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Gefährdung der Netzneutralität

Die geplante Verordnung der EU-Kommission zur Einschränkung der Roaming-Gebühren liest sich wie ein Manifest zur massiven Stärkung von Verbraucherrechten. Dennoch hagelt es Kritik. Die Mobilfunkanbieter fürchten einen Kundenverlust, Netzexperten sehen die Netzneutralität gefährdet.

Von Patrick Wellinski | 12.09.2013
    Einen Zwang, die Roaming-Gebühren abzuschaffen, hat die EU-Kommission in ihrer Verordnung nicht festgehalten. Vielmehr sollen die europäischen Telekommunikationsanbieter bis 2016 freiwillig auf die ungeliebten Gebühren verzichten. Die Chancen dazu stehen aber gut, denn die Netzbetreiber sehen sich ansonsten mit harten Regulierungen konfrontiert. Besonders unattraktiv: Sollten die Roaming-Gebühren beibehalten werden, müssen die Netzbetreiber ihren Kunden einen kostenlosen und unkomplizierten Wechsel zu einem anderen Anbieter ermöglichen. Die Kosten dafür müsste der heimische Anbieter tragen und zudem einen massiven Kundenverlust in Kauf nehmen.

    Auch ansonsten liest sich die geplante Verordnung der Kommission wie ein Manifest zur umfassenden Stärkung der europäischen Verbraucherrechte: keine Auslandsaufschläge für Anrufe innerhalb Europas; leichtere Anbieter- und Vertragswechsel, verständliche Verträge und ein erweitertes Kündigungsrecht.

    Reine Augenwischerei, meint Jan Philip Albrecht, Netzexperte der Grünen im Europaparlament. Die Kommissionsvorschläge - so ist er überzeugt - würden auf lange Sicht viel Schaden anrichten und vor allem die Netzneutralität, also den unkontrollierten freien Datentransport für alle Nutzer, abschaffen.

    "Ich glaube einfach nicht, dass dieser Vorschlag zu einem digitalen Markt führt. Denn dieser Vorschlag hat mit dem Ziel der Netzneutralität nichts mehr zu tun, sondern ganz im Gegenteil, es führt dazu, dass solche Vorschläge, wie die der Deutschen Telekom, zur Verteilung des freien Netzes unter wenigen großen Dienstanbietern führt und dass diese letztendlich dazu führen, dass das freie Internet beendet wird."
    Auch im Umfeld der Kommission soll es starke Bedenken gegen eine Gefährdung der Netzneutralität gegeben haben, das wird aus einem den Medien zugespielten Gutachten ersichtlich. Offiziell heißt es nun, dass der gesetzliche Schutz für das offene Internet gewährleistet werden soll. Damit wäre ein Blockieren oder Drosseln von Internetinhalten und Datentransfers verboten.

    Jan Phillip Albrecht glaubt diesen Ankündigungen nicht. In letzter Konsequenz würden diese sogar eine Überwachung des Internets ermöglichen und den Verbraucher mit einem Zwei-Klassen-Internet konfrontieren:

    ""Ihm wird ein verändertes Internet geboten. Also eines, in dem bestimmte Dinge wie die Bundesliga oder andere Angebote, die man in Anspruch nehmen kann, schneller und besser laufen, während die eigene Internetseite, oder die des kleinen Unternehmens oder die eines Konkurrenten zu einem bestimmten Anbieter, verlangsamt wird. Und am Ende könnte es sogar dazu führen, dass die Provider die Inhalte überhaupt erst mal überprüfen müssen, das heißt also, vielleicht die Inhalte, die durch das Internet übertragen werden, auch überwachen werden. Und das ist ja eine Debatte, die wir gerade heiß diskutieren."

    Beschlossen sind die Vorschläge freilich noch nicht. In Brüssel wird bereits daran gezweifelt, ob sich die Pläne der Kommission überhaupt realisieren lassen. Insbesondere der Lobbydruck seitens der nun noch stärker regulierten Telekommunikationsverbände könnte zum Problem werden. Auch die Frage, ob sich die neue Verordnung mit den aktuellen Regelungen verträgt, ist ungeklärt. Dies zu prüfen, so heißt es, könne lange dauern, sehr bürokratisch werden und viel Geld kosten.