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Geberkonferenz
Nouripour: Weltgemeinschaft war zu nachsichtig mit Afghanistan

Der Grünen-Politiker Omid Nouripour hat sich dafür ausgesprochen, die Milliardenhilfen für Afghanistan an Bedingungen zu knüpfen. Dabei dürfe allerdings die Rücknahme von Flüchtlingen kein Kriterium sein, sagte Nouripour im Deutschlandfunk. Stattdessen müsse die afghanische Spitze zu Reformen verpflichtet werden.

Omid Nouripour im Gespräch mit Bettina Klein | 05.10.2016
    Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) spricht 2014 im Bundestag in Berlin.
    Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    Gerade die Korruption sei ein großes Problem. Nouripour kritisierte, in der Vergangenheit sei viel zu selten kontrolliert worden, wie die Regierung in Kabul die Milliardenhilfen aus dem Ausland verwendet habe. Teilweise sei das Geld in bar aus dem Land getragen worden. "Das ist der absolute Wahnsinn." In den vergangenen Jahren sei man viel zu nachsichtig gewesen.
    Nouripour ergänzte, nach dem Fall der Taliban habe sich die internationale Gemeinschaft nicht darum gekümmert, dass die Zivilgesellschaft in Afghanistan wachse und auch neue Verantwortungsträger heranwachsen. Stattdessen sei auf alte Warlords und korrupte Leute gesetzt worden. Das habe sich gerächt und die Taliban wieder stark gemacht.

    Bettina Klein: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat bei der internationalen Geberkonferenz für Afghanistan für eine weitere Unterstützung des Landes geworben. Auch wenn es wie gerade in Kundus weiter Kämpfe gibt, darf die internationale Gemeinschaft jetzt nicht auf halbem Weg stehen bleiben, so Steinmeier heute in Brüssel. Deutschland wird demnach im kommenden Jahr etwa 400 Millionen Euro beisteuern. Dies sei Steinmeier zufolge aber an Fortschritte bei Reformen geknüpft.
    Einige der Punkte wollen wir jetzt zusammen mit Omid Nouripour besprechen, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag. Ich grüße Sie, Herr Nouripour.
    Omid Nouripour: Ich grüße Sie, Frau Klein.
    Klein: Beginnen wir damit: Der deutsche Außenminister sagt, das Geld wird gekoppelt an Reformzusagen. "Deutschland erwartet, dass Afghanistan seine Aufgaben erfüllt." An welchen Mechanismus der Überprüfung oder Kontrolle ist das denn aber gekoppelt?
    Nouripour: Es gibt ja sehr klare handwerkliche Werkzeuge, um solche Anwendungen von Geldern und Hilfsgeldern auch zu überprüfen. Es gibt ja Möglichkeiten auch für deutsche Aufsichtsbehörden, beispielsweise in den Ministerien, nachzuschauen. Aber es ist, ehrlich gesagt, in der Vergangenheit viel zu wenig passiert, weil mit dem Abzug von der Mehrzahl der westlichen Truppen auch die Aufmerksamkeit massiv zurückgegangen ist für Afghanistan, was ein großer Fehler war. Und jetzt merkt man, wir hätten uns weiter kümmern müssen.
    "Dass die Menschen das Gefühl bekommen, dass es eine Perspektive gibt"
    Klein: Sie sagen, es gibt diese Mechanismen. Es gibt in Ministerien Stellen oder auch bezahlte Beamte, die eigentlich dafür da sind, in Deutschland wohl gemerkt, das zu kontrollieren. Es passiert aber nicht, oder wie verstehen wir das?
    Nouripour: Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, das hat es ja auch eine Zeit lang gegeben, mit Mentoring zum Beispiel in den Ministerien in Afghanistan darauf zu schauen, was mit dem Geld passiert. Aber der Kern neben der Korruptionsbekämpfung ist tatsächlich, dass die Menschen in Afghanistan das Gefühl bekommen, dass sie ein Vertrauen haben können, dass ihr Land, ihre Staatlichkeit, dass eine Zukunft dafür existiert, dass es eine Perspektive gibt. Dieser Glaube ist zurzeit verloren gegangen.
    Klein: Noch mal kurz zurück zu dem, was in Deutschland passiert oder vielleicht auch in anderen Staaten auf nationaler Ebene. Das heißt, es werden dort Kontrollmechanismen eingezogen, aber ohne dass das Konsequenzen nach sich ziehen würde, wird davon nicht Gebrauch gemacht. Wie kann das eigentlich sein?
    Nouripour: Es ist auf der einen Seite so, dass wir wissen, dass wir den Afghanen helfen müssen, weil das Land sonst relativ bald kollabiert. Auf der anderen Seite ist man auch viel zu nachgiebig gewesen in den letzten Jahren und hat immer wieder mit Augenzwinkern zugeguckt, wie vor allem Geld aus dem Land bar in Koffern herausgetragen wurde. Das ist ja das, was mit dem meisten Geld passiert ist. Das ist ja der absolute Wahnsinn in Afghanistan. Und jetzt merkt man, dass man nicht mehr weitermacht, jetzt fängt man an, Konditionierungen zu treffen, gerade beim Thema Korruptionsbekämpfung, und zwar genau bei den Leuten, bei denen man jahrelang zugeguckt hat und hingenommen hat, dass sie korrupt sind.
