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Gefährliche Entlassene "müssen betreut und sie müssen begleitet werden"

Psychisch gestörte und gefährliche Straftäter, die entlassen werden müssen, sollen nach schwarz-gelben Plänen in einer Art Therapieverwahrung untergebracht werden. Doch was soll mit den nicht Gestörten, aber Gefährlichen passieren? - fragt Jerzy Montag.

27.08.2010
    Jasper Barenberg: Als nachträgliche Strafe hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gewertet, dass die Sicherungsverwahrung bei etwa 60 bis 80 Straftätern in Deutschland nachträglich verlängert wurde. Einige kamen seitdem auf freien Fuß, mussten auf freien Fuß gesetzt werden, und die Regierung geriet in Zugzwang, rasch neue Regeln aufzustellen, denn die Entlassenen gelten weiter als gefährlich. Was ist nötig, was ist zulässig, um die Gesellschaft vor ihnen zu schützen? Vor allem darum drehte sich der Streit innerhalb der Regierungskoalition in den letzten Wochen. Jetzt haben sich Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP und CDU-Innenminister de Maizière geeinigt. Ein tauglicher Kompromiss?
    Mitgehört hat Jerzy Montag, der rechtspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Einen schönen guten Morgen!

    Jerzy Montag: Einen schönen guten Morgen an Sie.

    Barenberg: Herr Montag, Innenminister de Maizière wünscht sich eine zügige Beratung. Man kann das ja auch so interpretieren, dass er darauf baut, dass es keine großen Einwände (auch von Ihnen nicht) gibt. Werden die Grünen zustimmen?

    Montag: Sicher gibt es eine Absichtserklärung, wie wir gestern vernommen haben, ein Eckpunktepapier von drei Seiten, in dem nicht viel Inhalt drinsteht. Der Bundestag berät nicht über Eckpunkte, sondern über Gesetzentwürfe. Einen Gesetzentwurf kennen wir überhaupt noch gar nicht. Natürlich werden wir über den Gesetzentwurf ernsthaft beraten, wenn er denn mal vorgelegt werden würde. Ich sehe nicht, dass das in einigen Tagen geschehen wird oder geschehen kann. Und die Eckpunkte, von denen wir gestern gehört haben, lösen das Problem bei Weitem nicht.

    Barenberg: Es ist kein guter Ausgleich also zwischen zwei wichtigen Prinzipien, dem Schutz der Bevölkerung auf der einen Seite und den Rechten von Straftätern, die ihre Haft verbüßt haben, auf der anderen?

    Montag: Wir suchen nach einer solchen gerechten und guten Lösung und jetzt prüfen wir und kritisieren wir die Vorschläge, die die Bundesregierung vorgebracht hat. Sie will das Problem lösen, dass wir ungefähr 80 bis 100 Männer haben, die wegen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jetzt aus langjähriger Haft und langjähriger Sicherungsverwahrung zu entlassen sein werden, und sie spricht davon, dass psychisch gestörten Gewalttäter weiter die Freiheit entzogen werden soll. Dazu sage ich erst einmal: Für psychisch gestörte Gewalttäter haben wir seit Jahrzehnten Instrumente in unserem Gesetz, das sind die geschlossenen Anstalten in den psychiatrischen Krankenhäusern. Dort werden Menschen therapiert und behandelt, die Straftaten begangen haben und die psychisch gestört sind. Was macht die Bundesregierung mit denjenigen Personen – und das sind die allermeisten dieser 80 -, die vielleicht gefährlich sind, aber nicht psychisch gestört? Dafür ist überhaupt kein Vorschlag gemacht worden, und deswegen sage ich, gestern war kein Tag der Klarheit, sondern der Nebelkerzen, die sowohl de Maizière, als auch Leutheusser-Schnarrenberger geworfen haben.

    Barenberg: Sie haben sich darauf verständigt, die beiden Koalitionspartner, eine neue Möglichkeit der Unterbringung zu schaffen. Die lehnen Sie also rundweg ab?

    Montag: Ich lehne sie nicht ab. Ich sage nur, es ist kein neuer Vorschlag. Wenn man psychisch gestörte Gewalttäter in Gewahrsam halten will und in Therapie, braucht man dazu kein neues Gesetz. Dafür haben wir die psychiatrischen Krankenhäuser. Und für die möglicherweise weiterhin gewalttätigen Menschen, die nicht psychisch gestört sind – und ich sage noch einmal: das ist die überwiegende Anzahl derjenigen, über die wir jetzt reden – hat die Bundesregierung keinen konkreten Vorschlag gemacht. Also ich habe, obwohl ich Fachmann bin, nicht verstanden, was die Lösung des Problems sein soll. Ich bin sehr gespannt auf die Gesetzesvorlagen, die in den nächsten Wochen vielleicht kommen werden. Vielleicht kommen sie aber auch nicht, wenn die Regierung merkt, dass sie uns ein Windei ins Nest gelegt hat.

