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GDL-Streik
"Eine Schlichtung erzwingen ist schwierig"

Der achte Streik innerhalb von zehn Monaten: Der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ulrich Lange, sieht "die Grenze der Verhältnismäßigkeit erreicht". Dennoch sei das Streikrecht eine verfassungsmäßige Errungenschaft, an der die Politik nicht rütteln dürfe, sagte er im DLF. Wichtig sei deshalb die Verhandlungsbereitschaft sowohl der GDL als auch der Bahn.

Ulrich Lange im Gespräch mit Jürgen Liminski | 05.05.2015
    Ansicht vom Bahnsteig im Berliner Hauptbahnhof.
    Streik der Lokführer: Lange fordert eine ernsthafte Lösung am Verhandlungstisch (imago/Westend61)
    Sandra Schulz: Jetzt schon zeichnet sich ab, dass in den städtischen Kitas die Zeichen ab Ende der Woche auf Streik stehen. Aber die Eltern, die mit ihren Kindern vor dem Streik fliehen wollen, zum Beispiel, falls die Arbeit das erlaubt, in einen Spontanurlaub, die haben ein Problem, wenn sie Bahnfahren wollen, denn seit drei Stunden läuft der andere große Streik dieser Republik: der Bahnstreik. Millionen Bahnreisende müssen umdisponieren. Nach Angaben der Bahn fahren laut Notfallfahrplan von den Fernzügen jeder dritte und im Regionalverkehr, da gibt es keine feste Quote. Da spricht die Bahn von 15 bis 60 Prozent des regulären Angebots. Aus der Wirtschaft kam gestern schon die Zahl, der Streik werde eine halbe Milliarde Euro kosten. Über diese jüngste Eskalation im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn hat mein Kollege Jürgen Liminski am Abend hier im Deutschlandfunk mit Ulrich Lange gesprochen, mit dem verkehrspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
    Jürgen Liminski: Herr Lange, ein, zwei Tage kann die Wirtschaft so einen Streik gut aushalten, können auch die Bürger irgendwie überbrücken. Eine Woche aber haut richtig rein ins Kontor. Hat dieser Streik das Maß verloren?
    Ulrich Lange: Die Frage der Verhältnismäßigkeit dieses Streiks - und das ist ja nicht der erste Streik der GDL, der achte Streik innerhalb von zehn Monaten - hat natürlich langsam die Grenze der Verhältnismäßigkeit erreicht und es müssen sich die Beteiligten, und zwar alle Beteiligten darüber im Klaren sein, dass weder bei den Reisenden, bei den Pendlern noch irgendein Verständnis dafür da ist, aber natürlich auch in der Wirtschaft das Verständnis langsam gegen null geht.
    Liminski: Haben Sie denn Verständnis für die Ängste der GDL, dass ein neues Tarifgesetz aus dem Hause Nahles die Kleingewerkschaften zur Bedeutungslosigkeit verurteilen könnte?
    Lange: Das Gesetz zur Tarifeinheit, zu dem ja heute auch die Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales stattgefunden hat, will natürlich eine gewisse Bündelung vornehmen. Aber letztlich darf und wird kein Gesetz das Streikrecht aushöhlen können.
    "Wir sollen am Ende Tarifeinheit"
    Liminski: Das heißt, diese Ängste der GDL sind unbegründet?
    Lange: Am Ende muss es beim grundgesetzlich gewährleisteten Streikrecht bleiben. Das ist eine verfassungsmäßige Errungenschaft, die wir haben, auch zwischen den Sozialpartnern. Dass wir dann in die Frage der Verhältnismäßigkeit kommen, das liegt auf der Hand. Das können wir als Politik auch nie abschließend lösen, wollen wir auch nicht lösen, denn wir wollen am Ende Tariffreiheit.
    Liminski: Könnte die Bahn hier nicht nachgeben und das Risiko von unterschiedlichen Abschlüssen für dieselbe Berufsgruppe eingehen? Das könnte unter dem Strich ja preiswerter sein, jedenfalls für Deutschland insgesamt.
    Lange: Das ist eine Sache der Bahn, die hier als Unternehmen verhandelt. Wie gesagt, das ist nicht Sache der Politik, sich in direkte Tarifverhandlungen einzumischen.
