Freitag, 29. März 2024

Archiv


Geburtsstunde einer Republik

Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates traten an mit dem Willen, eine echte Grundlage für das neue Staatswesen zu schaffen. Wie ernst es ihnen war, zeigt der Zeitrahmen: Aus den geplanten drei Monaten der Beratung wurden neun. Am 8. Mai 1949 wurde dann in Bonn das Grundgesetz verabschiedet - weitgehend unbeachtet von der Bevölkerung, die sich lieber mit Vehemenz in den Wiederaufbau des Landes stürzte.

Von Gudula Geuther | 18.05.2009
    "Ich bitte die Abgeordneten, bei der Stimmabgabe sich zu erheben."

    Dr. Adenauer - "Ja!"

    Bauer - "Ja!"

    Dr. Becker - "Ja!"
    8. Mai 1949. Mit 53 Ja- gegen zwölf Nein-Stimmen verabschiedet der Parlamentarische Rat in Bonn das Grundgesetz. Neun Monate lang hatten seine Mitglieder über den Text beraten, weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Die Menschen in dem neu entstehenden staatlichen Gebilde hatten anderes im Sinn.

    "Bilitza, Manfred, geboren 22.4.42 in Königsberg, letzte Heimatanschrift Heuhausen, Ostpreußen, sucht seine Frau."
    Vier Jahre nach Kriegsende waren Familien noch zerrissen. Väter und Männer würden zum Teil erst Jahre später aus der Kriegsgefangenschaft heimkehren. Für viele war das tägliche Leben geprägt von Flüchtlingselend, von Hunger und Wohnungsnot. Der Stichtag für Aufbruch und Neuanfang lag ohnehin für den Großteil der Bevölkerung in den drei Westzonen mit dem 18. Juni 1948 fast ein Jahr zurück.

    "Kurz nach der Währungsreform macht die Kamera einen Bummel über den Wochenmarkt und fängt dabei Bilder ein, die noch vor kurzer Zeit wie Trugbilder gewirkt hätten: Gemüse in Hülle und Fülle, alles frisch und zum Aussuchen und Waren von bester Qualität."
    Die Einführung der D-Mark hatte - fernab der Verfassungsdiskussion - eine für jeden spürbare Verbindung der drei westlichen Besatzungszonen geschaffen. Noch im November 1948, der Parlamentarische Rat tagte längst, sahen die meisten dagegen das Entstehen des neuen Staates mit Misstrauen bis Desinteresse: Karl Berbuers Karnevalshit wurde zur inoffiziellen Hymne.

    "Ein kleines Häuflein Diplomaten
    Macht heut die große Politik.
    Sie schaffen Zonen, ändern Staaten
    Und was ist hier mit uns im Augenblick?
    Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien ..."
    Das mäßige Interesse der Deutschen an den Beratungen des Parlamentarischen Rates erklärt Christian Bommarius, Autor eines Buches zur Entstehung des Grundgesetzes, aber vor allem mit deren jüngster Vergangenheit im Nazi-Deutschland.

    "Das hätte übrigens auch verlangt, sich mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen. Sie können nicht über Menschenwürde diskutieren und nicht über die eigene Schuld sprechen. Vermutlich war es den meisten Deutschen überhaupt nicht möglich, auch intellektuell und mental nicht, aber auch körperlich nicht, sich diesen Auseinandersetzungen zu stellen. Es fiel ja vielen ausländischen Beobachtern damals schon auf, mit welcher Vehemenz sich die Deutschen in den Wiederaufbau stürzten. Das war natürlich das reine Fluchtverhalten vor sich selbst."
    Das Misstrauen gegen die Politik und die Furcht vor Fremdbestimmung griff auch auf das entstehende Grundgesetz über. Tatsächlich hatten die Militärgouverneure der amerikanischen, britischen und französischen Zone mit den Frankfurter Dokumenten Vorgaben zur Gründung eines westdeutschen Teilstaates gemacht, darunter auch die Grundlinien für die Verfassung, deren Genehmigung sie sich vorbehielten. Neben recht offen formulierten Eckdaten für die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung gab das Dokument freilich aus heutiger Sicht vor allem Selbstverständlichkeiten wieder: Demokratisch sollte die Verfassung werden, eine angemessene Zentralinstanz schaffen und die individuellen Rechte und Freiheiten garantieren. Nicht selbstverständlich dagegen waren zwei Punkte, die sich durch die gesamten Beratungen des Rates ziehen sollten: Zum einen verpflichteten die Westmächte den neuen Staat auf den Föderalismus. Zum anderen war es die Grund-Prämisse des Auftrags, mit der alle Parlamentarier rangen und mit der sich mindestens die Mitglieder der KPD bis zuletzt nicht abfinden wollten: Dass überhaupt ein westdeutscher Teilstaat gegründet werden sollte - mit der Gefahr einer zementierten Zweistaatlichkeit, die das mit sich brachte.

