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Band Dirty Projectors
Experimentierfreude auf fünf EPs

Zu viele Songs für eine Single und zu wenige für ein Album, das kennzeichnet eine EP. Die Band Dirty Projectors hat der "Extended Play" ein ganzes Projekt gewidmet, mit gleich fünf ganz unterschiedlichen EPs. Vier davon sind schon erschienen.

Von Sophie Emilie Beha | 01.11.2020
    Drei junge Frauen und zwei Männer posieren vor einer Fensterfront. Im Hintergrund sieht man einen Orangenbaum.
    Die Dirty Projectors in ihrer aktuellen Besetzung: Kristin Slipp, David Longstreth, Felicia Douglass, Maia Friedman und Mike Daniel Johnson (v.l.) (Jason Frank Rothenberg)
    Musik: "Eyes on the Road"
    Sanfte Holzbläser und eine verträumte Melodie, das ist für die Band Dirty Projectors eher ungewöhnlich. Bisher steht die New Yorker Gruppe eher für schräge Harmonien, elektronisch verfremdete Klänge und vertrackte Rhythmen. In ihrem aktuellen Projekt "5 EPs" geht die junge Band allerdings neue Wege, klanglich und in der Besetzung. Denn die Gruppe um Singer-Songwriter David Longstreth präsentiert damit auch das aktuelle fünfköpfige Ensemble. Pro Mini-Album steht jeweils ein Mitglied im Vordergrund. Seine Bandkollegen haben Longstreth zu diesem Projekt inspiriert. Die aktuelle Besetzung existiert seit etwa eineinhalb Jahren, die Dirty Projectors hat Longstreth 2002 gegründet.
    "Das ist so eine gute Band. Und jeder Einzelne ist so stark und einzigartig, dass ich angefangen habe, über eine Alben-Reihe oder ein Format nachzudenken, das sowohl die Einheit der Gruppe als auch die Stärke jedes einzelnen Mitglieds hervorheben kann."
    Auch musikalisch zeigt jedes Mini-Album eine andere Facette. David Longstreth, der auch schon für Solange und Bombino geschrieben hat, hat seinen Bandmitgliedern die Songs auf den Leib komponiert. Wie "Lose your Love" für Felicia Douglass. Bisher war sie bei Dirty Projectors an Keyboards, Schlagzeug und als Background-Stimme zu hören.
    Musik: "Lose Your Love"
    Recyclingkunst in Höchstform
    Ein Song, bestehend aus vielen kleinen Bausteinen, die David Longestreth immer wieder neu zusammensetzt. Obwohl seine Kompositionen nicht so klingen, sind sie oft sehr verkopft und Ergebnis eines langen Experimentier-Prozesses. Das zeigt sich besonders auf der letzten EP "Earth Crisis". Hier verwendet er alte Samples, die er auf einer Festplatte wiedergefunden hat, außerdem Material von Live-Auftritten und eigene Bearbeitungen seiner Songs für Bläserquintett und Streichquartett. Dazu mischt er Loop-Effekte, Tonhöhenverschiebungen und den Nachhall von Akkorden. Es ist also Recyclingkunst in ihrer Höchstform.
    "Ich liebe diesen Prozess der Collage. Es ist nur ein Mittel, um zu dem Wesentlichen zu gelangen, das jedoch schwer zu fassen ist. Das ist es, was ich am Sampling oder am Transformieren von Klang so liebe. Und für mich ist das wirklich ein Nebeneinander: Du hast einen Akkord, der sich wie eine Sache anfühlt, und dann hast du eine Melodie, die sich wie eine andere Sache anfühlt. Und wenn du diese beiden Dinge zusammenführst, entsteht diese dritte Sache. Sie enthält zwar beide Einzelteile, ist aber trotzdem völlig neu durch diese dritte hinzugefügte Ebene. Und das liebe ich."
    Ein Mann steht vor einem Fenster und spielt eine klassische Gitarre.
    David Longstreth und seine Gitarre - das genügt für die dritte EP "Super João". (Jason Frank Rothenberg)
    David Longstreth dekonstruiert seine Musik, um die Schnipsel zu einem neuen Bild zusammenzusetzen. Er will in seiner Musik Lücken schließen zwischen Gegensätzen, die auf den ersten Blick unvereinbar scheinen, beispielsweise abstruse Akkordverbindungen und stolpernde Rhythmen. Er will gleichzeitig die eine Tür schließen und eine andere öffnen. Ein Beispiel dafür ist der Song "Now I know".
    "Der letzte Akkord des Liedes "Now I know" hatte diese Melodie im Sinn. Und der Akkord, auf dem Kristin ihre letzte Note singt, stammt aus einem anderen Teil des Arrangements. Aber ich habe diesen Akkord genommen und dort platziert. Das "Now I know" ist wie eine klassische Auflösung der Melodie, aber der Akkord, auf dem sie endet, ist irgendwie ungelöst. Und so erhält man beides gleichzeitig: Auflösung und Fortsetzung."
    Musik: "Now I know"
    Von Mahler bis João
    Die vorletzte EP der Reihe stellt die Keyboarderin und Sängerin Kristin Slipp in den Vordergrund. Obwohl der Titel "Earth Crisis" lautet, hat er rein gar nichts mit der Corona-Pandemie zu tun, sondern stellt philosophische Fragen. Es geht um das Narrativ des Menschseins auf der Erde - Verantwortung und Sinnsuche. Klanglich hat sich David Longstreth dabei am klassischen Komponisten Gustav Mahler orientiert. Der 38-Jährige liebt Mahlers Klangfarben und verträumte Atmosphären und will "Earth Crisis" weiterführen. Dafür arbeitet er aktuell mit dem Berliner Dirigenten André de Ridder zusammen.
    Musik: "Holy Maquerel"
    Nur eine Gitarre und die Stimme von David Longstreth, das genügt für die dritte EP der Reihe. Sie heißt "Super João" und erinnert an den Erfinder des Bossa Nova, João, der letztes Jahr gestorben ist. David Longstreth hat seine Songs schon als Kind viel gehört. Wie Gilbertos Musik lebt diese EP von leisem Gesang und rhythmischen Gitarrenakkorden. An einigen Songs hat Longstreth jahrelang herumgetüftelt. "Holy Maquarel" dagegen schrieb er in nur einem halben Jahr.
    "Der Song ist über meine Frau Theresa. Ihre ersten Worte waren "Holy Maquerel", zumindest sagen ihre Familie und sie das. Und ich liebe das einfach. Es ist wie ein großes Staunen. Und dass genau das ihre ersten Worte waren, das ist so typisch sie. Es ist cool."
    Musik: "Holy Maquerel"
    Ein Mann blickt auf ein Bild eines Baumes, das an einer leeren, weißen Wand hängt. Man sieht ihn von hintern. Er trägt eine dunkelblaue Mütze und einen dunkelblauen Pullover.
    Das Cover der letzten EP "Ring Road". (Credit: Jason Frank Rothenberg)
    Die nächste EP der Reihe heißt "Ring Road" und erscheint am 20. November. Sie ist zugleich Abschluss und Höhepunkt, denn auf ihr singen zum ersten Mal alle vier Stimmen der vorherigen EPs zusammen. Als Gruppe loten sie die musikalische Bandbreite weiter aus und vereinen unterschiedliche Musikstile und Charaktere der Band. Die Dirty Projectors forschen gemeinsam und wagen Experimente. Und gerade das macht die fünf Mini-Alben so spannend.