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Pharmaskandal zieht Kreise
Brandenburgs Regierung unter Druck

Der Skandal um gestohlene und möglicherweise unwirksame Krebsmedikamente eines Brandenburger Zwischenhändlers spitzt sich zu. Die Politik bemüht sich um Aufklärung. Trotzdem steht die Gesundheitsministerin von der Linken enorm in der Kritik - mit Folgen auch für ihre Partei und die Landesregierung.

Von Vanja Budde | 23.08.2018
    Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze (Die Linke) auf einer Pressekonferenz zum illegalen Handel mit Krebs-Medikamenten aus Griechenland. Ein Arzneimittelgroßhändler aus Brandenburg soll aus griechischen Krankenhäusern gestohlene Medikamente vertrieben haben.
    Kämpft um ihr Amt: Brandenburgs Gesundheitsminsterin Diana Golze (Linke) (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke):
    "Liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger, liebe Patientinnen und Patienten, ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, deshalb wende ich mich heute persönlich an Sie. Die Opposition möchte, dass ich bis zum Ende dieser Woche einen Vorgang aufkläre, der internationale Größenordnungen hat."
    9. August 2018: Die Brandenburger Gesundheitsministerin Golze steht in einem Garten, die tiefroten Haare wie immer in letzter Zeit straff zurück gebunden, ein puscheliges kleines Mikrofon an das schwarze Top geklemmt. Die Linken-Politikerin ist blass und schmal, doch sie kämpft um ihr Amt: Sie dreht einen Zwei-Minuten-Film und stellt ihn auf Youtube ein, die Kommentarfunktion ist allerdings deaktiviert.
    Medikamente via Brandenburg in alle Bundesländer
    Aufklären wolle sie den Riesenskandal um gestohlene Krebsmedikamente, sagt Golze darin. Medikamente, die ein Brandenburger Großhändler jahrelang vertrieb: Das Landesgesundheitsamt nahm die Substanzen nicht vom Markt, obwohl es schon 2016 Hinweise gab, obwohl die Staatsanwaltschaft ermittelte. Auch die Gesundheitsministerin wurde nicht informiert, wie sie sagt.
    "Ich möchte eine ordentliche, eine tiefgründige und eine vorbehaltlose Aufklärung Das ist mein großes Anliegen, und das sehe ich auch als meine Verantwortung als Ministerin. Ich habe das versprochen und ich sähe einen Rücktritt, wie er derzeit insbesondere von der Opposition und in manchen Medien mir nahegelegt wird, als Flucht vor der Verantwortung."
    Die von einer Diebesbande geraubten Medikamente wurden via Brandenburg in alle Bundesländer geliefert. Niemand weiß, wie viele Krebspatienten betroffen sind. Deren Unsicherheit ist groß. Auch weil unklar ist, ob die Medikamente wegen falscher Lagerung möglicherweise unwirksam waren. Golze hat eine siebenköpfige so genannte Task-Force gebildet: Pharmazeutische Experten, aber auch ihre eigene Staatssekretärin sollen klären, was da im Landesamt und im Ministerium schief gelaufen ist. Golze:
    "Wenn in dem Bericht steht, 'Die Ministerin hat hier persönliche Schuld auf sich geladen', bin ich die Erste, die Schlussfolgerungen zieht."
    "Momentan hat Frau Golze mein volles Vertrauen"
    Zum Schwur kommt es am 28. August: Dann soll die Task-Force einen ersten Zwischenbericht vorlegen. Die Aufklärung wurde also delegiert. Der Opposition reicht das nicht: Golze müsse selber ihren Laden aufräumen, wenn sie schon nicht zurücktrete. Im Gesundheitsausschuss des Landtages geht das stundenlang hin und her, bis Steeven Bretz von der oppositionellen CDU der Kragen platzt:
    Steeven Bretz: "Herr Ministerpräsident, stellen Sie sich vor Ihre Fachministerin? Und die Frage lautet schlicht und ergreifend, ein Ja und ein Nein reicht: Hat die Fachministerin Ihr vollständiges Vertrauen in dieser Frage und Angelegenheit?"
