Donnerstag, 28. März 2024

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Geberkonferenz für den Irak
"Jede Million Dollar wird gebraucht"

Ein erfolgreicher Wiederaufbau des Irak hänge davon ab, dass eine "faire Verteilung" der Gelder an verschiedene Bevölkerungsgruppen und Regionen sichergestellt werde, sagte der Islamwissenschaftler Christoph Günther im Dlf. Dies sei die Voraussetzung für "eine Wiederversöhnung auf sozialer Ebene".

Christoph Günther im Gespräch mit Peter Sawicki | 13.02.2018
    Überreste der Al-Nuri-Moschee in der Altstadt von Mossul im Nordirak: Hier hatte der sogenannte "Islamische Staat»" das Kalifat verkündet; Aufnahme vom 21.09.2017
    Überreste der Al-Nuri-Moschee in der Altstadt von Mossul im Nordirak: Hier hatte der sogenannte "Islamische Staat»" das Kalifat verkündet; Aufnahme vom 21.09.2017 (picture alliance / Oliver Weiken/dpa)
    Peter Sawicki: Über das Thema Irak haben wir vor der Sendung mit Christoph Günther gesprochen, er ist Islamwissenschaftler an der Uni Mainz. Schönen guten Abend!
    Christoph Günther: Ich grüße Sie, Herr Sawicki!
    Sawicki: In welchem Zustand befindet sich der Irak?
    "Riesengroße Zahl an hochqualifizierten Menschen ist seit 2003 getötet worden"
    Günther: Na ja, zum Teil in einem sehr desolaten Zustand, wenn wir die wirtschaftlichen Kennzahlen betrachten. Nicht zuletzt der soziale Zusammenhalt hat im Irak seit 2003 deutlich gelitten. Wir sehen eine tiefe Spaltung der Bevölkerung, die bis heute immer noch anhält. Wir haben eine hochgradige Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte, eine riesengroße Zahl an hochqualifizierten Menschen, die während des Kriegsgeschehens seit 2003 getötet worden sind. Also dem Irak mangelt es an zurzeit an vielem.
    Sawicki: Bleiben wir erst mal bei der wirtschaftlichen Komponente. Diese Konferenz findet ja jetzt statt, um den Wiederaufbau des Landes voranzutreiben. Kann das Land ohne Hilfe von außen nicht klarkommen?
    Günther: Ich denke, dass Hilfe von außen sehr, sehr willkommen ist der irakischen Regierung.
    Sawicki: Aber ist sie notwendig?
    Günther: Ich denke, dass sie definitiv notwendig ist. Also sozusagen jede Millionen Dollar, die in das Land hineinfließen kann, wird gebraucht. Das ist ganz bestimmt so, wird sie auch richtig verwendet werden können, wird sich nicht durch Nepotismus und Korruption versickern, wie das bereits im Vorbericht angeklungen ist, das ist natürlich eine andere Frage, und das ist auch eines der Ziele, die sich die irakische Regierung gesetzt hat. Ihr Berichterstatter hat das ja bereits gesagt, dass der Sprecher des Premierministers hier noch mal deutlich herausgestellt hat, dass die Bekämpfung von Korruption eines der Ziele ist der irakischen Regierung und des Premierministers. Er hat sich das also auf die Fahnen geschrieben, nicht zuletzt mit Blick auf die kommenden Nationalratswahlen im Mai.
    Sawicki: Nehmen Sie es ihm ab, wenn er diese Ankündigung macht?
    Günther: Es ist natürlich schwierig, das alles auf eine Person zu konzentrieren. Ich denke, dass Haider al-Abadi schon angetreten ist mit hehren Zielen. Letztlich ist er aber natürlich innerhalb eines politischen Systems und eines Apparates ein Teil, der nicht alles von jetzt auf gleich verändern kann. Insofern also, ich würde denken, der Wille, etwas daran zu tun, ist ihm durchaus abzunehmen. Kann er es alleine leisten? Wahrscheinlich eher nicht. Insofern, da müssen viele mitziehen, aber ich denke, die Stoßrichtung zumindest ist die richtige.
    Sawicki: Wie lange, glauben Sie, könnte der Wiederaufbau des Iraks dauern?
    Günther: Das ist schwierig zu sagen. Von welchem Stand gehen wir sozusagen aus. Also vor 2003 war das Land ja auch schon von einem Embargo von 13 Jahren, 14 Jahren gebeutelt. Gehen wir in die Zeit von 1980 zurück, wo der Irak eigentlich zumindest auf wirtschaftlichem Niveau und auf dem Niveau der Bildungskennzahlen eine Blütezeit erlebt hat, man könnte sich eher an der Zukunft orientieren und könnte sagen, wo möchte der Irak eigentlich hin? Welche Visionen hat die irakische Regierung? Und hier geht es ja …
    Sawicki: Können Sie da eine Vision erkennen? Also was glauben Sie, wie sollte der Irak sich weiterentwickeln, was sollte das Ziel sein?
    "Einen Nationalstaat schaffen, in dem sich alle Bevölkerungsteile wiederfinden"
