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"Gefahr eines Handelskriegs durchaus real"

Im schwelenden Streit um EU-Importzölle auf chinesische Solarprodukte sei die Gefahr eines Handelskrieges durchaus real, sagt der BASF-Vizevorsitzende Martin Brudermüller. Man müsse deeskalieren und Kompromisse finden, sonst werde China Gebiete aussuchen, wo es zurückschlagen werde.

Das Gespräch führte Dirk-Oliver Heckmann | 27.05.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Wie geht es weiter mit China, werden die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Europa auf der einen und China auf der anderen Seite immer weiter ausgebaut oder geht alles in die entgegengesetzte Richtung womöglich, droht etwa ein Handelskrieg, nachdem die EU-Kommission erwägt, horrende Importzölle auf Solarmodule erheben, weil die mit Dumpingpreisen die Märkte in Europa kaputtmachen? Die Frage steht oben auf der Agenda, beim Besuch des neuen chinesischen Regierungschefs Li in Deutschland. Gestern ist er in Berlin eingetroffen.

    Und telefonisch sind wir jetzt verbunden mit Martin Brudermüller, er ist stellvertretender Vorsitzender des Chemiekonzerns BASF und zugleich China-Sprecher im Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft mit Sitz in Hongkong. Ihn erreichen wir heute in Berlin, schönen guten Morgen, Herr Brudermüller!

    Martin Brudermüller: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Sie treffen ja Li Keqiang heute. Was ist das für ein Mann, was haben Sie bisher für Eindrücke sammeln können von ihm?

    Brudermüller: Ja, ich glaube, Li Keqiang, der neue Premier, ist sehr gut vorbereitet worden auf seine Aufgabe. Es ist auch erstmalig so, dass ein Ministerpräsident eine Wirtschaftsausbildung hat, er ist ein promovierter Ökonom. Er hat auch während seiner aktiven Zeit in der Henan-Provinz und als Parteisekretär in der Liaoning-Provinz klar gezeigt, dass er ein Umsetzer ist. Er spricht eine sehr klare Sprache, hat Wirtschaftsverständnis und weiß, glaube ich, was das Land braucht, weiß auch, was die Beziehungen zu anderen Ländern für China bedeuten. Insofern, glaube ich, haben wir eine sehr kompetente Führung in China.

    Heckmann: Ein "Umsetzer", sagen Sie. Aber wie ist er denn politisch einzuschätzen und einzuordnen? Ist das jemand, bei dem nur die wirtschaftliche Entwicklung zählt, oder ist er auch ansprechbar für andere Themen wie Menschenrechte und Demokratierechtsstaat?

    Brudermüller: Nein, ich glaube, die ersten Aussagen sowohl von Präsident Xi als auch von Ministerpräsident Li waren sehr deutlich, was die weitere Entwicklung Chinas angeht. Zum einen natürlich Wirtschaftsthemen als Grundlage zur Verbesserung des Lebensstandards, Sozialabsicherungen, bessere Lebensverhältnisse, Umweltschutz. Ich glaube, es ist ein relativ breites Paket, was hier von der Führung formuliert wurde, und das spricht eben für die sehr gute Ausbildung und für die Weitsicht der Führung in China.

    Heckmann: Jetzt haben Sie aber die Themen Menschenrechte und Demokratie nicht genannt.

    Brudermüller: Ja, Menschenrechte und Demokratie, das sind auch Themen, die natürlich immer in den Dialog mit einfließen. Ich glaube, es ist auf der anderen Seite klar, dass die chinesische Führung das vermutlich nicht aktiv kommuniziert. Allerdings Verbesserung des sozialen Umfelds und damit natürlich auch Verbesserung der Lebensumstände, die mehrere Segmente und Bereiche abdecken, die wurden auch aktiv genannt von der Regierung.

    Heckmann: Als Vertreter der kommunistischen Jugendliga ist Li 1990 nach Deutschland gereist, genauer nach Tübingen. Das war zum Ende des Kalten Kriegs. Welchen Bezug hat er zu Deutschland?

    Brudermüller: Ich glaube, er ist sich der besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und China sehr wohl bewusst. Deutschland ist Chinas größter Handelspartner in der EU, es ist auch auf der technologischen Seite der primäre Partner. Es gibt sehr viel Gemeinsamkeiten auch, was die Herausforderungen Chinas angeht, in der Zukunft durch deutsche Hochtechnologie Unterstützung zu erfahren. Wir sind die größte Volkswirtschaft in der EU. Insofern denke ich, nicht nur aus den Daten heraus, aber auch aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen, seiner Beziehungen zu Deutschland und zu Vertretern sowohl der Wirtschaft wie der Politik, wird, glaube ich, der Kurs Chinas gegenüber Deutschland als zentralem Ansprechpartner in der EU – das hat er gestern auch betont in der Pressekonferenz im Kanzleramt – die primäre Rolle spielen.

    Heckmann: Und welche Chancen sind für die deutsche Wirtschaft mit China verbunden, auf welchen Feldern vor allem?