    Allen Deutschen stand in dem Moment vor Augen, dass die Befürchtung der Teilung berechtigt war - der kalte Krieg war längst zum Motor der Staatsgründung geworden.
    "Berlins Versorgung in den Westsektoren gesichert. - Volle Versorgung auf dem Luftwege. Luftbrücke geschlagen. Das waren etwa die Schlagzeilen heute morgen in den Berliner Tageszeitungen."
    Als die Militärgouverneure den westlichen Ministerpräsidenten im Frankfurter IG-Farben-Haus die Dokumente zur Staatsgründung übergaben, wurde Berlin bereits seit einer Woche auf dem Luftweg versorgt. Die Angst davor, Fakten zu schaffen, war einer der Gründe, warum viele den Auftrag zur Verfassungsgebung mit gemischten Gefühlen sahen. Die Ministerpräsidenten der Länder in den westlichen Besatzungszonen vereinbarten wenige Tage nach der Übergabe der Dokumente, nur ein Provisorium zu schaffen:

    "Die Ministerpräsidenten werden den Landtagen der drei Zonen empfehlen, eine Vertretung (Parlamentarischer Rat) zu wählen, die die Aufgabe hat ein Grundgesetz für die einheitliche Verwaltung des Besatzungsgebiets auszuarbeiten."

    Keine verfassungsgebende Versammlung, ein Parlamentarischer Rat. Kein Staat, die Verwaltung des Besatzungsgebiets. Keine Verfassung - ein Grundgesetz. Das war für die Autoren zuerst kein Streit um Worte. Bald aber wurde klar: Die wesentliche Mitsprache bei der Selbstverwaltung würden die drei Zonen nur um den Preis des Bekenntnisses bekommen. Am Morgen des 10. August kamen auf der oberbayerischen Insel Herrenchiemsee Abgesandte der Ministerpräsidenten der Westzonen und Berlins zusammen - sachverständige Beamte, die in dreizehn Tagen einen Entwurf für einen Verfassungstext vorlegten, der richtungweisend werden sollte für das Grundgesetz. Schon für die wesentliche Wertentscheidung legte der Konvent von Herrenchiemsee die Grundlage: Die Grundrechte sollten das bestimmende Element sein. Das war keine Selbstverständlichkeit - ein Verwaltungsstatut braucht - so glaubten damals einige - überhaupt keine Grundrechte. Stattdessen lautete Artikel 1 des Herrenchiemseer Entwurfes:

    Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.
    Das stellte das bisherige Staatsverständnis auf den Kopf. Und ganz ähnlich wie später das Grundgesetz fährt Artikel 1 fort:

    Die Würde der menschlichen Persönlichkeit ist unantastbar. Die öffentliche Gewalt ist in allen ihren Erscheinungsformen verpflichtet, die Menschenwürde zu achten und zu schützen.

    "Das Grundgesetz kam nicht aus dem Nichts. Sondern es gab Vorarbeiten durch die Emigration, es gab Vorarbeiten durch den Widerstand, der Kreisauer Kreis um Moltke, von überall her kamen relativ übereinstimmende Vorstellungen auch über den Menschenwürdeschutz, der ja keine deutsche Idee ist, sondern auch in der amerikanischen Verfassung, Menschenrechtsdeklaration, garantiert ist."

    Der Publizist Christian Bommarius. Mit der Garantie der Menschenwürde als Zweck des Staates versuchten schon die auf Herrenchiemsee versammelten Fachleute auf den Nationalsozialismus zu antworten - und mit der Staatsorganisation, mit Misstrauen gegenüber dem starken Mann, mit dem Versuch, die Regierung zu stabilisieren und mit Ewigkeitsklauseln auf die gescheiterte Weimarer Republik, die ihn ermöglicht hatte. Das waren Grundelemente, über die sich die Fachleute in den wenigen Tagen einig wurden.

    Dass diesem Entwurf trotzdem vor allem die linken Parteien skeptisch gegenüberstanden, lag vor allem an den Vorschlägen zur Beteiligung der Länder, die starken Einfluss haben sollten. Bindend war der Vorschlag von Herrenchiemsee nicht. Das Grundgesetz selbst würde der Parlamentarische Rat in Bonn schreiben.

