Donnerstag, 28. März 2024

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Gedichtband
Ziemlich logische und klare Struktur

Der Danziger Dichter Tadeusz Dąbrowski gilt als eine der größten Hoffnungen der polnischen Lyrik, und auch in Deutschland hat er bereits einen Namen. Vor allem für den Band "Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund", mit dem er 2010 sein deutsches Debüt gab, bekam er viel Lob. Letzten Sommer kam der Auswahlband seiner Gedichte, "Die Bäume spielen Wald", heraus.

Eine Rezension von Marta Kijowska | 23.03.2015
    Festival-Kurators Tadeusz Dąbrowski
    Tadeusz Dąbrowski wurde soeben mit dem Horst-Bienek-Preis der Bayerischen Akademie ausgezeichnet. (Deutschlandradio / Katrin Hillgruber )
    "Ich bin ein Mensch – ein Mensch, der Gedichte schreibt": Diesen einfachen Satz, der von dem kürzlich verstorbenen großen Lyriker Różewicz stammt, hat Tadeusz Dąbrowski einem seiner neuen Gedichte vorangestellt. Doch er könnte genauso gut als Motto des ganzen Bandes fungieren. Für ihn, schreibt Dąbrowski in jenem Gedicht, sei ein Dichter nur "ein Handwerker, besorgt um das Schicksal der Dichtung", seine Metaphysik – nichts weiter als "ein Rad am Wagen". So klingt auch seine Stimme klar und deutlich, obwohl er eigentlich kein einheitliches poetisches Idiom erkennen lässt. Im Gegenteil, nichts scheint ihm einen größeren Spaß zu machen als mit der Vieldeutigkeit der Sprache zu spielen.
    "Meine Gedichte haben eine ziemlich logische und klare Struktur, denn ich versuche, meine Texte zu disziplinieren. Ich bin kein Dichter der "freigelassenen Imagination", kein enigmatischer Dichter. Ich fürchte mich direkt vor einer Poesie, deren Universalität nur aus dem Nicht-zu-Ende-Sagen und dem Anhäufen von Metaphern und Bildern resultiert. Ich muss dann an die Figur des Dichters in "Also sprach Zarathustra" von Nietzsche denken, der als jemand dargestellt ist, der das Wasser rührt, damit es tiefer erscheint. Eine Poesie, die darauf basiert, durch das "Rühren und Trüben des Wassers" den Anschein der Tiefe zu wecken, ist mir ganz fremd. Sie spricht mich überhaupt nicht an."
    Der Band trägt den Titel "Die Bäume spielen Wald", und man hätte auch kaum einen besseren finden können. Denn welche Themen Dąbrowski auch berührt – Gott, Natur, Geschichte, Liebe, Tod oder die Dichtung selbst –, stets ermischt er das Abstrakte mit dem Alltäglichen, das Allgemeine mit dem Einzelnen, das Einfangen der aktuelle Stimmungen mit der philosophischen Reflexion und, als wäre diese Mischung nicht genug, bricht er sie immer wieder mit Witz und Ironie und gibt dem Leser so eine neue, eigene Sicht der Welt. Dem Polnischen schenkt er auch gern eine eindrucksvolle Interpretation seiner Gedichte:
    Vor dem Fenster fällt Regen. In einem anderen Teil der Stadt
    fällt ein Mann auf den Bürgersteig. Irgendwo auf der Welt
    fällt aus einem Mund ein Wort, das den Lauf
    der Geschichte ändert. Zur selben Zeit fallen
    aus Millionen Mündern nichtssagende Worte und gleichen
    jenes eine Wort aus. Im Backofen fällt ein Hähnchen zusammen.
    Im Bettchen fällt unser Glück in den Schlaf.
    Unsere Körper zerfallen zu Staub. Unser Leben
    geschieht in jedem Moment in jedem Wort.
    Meister der poetischen Kondensation
    Es ist eine Lyrik, die auch von dem anfangs zitierten Tadeusz Różewicz stammen könnte – dem Meister der poetischen Kondensation, von dem Dąbrowski vor einigen Jahren das sogenannte "Kleine Zepter", einen symbolischen Preis für herausragende junge Dichter, überreicht bekam. Er war bis zum Schluss sein Freund und Förderer und ist immer noch sein großes Vorbild:
    "Für mich ist Różewicz der größte polnische Dichter der Nachkriegszeit. Ein Autor, der eine völlig neue dichterische Sprache erfunden hat – bar jeder Ornamente und Metaphern. Es ist meines Erachtens die einzige Sprache, in der man heute noch glaubwürdig über Dinge wie Gott, das Gewissen oder die Pflichten des Menschen sprechen kann. Die einzige, die die ganze Tragik des modernen Menschen wiedergibt, der ins Leere, auf ein großes Nichts starrt."
