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Gedenken
Akademie der Künste erinnert an Ereignisse vor 80 Jahren

In der Akademie der Künste in Berlin wurde dem Novemberpogrom gedacht. Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel sprach vom Verlust der moralischen Integrität. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte, dass die Verbrechen der Nazis unabtrennbar zur deutschen Identität dazu gehörten.

Von Cornelius Wüllenkemper | 10.11.2018
    "Erinnern. Gedenken. Mitgehen." steht auf dem Plakat eines Schweigemarsches zum 80. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938. Dahinter laufen zahlreiche Menschen.
    Mit einem Schweigemarsch vom Berliner Abgeordnetenhaus zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas haben am 8.11.2018 zahlreiche Menschen an die Novemberpogrome von 1938 erinnert. (dpa/Christoph Soeder)
    In seiner Ansprache reagierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ohne diese explizit beim Namen zu nennen, auf die geschichtsrevisionistischen Ausfälle der neurechten Bewegungen. "Diese Vergangenheit gehört zu uns", betonte Steinmeier und konterte damit ebenso indirekt wie unüberhörbar die Rede des AfD-Chefs Alexander Gauland über den Nationalsozialismus als "Vogelschiss" in der deutschen Geschichte. Immerhin nur 100 Meter von der Berliner Akademie der Künste entfernt befindet sich das Denkmal, das der AfD-Politiker Björn Höcke im Januar 2017 als "Denkmal der Schande" bezeichnet hatte.
    "Wir hören wieder und immer häufiger, dass das Erinnern an die Verbrechen rückwärtsgewandt, dominierend sei, die glorreiche Zeit der deutschen Geschichte zu Unrecht verdränge und schon deshalb ein Ende haben muss. Doch das Verbrechen an den europäischen Juden, das gehört zur deutschen Geschichte und zur deutschen Identität unabtrennbar dazu. Deshalb wird es in Deutschland heute und in Zukunft kein Ende des Erinnerns geben."
    Kunst und Künstler müssen sich einmischen
    Die Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel erinnerte daran, welche Rolle auch die damalige Preußische Akademie der Künste als gleichgeschaltete staatliche Kunstinstitutionen bei der Vernichtung deutscher Kultur gespielt habe.
    "Zwischen 1933 und 1938 wurden 41 Mitglieder aus politischen oder antisemitischen Gründen aus dieser Akademie ausgeschlossen oder traten aus Protest aus. Die Akademie verlor ihre moralische Integrität. Es ist eine bleibende Pflicht und Verantwortung, uns daran zu erinnern. Es gibt keine Freiheit und keine Menschenwürde, wenn wir vergessen, was geschah, als sie mit staatlicher Macht zertreten wurden. Daraus folgt die Verpflichtung der Kunst und der Künstler, sich einzumischen."
    Lachende Sensationsgeiferer und glotzende Schaulustige
    Wie Kunst sich in der Erinnerungskultur platzieren und welche Rolle sie so auch in der politischen Auseinandersetzung über Geschichtsbilder und Identitätsfacetten in Deutschland spielen kann, beweist eindrucksvoll der Fotoband "Pogrom 1938", der während der Gedenkfeier vorgestellt wurde. Der Fotograf Michael Ruetz und die bildende Künstlerin Astrid Köppe versammeln darin Zeitzeugenberichte und Fotoaufnahmen von über 116 Schauplätzen der Novemberpogrome. "Das Gesicht in der Menge" ist die Auswahl untertitelt, die derzeit auch als Ausstellung in der Akademie zu sehen ist. Die Aufnahmen, die aus über 1.000 Archiven und Privatsammlungen zusammengetragen wurden, zeigen nicht nur die Täter bei ihrer Arbeit, sondern vor allem auch angestachelte Kinder, lachende Sensationsgeiferer, glotzende Schaulustige. Der Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz verknüpfte diese immer wieder aufs Neue verstörenden Zeitzeugnisse mit der Gegenwart.
    Freundliche Nachbarn verwandeln sich in Pöbel
    "Die mediale Aufrüstung durch Hetze, durch das Lancieren des Gerüchts, der Stimulierung von Ressentiments durch Demagogen – heute nennt man sie Populisten, das klingt harmloser – das gehört dazu. Und immer trifft die Ausgabe der Losung auf die Bereitschaft von Bürgern, freundlichen Nachbarn, Kollegen, Passanten, sich in Pöbel zu verwandeln und sich gegen gebrandmarkte, missliebige zu wüten. In Hoyerswerda und Rostock wiederholte sich der psychologische Effekt nach der Wende. In Freital und Cottbus, in Dresden und Chemnitz ist die aufbrandende Wut geängstigter und in ihrer Angst von populistischen Scharfmachern bestärkter und aufgestachelter Bürger gegen Minderheiten, jetzt gegen Muslime, Flüchtlinge, Asylbewerber, gegen Fremde wieder zu erleben."
    Wolfgang Benz vertritt mit dieser Verknüpfung – vermutlicher aus voller Absicht – eine zumindest steile These. Dessen ungeachtet gemahnen die propagandistisch-mediale Vorbereitung und die psychologische Eigendynamik des angestachelten "Volkszorns", die blinde Wut verunsicherter Menschen, daran, dass das Gedenken allein heute längst nicht mehr ausreichend ist.