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Gedenkstätte Marienborn
Geschichte hautnah erleben und vermitteln

Schülerinnen und Schüler kennen die DDR und die deutsch-deutsche Teilung nur noch aus den Geschichtsbüchern. Die Gedenkstätte Marienborn will das ändern. Im Rahmen eines Projekttages erleben Jugendliche dort hautnah den damaligen Grenzübergang und den Eisernen Vorhang. Doch auch ihr Engagement ist gefragt.

Von Dietrich Mohaupt | 24.04.2018
    Schülerinnen und Schüler aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen nehmen in der Gedenkstätte "Deutsche Teilung" in Marienborn an einem Projekttag teil.
    Die Gedenkstätte Marienborn will die Erinnerungskultur im Rahmen eines Gedenkprojekttages für Schüler stärken (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    Letzte organisatorische Hinweise für die Schülerguides – gleich sollen sie Gruppen von Schülern über das Gelände der ehemaligen Grenzübergangsstelle Marienborn führen.
    "Ihr fangt jetzt beispielsweise am Flutlichtmast an und dann habt ihr quasi so einen Ablauf vorgegeben. Denkt dran – so drei bis fünf Minuten pro Station, nicht länger und dann turnusmäßig weiter den Weg, das ist bei allen Gruppen soweit vorgegeben, damit wir das einmal auch schaffen durchzugehen."
    Zu erklären gibt es eine ganze Menge – überall stehen alte Baracken, zum Teil sind noch die einzelnen überdachten Wartebereiche für die Passkontrolle zu sehen. An der Einfahrt zu diesem Bereich mussten alle Fahrzeuginsassen damals ihre Pässe abgeben – den weiteren Weg der Pässe erklärt Schülerguide Aurelia Noak.
    Der ehemalige Grenz-Kontrollposten Marienborn. Die Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn (Sachsen-Anhalt), aufgenommen am 12.08.2016.
    Der ehemalige Grenz-Kontrollposten Marienborn, heute eine Gedenkstätte der deutschen Teilung. (dpa/Peter Gercke)
    "Also das beginnt vorne am Förderband, und dann ist es hier durch eine Konstruktion aus Holz weitergeführt worden. Dort wurden die Vorderseiten gefilmt und wurden dann an Fahnder weitergeleitet, die dann in einem anderen Haus waren, wo sie dann in Zettelkarteien geschaut hatten."
    Interessiert hört sich der niedersächsische Kultusminister Grant Hendrik Tonne die Erklärungen der Schülerin an. Er selbst hat den Grenzübergang Helmstedt-Marienborn nie "in Aktion" erlebt – die Gedenkstätte und vor allem solche Schülerprojekttage sind unverzichtbar, betont er.
    "Es ist ganz wichtig, dass die Geschichte präsent bleibt – das ist eine Generation, die selber keinerlei eigenes Wissen auch zur Teilung von Deutschland gehabt hat . Von daher unheimlich wichtig, dass auch dieses Wissen weitergegeben wird, weil – nur wenn man sich der Geschichte bewusst ist, kann man daraus auch die richtigen Schlüsse für die Zukunft ziehen."
    Neugierig schaut sich eine andere Gruppe die alte Wechselstube an – eine der wichtigsten Einnahmequellen der damaligen DDR-Regierung für West-Devisen, erläutert Aurelia Noak.
    "Seit 1964 mussten Bundesbürger oder West-Berliner einen verbindlichen Mindestumtausch bezahlen. Das war dann pro Tag pro Person 25 D-Mark in Mark. Pro Jahr wurden hier etwa 25 bis 30 Millionen D-Mark erwirtschaftet – nur durch den Mindestumtausch."
    Nicht nur Zahlen, Daten und Fakten
    Die Gedenkstätte Marienborn hält an diesem Tag für die Schülerinnen und Schüler aber nicht nur Zahlen, Daten und Fakten parat – Teil des Projekttages sind auch Gespräche mit Zeitzeugen. Mit Rolf-Joachim Erler zum Beispiel, der als Theologe zu DDR-Zeiten viele Kontakte durch den "Eisernen Vorhang" zu Familienangehörigen und Freunden unterhielt.
    "Also ich bin hier in Marienborn verhaftet worden – aus dem Kofferraum heraus. Wir hatten eine Flucht organisiert – ein Freund aus dem Tübinger Stift – und ich wollte natürlich unbedingt nach West-Deutschland bzw. in die Schweiz - was mir auch gelungen ist."
    Einblicke in die Strukturen einer Diktatur
    Allerdings erst nach einer langen Haftstrafe in der DDR als politischer Gefangener. Erlers Ziel heute: Den Schülerinnen und Schülern einen Einblick in die Strukturen einer Diktatur geben – in der Hoffnung, dass sie daraus für ihre eigene Situation etwas lernen.
    "Also – jetzt kann ich nur den Schülern erzählen, wie im Innern eine Diktatur funktioniert, und versuchen, ihnen ein bisschen ganz aktuell klarzumachen, dass eine Diktatur auch im Kleinen existiert – ich brauche nur das Stichwort Mobbing zu nennen. Dass man den Jugendlichen erklärt – passt auf, so fängt eine Diktatur in eurer Gruppe an, ein Schüler ist irgendwo in einer schwachen Position … und er wird gemobbt."
    Viel mehr wert als jede Unterrichtsstunde
    Lernen aus der Geschichte für die eigene Gegenwart – auch Staatssekretärin Eva Feuss aus dem Bildungsministerium von Sachsen-Anhalt kennt den Wert solcher Projekttage an historischen Lernorten wie der Gedenkstätte Marienborn.
    "Das kann in dem Sinne kein Unterricht leisten, auch wenn der Unterricht noch so gut vorbereitet ist. Gerade heute an solch einem Projekttag, wenn auch noch Zeitzeugen da sind, und vor allen Dingen das Zusammenkommen der Schülerinnen und Schüler von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt hier – das ist unheimlich wichtig und auch für die Schüler beeindruckend, und ich glaube, das ist viel mehr wert als jede Unterrichtsstunde."