    " Wir müssen mehr im Sinne von Wertschöpfungsketten denken"
    Brudermüller: Die Wirtschaft ist natürlich auf China angewiesen auch, das ist der größte Markt in vielen der Branchen heute. So setzen Automobilkonzerne teilweise bis zu 30 Prozent ihrer Produkte ab, wir in der Chemieindustrie und für die BASF ist das der drittgrößte Markt bereits heute. Insofern ganz klar, dass China natürlich im Fokus der deutschen Industrie steht. Und wir haben eine sehr hohe Komplementarität zwischen den Notwendigkeiten in China und dem, was die deutsche Industrie anbieten kann. Wir sind dort sehr gut positioniert, nicht nur die Großindustrie, sondern teilweise auch der Mittelstand. Und ganz besonders unsere Produkte sind, glaube ich, Schlüssel für das Bestehen und das Organisieren der Herausforderungen Chinas in der Zukunft. Insofern sehen wir sehr, sehr gute Chancen in der Zusammenarbeit, die künftig noch stärker auf Technologiekooperationen hinauslaufen. Wir müssen mehr im Sinne von Wertschöpfungsketten denken und da wird es natürlich nicht ausbleiben, dass wir in Konkurrenz sind, künftig. Aber ich glaube, dass riesengroße Potenziale in der Kooperation zwischen der chinesischen und der deutschen Wirtschaft bestehen und …

    Heckmann: Die wirtschaftlichen Chancen sind also enorm, sagen Sie, Herr Brudermüller. Sind diese Chancen so groß, dass man bei den Themenfeldern Menschenrechte und Demokratie da gerne mal auch ein Auge zudrückt?

    Brudermüller: Das glaube ich nicht, dass man da ein Auge zudrücken muss, und ich glaube, das ist auch das chinesische Verständnis. Die wissen sehr wohl, dass das Themen sind, die bei uns ganz hoch auf der Agenda stehen, und die chinesische Regierung setzt sich damit auch auseinander und es ist auch Teil jedes Dialogs. Davon sind auch Elemente durchaus Teil des Dialoges …

    Heckmann: Ist Teil des Dialogs, wird angesprochen, aber ob auch praktisch was umgesetzt wird, ist im Prinzip zweitrangig?

    Brudermüller: Also ich glaube, man muss anerkennen, dass die Erfolge der chinesischen Regierungen in den letzten Dekaden enorm waren, 400, 500 Millionen Chinesen aus der Armut zu holen, bessere Lebensverhältnisse zu etablieren. Und ich glaube, wenn wir auf China schauen, geht das schon in eine Richtung. Da kann man sich manchmal drüber streiten über die Geschwindigkeit und es geht uns im Westen oft nicht schnell genug, aber ich glaube, wir müssen doch anerkennen, dass die chinesische Regierung eine Politik der Öffnung fährt. China ist schon deutlich stärker eingebunden in die Weltwirtschaft auf allen Gebieten, kulturell, gesellschaftlich, aber auch wirtschaftlich. Und das ist eine Entwicklung, die weitergeht, und die geht genau in die Richtung, wie es der Westen haben will. Und da gehören diese Bereiche alle auch dazu.

    Heckmann: Li hat ja die Europäische Union davor gewarnt, Strafzölle gegen die chinesische Solarwirtschaft zu erheben. Auch die Telekommunikationsausrüster sind ja im Visier der EU-Kommission. Beide machen mit Dumpingpreisen die Märkte kaputt in Europa. Wie groß ist die Gefahr, dass es doch zu einem Handelskrieg kommt?

    Brudermüller: Ich glaube, dass die Gefahr eines Handelskriegs durchaus real ist, das wurde gestern auch von Li so noch mal angesprochen. Man trifft einen empfindlichen Nerv mit dieser Antisubventionsuntersuchung jetzt der EU. Insgesamt ist das ein Feld, was für die Chinesen sehr wichtig geworden ist, wir müssen aber aus unserer Sicht sagen, wir haben, glaube ich, auch eine Solarindustrie in Europa, die durchaus von Subventionen gewonnen hat in den letzten Jahren. Wir in der Industrie sind besorgt über ein Festfahren der Gespräche beziehungsweise über dieses Verfahren, wir stehen eindeutig für Dialog. Es muss eine Lösung gefunden werden. Das bedeutet natürlich auch einen Schritt von den Chinesen zu auf die EU, aber ich glaube, dass der Weg des Antidumpingverfahrens nicht das Richtige ist. Wir in der Industrie sind eigentlich gewöhnt, unsere Hausaufgaben zu machen und für unsere Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen …

    Heckmann: Aber die Solarbranche, zumindest Teile der Solarbranche sagen, diese Sanktionen, diese Strafzölle, die müssen jetzt her, damit überhaupt Verhandlungsbereitschaft erzeugt wird auf der chinesischen Seite!

    "Eine Spirale des Auge-um-Auge, Zahn-um-Zahn"
    Brudermüller: Die Solarbranche ist durchaus gespalten. Da gibt es zwei Lager, die einen, die das befürworten, die anderen, die das nicht befürworten. Ich glaube, da gibt es auf beiden Seiten Themen von Eingriff, staatlichem Eingriff und Subventionen, die sicherlich nicht ganz richtig sind. Ich bin einfach der Meinung, man muss das deeskalieren, man muss Lösungen finden, man muss Kompromisse finden. Die sind immer besser als, wir kommen in eine Spirale des Auge-um-Auge, Zahn-um-Zahn. Und darauf wird es nämlich hinauslaufen, dass die Chinesen sich Gebiete aussuchen werden, wo sie zurückschlagen werden, und dann werden wir eine dämpfende Wirtschaftsentwicklung erleben, und das ist das Allerletzte, was wir brauchen in einer Zeit, wo wir sowieso mit wirtschaftlicher Schwäche umgehen müssen. Und ich glaube, wir brauchen positive Impulse und keine Negativspirale zwischen der EU und China. Und insofern hoffe ich darauf, dass die Gespräche, auch gestern deuteten darauf hin und auch heute mit Herrn Li, wo wir uns mit der Wirtschaft mit ihm treffen, wir in diese Richtung gemeinsam vorgehen können.

    Heckmann: Martin Brudermüller war das live hier im Deutschlandfunk, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der BASF SE und China-Sprecher im Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Brudermüller, und einen schönen Tag noch!

    Brudermüller: Vielen Dank, Herr Heckmann, Ihnen auch! Bitte!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.