    Über all diese "Dinge" spricht auch Tadeusz Dąbrowski in seiner Lyrik. Denn sie sei für ihn nicht nur ein Ausdrucksmittel, sondern auch eine Form der Selbsterkenntnis, erklärt er. Wenn ein eigenes Gedicht imstande sei, ihn zu überraschen, wenn er daraus etwas Neues über sich erfahre, dann sei dieses Gedicht gut – auch im Sinne: klüger als er selbst. Es sei ja nie so, dass ein Text in seiner endgültigen Form genau damit übereinstimme, was er beim Schreiben beabsichtigt habe. Und diese Entfernung zwischen seiner Absicht und dem literarischen Effekt sei eben der Maßstab seiner Selbsterkenntnis. Vielleicht ist deswegen in seinem Gedichten so oft von einem Unvermögen die Rede – von der Unmöglichkeit, Dinge, die in der Welt passieren zu verstehen, das Leben als solches zu begreifen oder das Phänomen der menschlichen Seele zu erklären. Doch nicht zufällig hat ihn sein deutscher Förderer Michael Krüger einen "gut trainierten Skeptiker" genannt. Sein weiteres Merkmal ist nämlich die Fähigkeit, seine Zweifel nicht ganz ernst zu nehmen und in ihnen eine neue Inspiration zu suchen.
    Religion spielt in den Gedichten eine wichtige Rolle
    Dąbrowskis Skepsis gilt aber auch seiner eigenen Sprache, der Adäquatheit seiner Wortwahl. Diese Gedichte setzen immer wieder neu an, um dem Wahrgenommenen oder Gedachten sprachlich maximal nahe zu kommen, dafür einen optimalen Ausdruck zu finden, und sie machen zugleich oft den Eindruck, davor zurückzuschrecken – was zur Folge hat, dass die dichterische Sprache und ihre Grenzen selbst zum Thema werden.
    Das Wort Apfel enthält keinerlei Wahrheit
    über den Apfel, ähnlich wie seine Form, seine Farbe, sein Geruch
    und Geschmack. Die Wahrheit ist nicht zum Anschauen, Riechen und Schmecken. Wenn du Apfel sagst, isst du ihn nur auf.
    Im Raum zwischen dem Wort Apfel und der Wahrheit des Apfels geschieht der Apfel. Der Raum zwischen dem Wort Tod
    Und der Wahrheit des Todes ist am größten. In ihm geschieht
    Das Leben. Zwischen dem Wort Wahrheit und der Wahrheit geschieht der Tod.
    Eine der fundamentalen Erkenntnisse des jungen Dichters, die auf Polnisch so klingt:
    Gedichte aus den letzten zehn Jahren
    Eine wichtige Rolle in Dąbrowskis Gedichten spielt die Religion. Allerdings ist auch sein Glaube voller Zweifel und Einschränkungen, was sich literarisch – vor allem in den Versen aus dem Band Te Deum, mit denen der Band beginnt – in Form einer Gegenüberstellung äußert: Die Meditation über Gott und Religion wird oft mit der Beschreibung der intimen Momente mit einer geliebten Frau gebrochen, als wollte der Autor der Bezeichnung "religiöser Dichter", die er für sich entschieden ablehnt, allein dadurch entkommen.
    "Jede Dichtung ist religiös in dem Sinne, dass sie uns mit etwas konfrontiert, was uns übersteigt. Sie macht uns diesen riesigen Raum des Unbekannten bewusst, den wir – um leben zu können, ohne zu verzweifeln – irgendwie domestizieren und auf unsere Weise benennen sollten. Aber damit hört die Kompetenz der Dichtung auf. Denn auch sie kann nicht etwas benennen, was sich nicht benennen lässt."
    Der Band "Die Bäume spielen Wald" enthält Dąbrowskis Gedichte aus den letzten zehn Jahren. Es sind ganz neue Werke dabei, etwa die aus dem Band Dazwischen, die viele Begegnungen mit Menschen, Orten und Situationen festhalten und als Projektionen seiner immer stärker bedrohten und gespaltenen Identität interpretieren. Es finden sich aber auch welche aus dem schon bekannten Band "Schwarzes Quadrat auf schwarzem Grund", in denen er sich oft direkt den Empfindungen seines Lesers widmet. Etwa indem er ihm die einschlägige Anleitung liefert:
    Dichtung ist
    wenn du's spürst
    dieses
    Etwas
    spürst du's?"
    (wenn nicht
    lies das Gedicht
    noch mal).
    Tadeusz Dąbrowski: Die Bäume spielen Wald. Gedichte. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Edition Lyrik Kabinett im Hanser Verlag, 97 S., 15,90 €.