    "Überall wird hier in Bonn fieberhaft gearbeitet. Man rüstet für den Arbeitsbeginn der Abgeordneten, die mit rund 100 Bürokräften und etwa zwölf Büros drei Monate lang in den Mauern der Stadt ein ungewohntes geschäftiges parlamentarisch-politisches Leben entfalten werden. Und hier im Lichthof werden die Staatsempfänge gegeben. Gleich neben mir sind vier bis fünf Herren damit beschäftigt, eine vier Meter fünfzig lange Giraffe hinter einem großen Holzverschlag verschwinden zu lassen."
    Die 61 Männer und vier Frauen hatten die Landtage entsandt. Praktisch hieß das: Die Parteizentralen. Zusätzlich nahmen fünf Berliner Abgeordnete an den Beratungen teil, wegen des Viermächtestatuts aber ohne Stimmrecht. Das naturhistorische Museum König in Bonn bildete den eigenwilligen Rahmen für die Plenarversammlungen. Die Sacharbeit der Ausschüsse fand in der nüchterneren pädagogischen Akademie statt. Viele der Abgeordneten hatten Erfahrung im Schreiben von Verfassungen, aus ihren Bundesländern - Carlo Schmid in Württemberg-Hohenzollern etwa, Georg August Zinn in Hessen.

    Und fast alle, so der Publizist Bommarius, verband noch Anderes.

    "Ein Vorwurf an den Parlamentarischen Rat lautete ja immer, dass er nicht repräsentativ gewesen sei für das deutsche Volk. Das stimmt, und das ist das Beste, was man über ihn sagen kann. Denn wäre er repräsentativ gewesen, wäre das Grundgesetz, wie wir es heute haben, mit der Menschenwürde als oberstem Wert, als oberster Norm, ganz sicher nicht herausgekommen. Etliche parlamentarische Räte kamen aus der Emigration zurück, vor allem viele SPD-Leute, einige, nicht sehr viele aber einige hatten Konzentrationslager hinter sich, beide KPD-Abgeordnete saßen im KZ Sachsenhausen. Opfer der Nazis waren fast alle gewesen."
    Sie traten an mit dem Willen, eine echte Grundlage für das neue Staatswesen zu schaffen - und nicht etwa die Verbrämung von Besatzungsvorgaben. Wie ernst es ihnen war, zeigt der Zeitrahmen: Aus den geplanten drei Monaten der Beratung wurden neun. Wie provisorisch der Text sein sollte, war zwischen den Parteien bis zuletzt umstritten. Aber gerade weil trotzdem klar war, dass diese neue Verfassung die deutsche Teilung weiter vorantreiben würde, prägten Bekenntnisse zur Einheit Deutschlands schon die erste Sitzung am 1. September 1948. Wie die Eröffnungsrede des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Karl Arnold, CDU.

    "Ihre Arbeit, meine verehrten Abgeordneten, muss geleitet sein von dem Willen, einem neuen, einheitlichen Deutschland den Weg zu bahnen."
    Die beiden KPD-Mitglieder widersprachen von Anfang an dem Projekt, dem sie auch am Schluss nicht zustimmen würden. Max Reimann:

    "Der Parlamentarische Rat ist aufgrund der Londoner Empfehlungen zusammengesetzt worden, um einen westdeutschen Staat zu schaffen und diesem westdeutschen Staat eine Verfassung zu geben. Somit wird Deutschland gespalten!"

    Im Grundgesetz würde sich die deutsche Frage in der Präambel niederschlagen, die vom Willen des deutschen Volkes sprach, die nationale und staatliche Einheit zu wahren. Und die mit einem Anspruch der Vertretung schloss:

    Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
    Der spätere Vereinigungsartikel Artikel 23 erlaubte - damals vor allem mit Blick auf den ungelösten Status des Saargebietes - den Beitritt von Teilen Deutschlands. Und der Abschlussartikel 146 schaffte ein Kuriosum der Verfassungsgeschichte - eine Klausel des eigenen Verfalls, die so bis zum Einigungsvertrag 1990 galt:

    Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
    Die ersten Machtfragen handelten Union und SPD als die größten Fraktionen gleich zu Anfang unter sich aus: Die Union schlug den 73-jährigen Konrad Adenauer zum Präsidenten vor - in dem Glauben, das Amt sei rein repräsentativ. Aus eben dem Grund stimmte die SPD zu und glaubte, gut verhandelt zu haben. Denn Carlo Schmid leitete im Gegenzug den Hauptausschuss, das wichtigste Gremium. Die Realität sah anders aus: Bei Konrad Adenauer liefen viele Fäden zusammen, schon weil er als Präsident erster Ansprechpartner der Alliierten war. Und auch die FDP sollte eine entscheidende Rolle spielen, angesichts der fast gleich starken Unions- und SPD-Fraktionen.