    Klein: Herr Nouripour, wir sprechen ja mit Ihnen als einem doch durchaus namhaften Politiker aus dem Deutschen Bundestag. Was Sie hier gerade beschreiben, das muss man doch wirklich als ein klares Versagen der Politik beschreiben, und offensichtlich auch in einer Zeit, als auch Ihre Partei noch an der Regierung war. Wir hören noch mal kurz rein, was Reinhard Erös heute Morgen bei uns gesagt hat, und zwar dazu, dass sich nichts zum Positiven geändert hat bei den verschiedenen Parteien, die in Berlin oder in Bonn am Ruder gewesen sind.
    O-Ton Reinhard Erös: "Es ging ja los mit Rot-Grün damals. Ich hatte damals 2002/2003 im Bundestag ab und zu mal Gelegenheit, vor Ausschüssen zu referieren. Da hieß es immer, Du hast ja keine Ahnung, wir wissen das viel besser. Dann hat sich unter Schwarz-Gelb auch nicht viel geändert. Dann haben die Amerikaner beschlossen, wir machen das jetzt ganz militärisch. Da hat sich positiv nichts geändert. Im Gegenteil!"
    "Ich kann die Kritik nicht zurückweisen"
    Klein: Herr Nouripour, das sagt jemand, der sich in Afghanistan sehr engagiert hat, ein Arzt, der sich für die Kinderhilfe dort engagiert hat und offensichtlich auch zu Bundestagsanhörungen geladen wurde, auch zu Zeiten, als Ihre Partei mit an der Regierung war, und diese ganzen Appelle verhallten offenbar ungehört. Was sagen Sie dazu? Das ist eine relativ schwere Kritik eigentlich.
    Nouripour: Es ist eine Kritik, die sich nicht nur an Parteien in Deutschland richtet, sondern an insgesamt die internationale Gemeinschaft, und die ist berechtigt. Ich kann sie nicht zurückweisen, will sie auch nicht zurückweisen. Die Frage ist, haben wir was daraus gelernt, und ich hoffe doch sehr, dass das endlich passiert und dass die richtigen Konsequenzen gezogen werden. Nach dem Fall der Taliban hat die internationale Gemeinschaft - und da gibt es natürlich je nach Größe und Stärke der Militärpräsenz auch eine andere Größenordnung der Verantwortung - sich nicht darum gekümmert, dass die Zivilgesellschaft in Afghanistan in erster Linie wächst und neue Verantwortungsträger herauswachsen und heranwachsen, sondern sie hat in erster Linie auf die alten Warlords gesetzt und auf viele Leute gesetzt, die schwer korrupt waren, und das wurde dann auch gesehen. Aber am Ende des Tages hieß es immer, na ja, wenn Karzai zum Beispiel, um jetzt mal einen Namen zu nennen, und zwar den an der Spitze des Landes, wenn Präsident Karzai nicht da ist, dann wissen wir auch nicht, wen wir haben können, weil wir brauchen ja jemand mit diesem Profil. Und das hat einfach sich schwer gerächt und das hat auch die Taliban wieder stark gemacht. Nicht die sind so stark militärisch, sondern die Zentralregierung in Afghanistan, in Kabul, die ist so schwach, und das hat sehr viel auch mit unserem Versagen zu tun.
    Klein: Wir halten fest: Alle Parteien in Deutschland, die an der Regierung gewesen sind in den vergangenen 15 Jahren, tragen in der einen oder anderen Weise Verantwortung mit dafür. Jetzt sind Union und SPD im Augenblick am Ruder in Berlin. Aber es bleibt dabei: Da setzen Sie auf das Prinzip Hoffnung, dass sich daran etwas ändert?
    "Das Land hat nicht mal einen Verteidigungsminister"
    Nouripour: Wir versuchen ja die ganze Zeit zu drücken, dass das wirklich gelernt wird. Wir haben vor sieben Jahren bereits angefangen, eine Evaluation des gesamten Einsatzes zu fordern und all dessen, was dort passiert ist, und zwar unabhängig wissenschaftlich, eben nicht mit Abgeordneten-Kommissionen. Das haben bisher alle Mehrheiten uns verweigert und das ist sehr bedauerlich. Das wird nicht dazu führen, dass die Lehren jetzt wirklich tiefgehend gezogen werden, und das ist ein Problem. Aber wie gesagt: Viele der Lehren sind ja eigentlich sehr offenkundig, nämlich dass man auf die falschen Leute gesetzt hat, dass man Korruption nicht ausreichend und rechtzeitig bekämpft hat, und ehrlich gesagt, wenn Sie mich fragen, auch, dass wir, als wir gemerkt haben, dass unsere Öffentlichkeiten die Geduld verlieren, einfach Hals über Kopf gegangen sind und den Afghanen das Gefühl gegeben haben, dass wir sie allein lassen. Das hat auch sehr stark dazu beigetragen, dass die Stimmung im Land gekippt ist.