    Liminski: Sie sagen, die Politik steht da außen vor. Aber kann die Politik nicht doch etwas handeln, etwa nach einem Ultimatum Lokführer suchen und einsetzen, die gewerkschaftlich nicht organisiert sind, oder Busse der Bundeswehr einsetzen, oder sind Sie wirklich völlig machtlos?
    Lange: Nein, ich glaube nicht, dass wir machtlos sind, sondern wo ich unsere Aufgabe als Politik sehe, einfach Spielregeln für solche Streiks zu finden. Die Spielregeln, die heißen Ankündigung, rechtzeitige Ankündigung, Sicherstellen einer Rundversorgung, aber wie gesagt keine Aushöhlung des Streikrechts.
    Liminski: Aber die Grundversorgung, was umfasst die denn? Die ist ja hier nicht mehr gegeben.
    Lange: Die Grundversorgung wäre erst dann nicht mehr gegeben, wenn es auch keinen Notfahrplan mehr geben würde. Dann kommt man irgendwann zur Frage, ob am 4., 5., 6., 7., 8. Streiktag hier wirklich die Grundversorgung eingeschränkt wäre.
    "Eine Schlichtung erzwingen ist schwierig"
    Liminski: Die Fronten sind nun völlig verhärtet. Kann man nicht eine Schlichtung erzwingen im Sinne des Gemeinwohls? Es kann doch nicht sein, dass ein Land stillsteht wegen ein paar Zehntel Prozent oder Fragen, die zu Prinzipien erhoben werden.
    Lange: Eine Schlichtung erzwingen ist schwierig. Dass ein Land deswegen komplett stillsteht, würde ich so auch nicht unterstreichen, sondern es geht hier wirklich um die Frage der Verhältnismäßigkeit und es geht schon auch um die Verantwortung der Beteiligten, und jetzt sage ich noch mal ausdrücklich beider Beteiligten, hier an einem Tisch wirklich ernsthaft eine Lösung suchen zu wollen.
    Liminski: Ein kleiner Haufen von Lokführern, nennen wir es mal so, nimmt einen Großteil der gesamten Erwerbsbevölkerung in Geiselnahme für seine machtpolitischen Ziele. Gibt es da wirklich keine rechtlichen Möglichkeiten, diese Geiselnahme zu beenden?
    Lange: Ich kann nur noch mal sagen: Das Streikrecht ist ein Teil des Tarifrechts und dieses ist grundgesetzlich gewährleistet und an der grundgesetzlichen Gewährleistung des Streikrechts werden wir auch mit dem Tarifeinheitsgesetz nicht rütteln können und wollen.
    "Bei weitem mehr Streiktage in Frankreich oder Italien"
    Liminski: Herr Lange, im Moment wird Deutschland von Streiks geschüttelt, Streiks bei der Bahn, wie wir es nun erleben, bei der Post, am Wochenende bei den Kitas. Diese Massierung kennt man nur aus der Berichterstattung über andere Länder. Steht zu befürchten, dass Deutschland die gute Konjunktur und seine Wettbewerbsvorteile verspielt?
    Lange: Ich denke nicht, dass Deutschland zu vergleichen ist mit anderen Ländern, in denen es bei weitem mehr Streiktage gibt, ob Frankreich oder Italien. Ich glaube, dass wir trotz allem ganz weit weg davon sind. Aber diese Sozialpartnerschaft und die ausgewogenen Tarifverträge und das aufeinander Zugehen waren eine Stärke und ich hoffe, sie sind auch weiterhin eine Stärke der deutschen Wirtschaft, von dem ja beide Seiten profitieren, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Unternehmen, und ich würde mir schon sehr wünschen, dass sich das die beiden Beteiligten hier insbesondere im Verkehrsbereich auch zu Herzen nehmen.
    Liminski: Sie sagen, Sie würden sich das wünschen. Unterm Strich kann man dann festhalten, Sie glauben, dass die Politik sich da raushalten muss, dass man das einfach aushalten muss, was da jetzt passiert?
    Lange: Ich glaube, dass wir derzeit an einem Punkt sind, der im Rahmen zwar ärgerlich und mit keinerlei Verständnis mehr in der Bevölkerung, aber im Rahmen eines Tarifkonfliktes stattfindet. Wie gesagt, es stellt sich ab einem gewissen Zeitpunkt die Frage der Verhältnismäßigkeit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.