    Die inhaltlichen Debatten, das berichteten die Teilnehmer später einhellig, liefen ganz überwiegend nachdenklich und von der Sache geprägt ab. Vor allem bei den Grundrechten. Sie würden den Ton der Verfassung angeben, sie zu garantieren und zu schützen sollte oberstes Ziel sein, allen voran die Menschenwürde. Auch das wurde schon in den Eröffnungsreden deutlich, von Vertretern aller großen Fraktionen. Und klar war auch: Die Grundrechte sollten möglichst konkret, verbindlich und in ihrem Kern unabänderlich sein. Welchen Inhalt diese Rechte dagegen haben sollten, war nicht klar. Bei der Gleichberechtigung zum Beispiel.

    Die Abgeordnete Elisabeth Selbert wollte nicht nur die staatsbürgerliche Gleichstellung verwirklicht wissen. Das neue Grundrecht sollte den Gesetzgeber verpflichten, im gesamten Recht, vor allem im Zivilrecht, Männern und Frauen die gleichen Rechte zu geben. Der Antrag scheiterte im Grundsatz- und im Hauptausschuss.

    Mit Reden und Zeitungsartikeln begann die SPD-Politikerin eine beispiellose Mobilisierungskampagne. 85-jährig erinnerte sie sich:

    "Nach einem Vortrag, der wohl dann auch publik geworden war, regten sich plötzlich die Frauenverbände auf allen Ebenen und auch jeglicher Couleur. Und es kamen dann Körbe von Protestschreiben in Bonn an, gerichtet an den Parlamentarischen Rat."
    Mit Erfolg. Den Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" verabschiedete der Hauptausschuss in der nächsten Sitzung einstimmig.

    Auf solches öffentliches Echo stieß keine andere Frage. Nur zu einem anderen Punkt gab es viele Zuschriften: Zum Wunsch der Kirchen nach der Konfessionsschule, verpackt im Recht der Eltern, ihre Kinder dorthin zu schicken. Allerdings war dieses Echo aus der Bevölkerung bald schon überwiegend negativ.

    Anfangs kontrovers verlief auch die Debatte um die Todesstrafe. Schon auf Herrenchiemsee hatten zwei Teilnehmer vorgeschlagen, sie abzuschaffen, ohne die Mehrheit zu überzeugen. Im Parlamentarischen Rat erhob die Forderung ein Abgeordneter der Deutschen Partei, so Christian Bommarius.

    "Herr Seebohm, weil er eben so reaktionär war, wie er war, fand zunächst gar keine Unterstützung bei der SPD, sondern verblüffenderweise bei der KPD. Und erst im weiteren Verlauf gab es dann eine Initiative der SPD, vor allem von Carlo Schmid, die Todesstrafe abzuschaffen. Und erbitterten Widerstand bei einigen, muss man sagen, CDU-Abgeordneten. Nicht bei allen. Und die FDP, ausgenommen Thomas Dehler, stellte sich auch gegen die Abschaffung der Todesstrafe. Also: Es war ein hartes Ringen. Und es dauerte lange, bis dann die Position, sie abzuschaffen, die Mehrheit errang."
    Zu diesem Zeitpunkt wartete eine Frau bereits in der Todeszelle, das nicht gebrauchte Fallbeil landete später im Museum.

    Diskussionen gab es um den Einfluss der Kirchen auf die Schule, um die Grenzen der Wissenschaftsfreiheit, um die Wehrdienstverweigerung - obwohl sich damals noch kaum jemand Armee und Wehrpflicht im entstehenden Staat vorstellen konnte - und vieles mehr.

    Eine der ganz grundlegenden Fragen blieb dagegen weitgehend außen vor: Die Wirtschaftsverfassung, die in Ländern wie Hessen für lange Auseinandersetzungen gesorgt hatte, sollte nach einer Vereinbarung der Fraktionen offen bleiben.

