Freitag, 19. April 2024

Archiv


Gebettet auf blankem Marmor

Umwelt. - In Italien lebt eine ganze Industrie mit zehntausenden Menschen von den roten Korallen. Um so schwerer treffen sie einerseits die Folgen des Klimawandels, andererseits das illegale Verklappen von Müll in das Mittelmeer. Biologen aus Pisa haben deshalb eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Methode entwickelt, um das Wachstum der roten Korallen anzukurbeln.

Von Thomas Migge | 13.07.2007
    "Wir wissen nicht genau mit welcher Schnelligkeit die Korallen im Mittelmeer aus- oder absterben. Wir können allerdings mit Bestimmtheit sagen, dass die roten und für das Mittelmeer typischen Korallen immer seltener werden. Das ist kein Zufall."

    Giovanni Santangelo ist Biologe an der Universität Pisa. Zusammen mit seinem Kollegen Lorenzo Bramanti sucht er nach Möglichkeiten, das Korallensterben im Mittelmeer aufzuhalten. Ein Meer, aus dem rund 30 Prozent der weltweit verarbeiteten roten Korallen stammt. Korallen, die tausenden von Menschen Arbeit und Brot gibt. Seit das Mittelmeer immer wärmer und immer öfter Giftmüll in den Fluten verkippt wird, nehmen die Korallenbestände drastisch ab. Vor allem vor den italienischen Küsten. Giovanni Santangelo:

    "Es handelt um eine komplexe Geschichte, wenn wir von den Gefahren für die Korallen sprechen. Doch unsere Forschungen haben sich nicht auf diese Gefahren konzentriert, sondern auf die Korallen selbst. In Labortests untersuchten wir sie, um herauszufinden, was ihr Wachstum beeinflusst. Und da machten wir eine interessante Entdeckung, die die Korallen in allen Teil der Welt betrifft."

    Während ihrer mehrere Jahre dauernden Tests in Laboraquarien versuchten die Biologen die Kolonie bildenden und Kalk abscheidenden Blumentiere auch auf Steinen zu züchten. So probierten sie es auch mit Marmorgestein aus - mit dem blütenweißen Marmor aus dem toskanischen Carrara. Und siehe da: die Korallen fühlten sich auf dem Carraramarmor nicht nur wohl und vermehrten sich, sondern ihr Wachstum verlief weitaus schneller als auf anderen Oberflächen. So entschieden sich die Pisaner Forscher, ihre Tests auch im Meer, am Meeresboden durchzuführen. Lorenzo Bramanti:

    "Wir sind zum Meeresboden an der Küste von Calafuria bei Livorno abgetaucht und haben in rund 30 Metern Tiefe, da wo früher einmal viele Korallen lebten, einige zehn Mal zehn Zentimeter große Marmorplatten angelegt. Direkt bei den noch lebenden Korallenbänken."

    Nach drei Monaten tauchten die Biologen erneut zu den Marmorplatten hinab. Die Korallenlarven hatten sich auf den Platten nicht nur angesiedelt, sondern waren erstaunlich schnell gewachsen. Nach fünf Monaten war von dem Marmor nichts mehr zu sehen: die Skelette Kolonie bildender Korallen hatten das Gestein komplett bedeckt. Der Marmor versorgt die Korallenlarven mit soviel Nährstoffen, dass die Blumentiere hervorragend gedeihen. Fast doppelt so schnell wie im Normalfall - normal heißt 20 Jahre für rund vier Zentimeter Korallenwachstum. Jetzt schlagen die Biologen aus Pisa vor, die, wie sie sie nennen, "Carraramarmor-Korallen-Therapie" in allen Meeren einzusetzen, überall dort wo Korallenbänke von Meereserwärmung und Müll bedroht sind. Lorenzo Bramanti:

    "Darum geht es doch: die Korallen auf dem Marmor zu züchten, um sie dort auszusetzen, wo ihre Populationen aus verschiedenen Gründen abnehmen. Solange wir das Steigen der Meerestemperaturen sowie die Wasserverschmutzung nicht nachhaltig verhindern können, ist es nötig, neue Korallen dort anzusiedeln, wo sie seit Urzeiten Riffe oder Abbaugebiete bilden, die vielen Menschen Arbeit geben. Unser Korallenzuchtprojekt ist berühmt geworden."

    Experimente mit dem italienischen Marmor wurden auch bei der Insel Elba und den Medes-Inseln bei Spanien durchgeführt - immer mit großem Erfolg. Die italienischen Biologen haben ihre Korallenzuchtmethode in diesen Tagen patentieren lassen. Als nächsten Schritt wollen die Forscher aus Pisa herausfinden, ob sie mit der von ihnen entwickelten Marmor-Methode alle Arten von Korallen züchten können.