    Klein: Die Stimmung in Afghanistan gekippt, meinen Sie?
    Nouripour: Selbstverständlich. Wir hatten eine Situation bei der Präsidentschaftswahl in Afghanistan - ich war eine Woche danach da -, da hatten die Leute leuchtende Augen. Es gab so viel Hoffnung, die waren so froh und glücklich, dass so viele Menschen sich trotz Morddrohungen der Taliban an den Wahlen beteiligt hatten. Die waren euphorisiert, jetzt kommt der Aufbruch, jetzt ist der Karzai endlich weg. Die haben jetzt eineinhalb Jahre verloren. Es gab keinen Gewinner, der von dem anderen akzeptiert wurde. Die Weltgemeinschaft hat fatalerweise die beiden Herren, die den Wahlsieg für sich reklamiert haben, zusammengepfercht zu einem nicht funktionierenden Duo. Die können sich auf nichts einigen. Das Land hat nicht mal einen Verteidigungsminister, weil sie sich einfach auf die Personalie nicht einigen können. Das hat die gesamte Euphorie zerstört und dazu geführt, dass es so was gibt wie eine Exodus-Stimmung im Land. Wenn man mit Leuten redet ist das einzige, was man hört: Hier kommt es nicht voran, ich habe die Hoffnung aufgegeben und ich würde hier am liebsten weg. Deshalb muss man an dieser Hoffnung, an diesem Vertrauen arbeiten und den Afghanen das Gefühl geben, dass wir auf ihrer Seite stehen. Ja, Konditionierung ist richtig, aber Konditionierung heißt, wir helfen euch nicht, wenn ihr Flüchtlinge aufnehmt, sondern wir helfen euch, wenn ihr eure Reformen angeht, und das beginnt natürlich an der Spitze des Staates.
    Klein: Wir halten fest: Sie sagen, die Lehren sind eigentlich klar, die gezogen werden müssen, sie werden aber nicht gezogen. Das heißt, haben Sie dann zumindest Verständnis für Leute, die jetzt sagen, dann dreht denen den Geldhahn zu, wenn wir gar nicht wissen, was mit dem Geld passiert?
    Nouripour: Ja, die Lehren müssen erst bei uns gelernt werden. Das ist ja ein Lernprozess, der unsere Politik betreffen sollte in erster Linie und nicht in Afghanistan. Dass es dort zentrifugale Kräfte gibt im politischen System, ist nicht neu und das ist ja der Grund, warum sie die Unterstützung brauchen.
    "Afghanistan ist nicht sicher"
    Klein: Abschließend, Herr Nouripour, noch auf den einen Punkt zu kommen. Die EU-Außenbeauftragte Mogherini hat gerade auch im Beitrag, den wir gehört haben aus Brüssel, bestritten, dass es da einen Zusammenhang gebe zwischen Geldleistungen an Afghanistan, gekoppelt mit deren Zusage, Flüchtlinge wieder zurückzunehmen. Da besteht gar kein Zusammenhang, sagt sie. Glauben Sie das?
    Nouripour: Sie haben ja gerade auch den Steinmeier eingespielt. Der hat ja das Gegenteil gerade gesagt. Es ist ehrenvoll, dass Frau Mogherini versucht, diesen Eindruck gerade bei den Afghanen zu zerstreuen, aber es ist leider nicht die Wahrheit. Es ist eindeutig, dass dort im Hintergrund die große Panik von so manchen europäischen Staaten vor Flüchtlingen tatsächlich ein Stückchen dazu führt, dass man nicht mehr rationale Außenpolitik macht. Ich bedauere das sehr, weil Afghanistan ist nicht sicher. Das sieht man gerade an Kundus, an der immensen und brutalen Machtdemonstration der Taliban dort. Und im Übrigen will ich noch auf einen der vielen Faktoren, warum eigentlich diese Abschiebungen nicht funktionieren können, hinweisen. Die Bundesregierung sagt, es gibt sichere Häfen. Wenn man fragt, dann tun sie sich schwer, Namen zu nennen. Wenn sie es dann tun, dann nennen sie aber ausschließlich Regionen, in denen die Paschtunen, die ja die große Mehrheit der Bevölkerung in Afghanistan sind, diskriminiert oder verfolgt werden. Was machen wir denn mit den paschtunischen Flüchtlingen? Wollen wir die tatsächlich dorthin zurückschicken? Ich glaube, das funktioniert nicht.
    Klein: Wir werden das weiter verfolgen und diskutieren, hier auch im Deutschlandfunk. - Das war heute Mittag Omid Nouripour, der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, zur Afghanistan-Geberkonferenz in Brüssel. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Nouripour.
    Nouripour: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.