    Günther: Also insbesondere auf sozialer Ebene tatsächlich einen Nationalstaat zu schaffen, der inklusive ist, wo sich alle Bevölkerungsteile wiederfinden und sich im gleichen Maße beteiligt sehen. Die irakische Regierung muss insbesondere an die Mittelschicht appellieren, ihre gesamte Arbeitskraft hier einzusetzen, ihre Ausbildung einzusetzen. Sie muss an die kurdische Regionalregierung appellieren und auf diese zugehen und hier Kompromisse schließen, um eine Zusammenarbeit mit der kurdischen Regionalregierung, die sehr, sehr enttäuscht ist von der nationalen Regierung, sozusagen eine Zusammenarbeit mit dieser ins Leben zu rufen. Sie muss die anderen Bevölkerungsteile – Schiiten und Sunniten –, die erheblich gelitten haben unter dem Konflikt seit 2003, wieder versöhnen, und das geht nur durch ganz unterschiedliche Maßnahmen. Und ich glaube, auf sozialer Ebene und auf wirtschaftlicher Ebene muss beides miteinander vereint werden. Der Wiederaufbau von Infrastruktur beispielsweise im Norden, wo der Islamische Staat insbesondere seine Zentren hatte, kann zum Beispiel auch mit Arbeitskräften aus dem Süden passieren. Das heißt also, dass man versucht, arabische, schiitische Iraker zusammenzubringen mit kurdischen Irakern und dadurch auch eine Wiederversöhnung auf sozialer Ebene in Gang zu bringen.
    Sawicki: Und wie realistisch ist das denn? Neulich ist ja die Zentralregierung erst mit Militär im Norden einmarschiert, um sozusagen gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen vorzugehen. Also wie zerrissen ist das Land aktuell eigentlich?
    Günther: Na ja, es ist schon deutlich, dass beide Seiten versuchen, immer wieder ihren Willen öffentlich zu bekunden, aufeinander zuzugehen. Letztlich sind in den vergangenen 15 Jahren, während dieses Konfliktes und auch bereits davor unter der Herrschaft Saddam Husseins, große Verletzungen passiert, die bis heute im kollektiven Gedächtnis, um dieses Wort mal zu verwenden, nachwirken, und das lässt sich natürlich von heute auf morgen nicht heilen, und das heißt, da ist ein großes Misstrauen vorhanden. Dort werden immer noch Geschichten über Kriegsverbrechen kolportiert, und das alles wirkt bis heute nach. Nichtsdestotrotz versuchen die Verantwortlichen, auch öffentlich klarzumachen, dass beide Seiten aufeinander zugehen müssen und dass eine Wiederversöhnung aller Bevölkerungsteile wichtig ist, damit der Irak als Ganzes überlebt. Ich halte es für zurzeit unrealistisch, dass eine Abspaltung der kurdischen Regionalregierung in den nächsten fünf bis zehn Jahren tatsächlich Erfolg haben könnte, und das hat nicht zuletzt mit den Dynamiken in Syrien und dem türkischen Eingreifen dort zu tun.
    Sawicki: Langfristig aber schon?
    Günther: Langfristig ist es möglich, dass es wieder ein Referendum geben könnte, das dann mehr Erfolg hat. Also wir müssen uns ja vergegenwärtigen, dass das Referendum im letzten Jahr September zwar mit einer deutlichen Mehrheit für den Willen zur Autonomie ausgegangen ist, gleichzeitig sind viele Kurden gar nicht wählen gegangen. Also dann müssen wir uns die Frage stellen, welche Aussagekraft hat eigentlich so ein Referendum. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es hier in den nächsten zehn Jahren Dynamiken geben könnte, die das Blatt noch mal wenden, aber …
    Sawicki: Aber das kann ja nicht im Interesse …, das ist ja zumindest nicht im Interesse der Zentralregierung bislang gewesen. Wieso sollte Bagdad dann seine Meinung gegenüber einen möglichen Kurdenstaat im Norden ändern?
    Kurdische Regionalregierung erwartet fairen Anteil aus den Ölerlösen
    Günther: Also es hängt, glaube ich, viel davon ab, ob tatsächlich endlich eine faire Verteilung – so sagt das die kurdische Regionalregierung ja immer wieder und hat es jetzt auch im Vorhinein der Geberkonferenz in Kuwait noch mal betont, dass sie tatsächlich einen fairen Anteil an den Mitteln aus den Ölerlösen, insbesondere der ölreichen Region Kirkuk, haben wollen und auch fair beteiligt werden wollen an den Einnahmen, die über die Geberkonferenz und über sämtliche Public-Private-Partnerships, die daraus entstehen, haben wollen, und es wird im Wesentlichen davon abhängen, wie sich das in den nächsten fünf bis zehn Jahren gestaltet. Wie werden diese Mittel verteilt werden von Bagdad aus? Und wie wird dementsprechend auch die Stimmung sein? Und nicht zuletzt: Wie werden sich die beiden großen kurdischen Parteien miteinander und zueinander verhalten?
    Sawicki: Und kann so eine Geberkonferenz, wie jetzt in Kuwait, dazu beitragen, wenn zum Beispiel Finanzhilfen an politische Bedingungen geknüpft werden?
    Günther: Na ja, sie kann eben dabei helfen, die ökonomischen Bedingungen für das Gelingen einer sozialen Wiedervereinigung herzustellen. Dabei kann sie schon helfen, und wenn daran klare politische Bedingungen geknüpft sind, konfessionelle Ressentiments auszuräumen, Nepotismus zu beseitigen, Korruption zu beseitigen, Investitionen in ganz bestimmte Gebiete zu lenken und eben nicht nur in Bagdad und den zentralen Provinzen und auch eine faire Verteilung dieser Mittel zu garantieren oder zumindest anzustreben, dann, glaube ich, können hier zumindest gute Bedingungen geschaffen werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.