    Barenberg: Die Regierung löst mit ihren Eckpunkten das Problem nicht. Wie ließe es sich denn lösen aus Ihrer Sicht?

    Montag: Wissen Sie, es ist so: Es hat in Deutschland die Sicherungsverwahrung gegeben von 1939 – das Datum ist zu beachten – bis 1998 mit einer Höchstfrist von zehn Jahren. Und die schwarz-gelbe Regierung unter Kohl hat im Jahre 1998 im Januar diese Zehn-Jahres-Frist gestrichen, damit die Sicherungsverwahrung als eine nicht begrenzte Maßnahme ins Gesetz hineingeschrieben wird, ohne sich Gedanken zu machen, was mit den sogenannten Übergangsfällen zu geschehen hat. Das sind die Fälle, die zum Zeitpunkt der Zehn-Jahres-Grenze verurteilt worden sind und jetzt länger als zehn Jahre sitzen. Das Problem, das uns Schwarz-Gelb 1998 beschert hat, ist jetzt, zehn Jahre später, wieder aufgetaucht. Die Lösung – man mag es gut oder schlecht finden – kann nur sein, diese Männer werden wir über kurz oder lang entlassen müssen. Und dann heißt es, die Führungsaufsicht zu verschärfen. Ich bin sehr wohl dafür, diese Personen sehr engmaschig zu begleiten, zu betreuen und zu überwachen. Das ist im Zweifel teuer, das schafft keine absolute Sicherheit. Die kann es aber auch nicht geben. Ich gehöre nicht zu den Scharlatanen, die sagen, wir könnten eine Maßnahme empfehlen, die den Menschen gegenüber absolute Sicherheit gewährleistet. Die allermeisten dieser Personen sind sehr alt. Ich glaube nicht, dass von vielen noch eine große Gefahr ausgeht. Aber diejenigen, von denen eine Gefahr ausgeht, die müssen eben überwacht, sie müssen betreut und sie müssen begleitet werden. Das schafft die Führungsaufsicht. Darauf hätte die Bundesregierung ihr Augenmerk schärfen sollen, statt ein neues Institut, Rechtsinstitut zu entwerfen, das wir überhaupt nicht brauchen.

    Barenberg: Die Politik hat also geschlafen. Gilt das auch für Ihre eigene Vergangenheit als Regierungspartei?

    Montag: Na ja, dass wir geschlafen haben, kann man nicht gerade sagen, aber wir waren beteiligt daran, ich persönlich war es auch, die Maßnahmen der Sicherungsverwahrung unter dem Druck der öffentlichen Diskussion immer weiter zu verschärfen.

    Barenberg: Und das bereuen Sie heute?

    Montag: Das war ein Irrweg. Wir haben aber auch damals, ich persönlich habe auch damals gesagt, dass ich es nicht gerne mache und dass ich der Meinung bin, dass wir anders verfahren sollten. Ich hoffe sehr, dass in der öffentlichen Diskussion nicht wieder diese aufgehetzte, diese lünchartige Situation eintritt, in der Politik nicht mehr zum Handeln fähig ist. Eine solche Situation hat es in der Vergangenheit immer wieder dann gegeben, wenn bestimmte schreckliche Einzelfälle, Einzelverbrechen in der Debatte standen. Daraus sind nicht gute Gesetze herausgekommen und es ist höchste Zeit, dass wir eine große Reform der Sicherungsverwahrung machen. Das hat die Bundesregierung versprochen, ihr Versprechen bisher aber noch nicht erfüllt.

    Barenberg: Dazu, Herr Montag, würde auch zählen eine bessere Begleitung, eine bessere Betreuung der Verwahrten?

    Montag: Ja, natürlich würde das dazu zählen. Wissen Sie, bei den Personen, um die es jetzt geht, müssen Sie sehen: die haben eine Gefängnisstrafe bekommen für schreckliche Taten, für schreckliche Taten, von 10 bis 15 Jahren, die sie abgesessen haben. Dann sitzen sie seit 10 Jahren in Sicherungsverwahrung, macht summa summarum zirka 20 bis 25 Jahre Haft. Und jetzt sollen diese Menschen in eine neue Form der Unterbringung gebracht werden, wo sie plötzlich therapiert werden, nach 25 Jahren Haft. Da sieht man die Absurdität dieses Vorschlags. Nein, Therapie muss viel früher beginnen. Viele der Sicherungsverwahrten würden gerne an Therapien teilnehmen, die ihnen gar nicht angeboten werden. Es muss viel mehr in den bestehenden Institutionen geschehen.

    Barenberg: Verzeihung, Herr Montag. Die Einschätzung von Jerzy Montag, der rechtspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Danke für das Gespräch.

    Montag: Danke Ihnen. Auf Wiederhören!

    Fragen und Antworten zur Sicherungsverwahrung