auch, wenn das hoffnungslos aussieht, weil man weiß, dass man die Lage einfach nicht unbearbeitet, benutzen wir das Wort, da liegen lassen kann.
    Klein: Bisher ohne Erfolg. Wird es eine weitere Vermittlungsmission, eine weitere Vermittlungsoffensive der amerikanischen Regierung geben?
    Kornblum: Kann man nicht sagen. Ich nehme an, sie werden jetzt nach Hause gehen und das alles überlegen und sehen, was jetzt zu machen ist. Aber ich glaube, der Punkt hier ist, dass im Gegensatz zur Vergangenheit, ich persönlich sage das einfach jetzt, ich persönlich finde das sehr schade, wie die Bush-Administration die Lage in Israel vernachlässigt hatte über fast acht Jahre, ... und jetzt leben müssen mit den Konsequenzen davon. Und ich glaube, Kerry versteht das und dass er nicht aufgeben wird.
    Klein: Sagt der frühere US-Botschafter in Deutschland John Kornblum heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Kornblum!
    Kornblum: Ja, ich bedanke mich!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.