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Gefängnisseelsorge
Im Knast mit 83

Die Zahl alter Häftlinge steigt. Was heißt Resozialisierung, wenn jemand schon Jahrzehnte im Gefängnis verbracht hat? Ist Freiheit dann Verheißung oder Strafe? Gefängnisseelsorger und Krankenpfleger erzählen, wie sie sich auf die größer werdende Gruppe einstellen.

Von Burkhard Schäfers | 26.02.2018
    Ein Mann im Gefängnis
    Senioren stellen für Gefängnisse eine Herausforderung dar (imago)
    "Hier sehen Sie unseren langen Gang, da sind alle Hafträume. Ganz links hier ist unser Bad. Da sind ganz neu auch ein Badelifter und eine große Badewanne drin."
    Claus Amschler ist Krankenpfleger im Gefängnis, seit 17 Jahren schon. Er führt durch eine besondere Station in der Bayreuther Justizvollzugsanstalt, die eher nach Klinik aussieht als nach Knast. Heller Linoleumboden, moderne Holztüren - nur zwei schwere Gittertore am Eingang der Pflegestation erinnern daran, dass hier Menschen leben, die ein Verbrechen begangen haben.
    "Das ist ein Patient, der wohnt hier, ist auch schon älter. Im Normalvollzug wäre unser Patient nicht so einfach zu handhaben. Dadurch, dass er Hüftbeschwerden hat. Mit der Geschwindigkeit im Normalvollzug hätte er so seine Probleme."
    "Für seine Schuld muss man einstehen"
    In deutschen Gefängnissen sitzen mehr und mehr ältere Häftlinge. Absolut gesehen sind die Zahlen zwar noch niedrig: In Bayern sind etwa zweieinhalb Prozent aller Gefangenen im Seniorenalter. Aber der demografische Wandel der Gesellschaft zeigt sich auch hinter Gittern, sagt der Leiter der JVA Bayreuth, Matthias Konopka:
    "Das ist ganz auffällig: Ältere Menschen sind nicht hier, weil sie einen kleinen Diebstahl begehen - in der Regel jedenfalls. Sondern wir haben doch einige Täter mit sexuellem Kindesmissbrauch. Und der andere Schwerpunkt sind schwere Gewaltstraftaten bis zu Totschlag und Mord. Oftmals nach einer langen Zeit des Zusammenlebens mit der Ehefrau, mit Streiten, mit Alkoholproblematik. Bis das dann gipfelt in einer solchen Tat."
    Der älteste Häftling ist 83 - seit drei Monaten sitzt er in der JVA Bayreuth. Warum, dazu sagt er nichts, auch seinen Namen möchte der 83-Jährige nicht nennen. Nur so viel: Er teilt die Zelle mit zwei anderen Pflegebedürftigen.
    "Wir sind zu dritt, zwei mit Rollstuhl. Da kann man dann ein bisschen helfen. Man geht mittags zum Hofgang, dann kann man ein bisschen ausruhen, fernsehen. So ist der Alltag hier. Ich mein, es muss halt so sein. Für seine Schuld muss man natürlich auch einstehen, aber die Freiheit ist natürlich schon anders. Das ist der größte Fehler, den ich in meinem Leben gemacht hab."
    Die Vermittlung in Pflegeheime ist schwierig
    Die Krankenakte des Rentners ist lang: Vier Bypässe, Augenleiden, Darmverschluss. Ihn zusammen mit jungen Häftlingen unterzubringen, die voller Energie sind, könnte schwierig werden. In Bayreuth haben sie deshalb auf der Krankenstation einen eigenen Pflegebereich für derzeit acht Gefangene eingerichtet: Mit Therapieraum, Defibrillator, EKG und Notfalllabor, sagt der Leiter Matthias Konopka.
    "Ab einem gewissen Alter können die Gefangenen mit viel Bewegung im Haus und mit Unruhe schlechter umgehen. Die brauchen halt einen gewohnten Ablauf, ein Rückzugsgebiet, und das können wir ihnen in einer speziellen Abteilung bieten."
    Ein älterer Häftling sitzt vor dem Gefängnisgebäude in Singen (Baden-Württemberg)
    Die meisten älteren Straftäter sind wegen Gewalt- und Sexualverbrechen inhaftiert - das macht eine anschließende Heimunterbringung mitunter schwierig (imago / epd)
    Gefängnisse versuchen, sich auf ältere, pflegebedürfte Insassen einzustellen. In der Haft geht es nicht nur um Strafe, sondern auch darum, die Betreffenden auf ihre Zeit in Freiheit vorzubereiten. Für ältere Gefangene ist die Resozialisierung oft besonders fordernd:
    "Bei einigen Älteren sind keine Verwandten mehr da oder die haben sich losgesagt. Da müssen unsere Sozialarbeiter versuchen, dass sie in ein Pflegeheim vermittelt werden können. Dann wird natürlich gefragt: Welches Delikt hat denn der Mensch begangen? Und dann kann es im Einzelnen schwierig werden. Das kann auch dazu führen, dass eine Ablehnung erfolgt."
    Braucht es also bald spezielle Pflegeheime für ehemalige Häftlinge? JVA-Chef Konopka hat einen entsprechenden Vorstoß unternommen, aber keinen Träger gefunden wie Caritas oder Diakonie.
    "Oft ist die ganze Familie weggebrochen"
    Altern in Haft - auch für die Gefängnisseelsorge sei das zunehmend ein Thema, sagt Pastoralreferent Alexander Doerfler:
    "Oftmals ist die ganze Familie weggebrochen oder auch weggestorben oder es bestehen keine Kontakte mehr. Der Ältere versucht, wie draußen auch, in seinem Leben zu einer Integration zu kommen, zu einem Abschluss. Er sieht aber gleichzeitig, das ist mir nicht möglich durch die Inhaftierung, also läuft seine Uhr auch anders. Er weiß ja, er hat draußen keine große Perspektive mehr und muss trotzdem für sich einen Umgang damit finden."
    Zum Hadern mit der Vergangenheit und der eigenen Tat kommt der monotone Gefängnisalltag - und womöglich gewaltsame Auseinandersetzungen mit anderen Häftlingen.
    "Es gibt auch Formen von Gewalt, die wir als Bedienstete gar nicht so mitbekommen. Wo ein älterer Gefangener gemobbt wird, weil er Dinge nicht mehr so kann, wie das die jüngeren machen. Und das ist ja auch eine Form von Gewaltausübung, wenn es jetzt nicht unbedingt die handgreifliche Auseinandersetzung ist."
    Auch die Gefängnisseelsorger versuchen, ältere Häftlinge auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten, soziale Kontakte wiederzubeleben oder neue aufzubauen. Etwa indem sie Ehrenamtliche vermitteln, die im neuen, selbstbestimmten Alltag helfen können. Allerdings scheitert das manchmal daran, dass langjährige Häftlinge sich ein Leben draußen gar nicht mehr so recht vorstellen können, sagt Gefängnisseelsorger Alexander Doerfler.
    "Es gibt tatsächlich ältere Gefangene, die aus ihrer Lebensperspektive heraus sagen: Letztendlich geht es mir hier gut. Wenn ich entlassen werde, geht der Kampf des Lebens wieder los, ich muss mich um alles kümmern: Ich muss selber zum Amt, ich muss selbst für meine Wohnung sorgen und vieles andere regeln. Manche haben richtig Angst davor."
    Angst vor der Freiheit - auch ein Phänomen, mit dem sich Gefängnisse auseinandersetzen müssen, die immer mehr Senioren bewachen.