    Einigkeit herrschte nach den Weimarer Erfahrungen darüber, dass die Demokratie der Stabilität bedarf. Das konstruktive Misstrauensvotum - das Parlament kann eine Regierung nur stürzen, wenn es eine Alternative nennt - ist eines dieser stabilisierenden Elemente, die der Parlamentarische Rat schuf. Dazu kommt die Vertrauensfrage als Möglichkeit der Regierung, das Parlament nicht nur aufzulösen, sondern sich auch der Mehrheiten zu vergewissern. Zur stabilen Demokratie gehört auch ihre Wehrhaftigkeit, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes mit vielen Instrumenten versahen, bis hin zum Parteiverbot im an sich parteiengeprägten Grundgesetz. Das Misstrauen der Verfassungsautoren ging so weit, dass sie die wesentlichen Leitlinien des Staates für unabänderlich erklärten - mit der so genannten Ewigkeitsgarantie.

    Anders als bei der Wirtschaftsverfassung wurde der Streit um die andere grundlegende Weichenstellung des Staates ausgetragen, der um den Föderalismus - vielleicht der einzige Punkt, an dem wirklich von Streit die Rede sein kann. Und zwar so intensiv, dass Beobachter fast den Eindruck haben konnten, die Verteilung der Macht zwischen Bund und Ländern sei die bestimmende Frage der Republik. In den parlamentarischen Debatten stand vor allem die CSU für die möglichst weitgehende Eigenstaatlichkeit der Länder. Debatten, in denen unter anderem der spätere Justizminister Thomas Dehler, selbst Bayer, heftig widersprach, noch zuletzt, als sich das "Nein" der meisten CSU-Abgeordneten zum Grundgesetz abzeichnete:

    "Wir haben den Bundesrat zugestanden, wir haben den Bundesrat mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet, die gesamte Verwaltung liegt bei den Ländern. Es ist kein Grund, Klagen zu erheben!"
    Bei den vorangegangenen Auseinandersetzungen waren die Parlamentarier allerdings nicht frei. Die wesentliche Vorgabe stammte von den Militärgouverneuren. Und auch die Länder selbst, die Ministerpräsidenten, versuchten mitzusprechen. Schon auf Herrenchiemsee hatte Bayern als einladendes Land versucht, Einfluss auszuüben. Es ging um die Finanzhoheit von Bund und Ländern, um einen Senat oder einen Bundesrat als zweite Kammer, um die Frage, wie viel Einfluss diese Kammer haben sollte. Als Konrad Adenauer im Gespräch mit den Gouverneuren die Zeichen auf einen starken Föderalismus stellte, wuchs sich der Streit zur handfesten Krise aus. Für die Lösung wurden Gremien geschaffen - der Fünfer-Ausschuss, der Siebener-Ausschuss - und wesentliche Fragen wurden in Hinterzimmern geklärt. Das Ergebnis war der bis heute gültige Kompromiss: Über den Bundesrat sprechen die Länder bei der Gesetzgebung mit. Dem Bundestag gleichgestellt ist er dabei aber nicht. Ein Kompromiss, der - zusammen mit der Stellung der Kirchen im Staat - nicht nur die meisten CSU-Abgeordneten, sondern später auch den bayerischen Landtag dazu bewog, dem Grundgesetz nicht zuzustimmen.

    Zustimmen sollte freilich vor allem das deutsche Volk. Das hatten die Frankfurter Dokumente und die zu Grunde liegenden Londoner Empfehlungen vorgesehen. Dass es dazu nicht kam, hat zwei Gründe. Der Publizist Bommarius sieht einen in der Haltung einzelner Kirchenvertreter, die drohten, zur Ablehnung aufzurufen.

    "Woraufhin Adenauer, der bis dahin für eine Volksabstimmung war, dann sagte: Gut. Dann lassen wir das. Dann muss es ohne gehen. Dann haben die elf Landtage darüber abgestimmt."
    Der wesentliche Grund aber, der die Mitglieder des Rates von Anfang an hatte zweifeln lassen, war eine andere Sorge: Die, dass die Abstimmung zum Grundgesetz stattdessen zur Abstimmung über das Besatzungsstatut werden könnte.

    Und so erklärte Konrad Adenauer, nach der Zustimmung aller Länder außer Bayern am 23. Mai 1949:

    "Heute wird nach der Unterzeichnung und Verkündung des Grundgesetzes die Bundesrepublik Deutschland in die Geschichte eintreten. Wir alle sind uns klar darüber, was das bedeutet. Wer die Jahre seit 1933 bewusst erlebt hat, wer den völligen Zusammenbruch im Jahre 1945 mitgemacht hat, wer bewusst erlebt hat, wie die ganze staatliche Gewalt seit 1945 von den Alliierten übernommen worden ist, der denkt bewegten Herzens daran, dass heute, mit dem Ablauf dieses Tages, das neue Deutschland ersteht."