    Dietmar Woidke: "Wenn ich dieses Vertrauen in meine Fachministerin nicht hätte, dann müsste ich sie heute schon entlassen. Und deswegen können Sie schon daraus schließen, dass ich dieses Vertrauen habe. Sie arbeitet intensiv an der Aufklärung. Momentan hat Frau Golze mein volles Vertrauen."
    Momentan: Am kommenden Dienstag werden die Karten neu gemischt. Und die Linke steht ein Jahr vor der Landtagswahl ohne Spitzenkandidatin da. Dafür war Golze nämlich jahrelang systematisch aufgebaut worden. An der Parteispitze steht seit kurzem ein Frauen-Duo: Diana Golze und Anja Mayer. Co-Chefin Mayer ist redlich bemüht, das Drama herunterzuspielen, hat vor lauter Stress aber wieder mit dem Rauchen angefangen. Was passiert, wenn Diana Golze sich nicht im Amt halten kann?
    "Darum werden wir uns zu gegebener Zeit kümmern, wenn es so weit ist und wenn es überhaupt dazu kommen sollte. Wir haben eine ganze Reihe von profilierten Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitikern, auch im ganzen Bundesgebiet im Übrigen."
    Parteikollegin bemüht sich, Ruhe auszustrahlen
    In ihrem gemütlich eingerichteten Büro in der Geschäftsstelle der Linken sinkt Anja Mayer erschöpft in eine Ecke des grünen Sofas: In der rot-roten Landesregierung kriselt es im Moment nicht nur wegen des Pharmaskandals: Die Abschiebung von drei Flüchtlingen nach Afghanistan sorgt ebenso für Ärger wie die geplante Verschärfung des Polizeigesetzes durch den SPD-Innenminister. Die Nächte sind kurz, die Tage lang für Anja Mayer. Und woher nun eine Spitzenkandidatin nehmen? Bald fängt der Wahlkampf an, die AfD liegt den Umfragen zufolge bei 21 Prozent, die Linke bei 18.
    "Das werden wir zu gegebener Zeit entscheiden. Wir haben Ende Januar unsere LandesvertreterInnen-Versammlung, wo wir unsere Liste aufstellen, und davor werden wir entscheiden, wer die Spitzenkandidatur übernimmt."
    Nur zwei Kilometer sind es von der Geschäftsstelle der Linken am Neuen Garten zum Landtag. Die Sonne scheint über Potsdam, seit Monaten schon. Drinnen im schweinchenrosa getünchten Parlament sitzt der Oppositionsführer auf einem schwarzen Ledersofa, das noch ganz neu riecht: Ingo Senftleben, CDU-Fraktionsvorsitzender.
    "Politik hat die Aufgabe, in Krisensituationen a) zu reagieren, aber auch Verantwortung zu übernehmen. Und weder das eine noch das andere wird derzeit wirklich auch wahrgenommen."
    Kooperation mit Linken für CDU weiter denkbar
    Trotz des Pharmaskandals schließt der CDU-Chef eine künftige Koalition seiner Partei mit der Linken weiter nicht aus. Zumal das politische Potsdam gerade elektrisiert beobachtet, dass die Linke im Kreis Ostprignitz-Ruppin den CDU-Landratskandidaten mitwählen will und darüber hinaus mit der CDU eine Kooperationsvereinbarung für die nächsten acht Jahre geschlossen hat. Aber an der rot-roten Landesregierung lässt Senftleben kein gutes Haar: Wohin man blicke, nur noch Krisen, meint er. Senftleben fordert den Hinauswurf der Gesundheitsministerin, besser noch, gleich Neuwahlen:
    "Am Ende unterscheiden auch zu Recht die Bürger nicht nach Regierung und Opposition, da sagt man in Gänze: 'Die Politik ist nicht in der Lage zu handeln.' Und vor allen Dingen sagt man auch: 'Der Staat funktioniert nicht mehr so, wie der Staat funktionieren muss.' Und wenn das Vertrauen in den Staat verloren geht, dann glaube ich, werden wir als Politik das auch zu spüren bekommen."