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Geflüchtete
Der zweite Blick

Was tun, wenn in der Flüchtlingsunterkunft Streit ausbricht? Wie reagieren, wenn die deutschen Nachbarn sich beschweren? Das Deutsche Rote Kreuz bietet Moderationstrainings für Helfer an. Die bisherige Erfahrung: Was nach einem religiösem Konflikt aussieht, hat häufig andere Ursachen.

von Robert B. Fishman | 30.01.2017
    Die erste Aufgabe von Moderatoren: Vertrauen zu beiden Seiten aufbauen.
    Die erste Aufgabe von Moderatoren: zu beiden Seiten Vertrauen aufbauen (picture-alliance / dpa / Britta Pedersen)
    "Wenn man einen alten Mann wie mich umrempelt, dann muss man sich entschuldigen. Gut, das hat er jetzt gemacht."
    Rollenspiel in der Ausbildung zum Konfliktmoderator des Deutschen Roten Kreuzes in Bielefeld. Die Moderation steht kurz vor dem Ziel. Die Moderatoren haben die beiden Streithähne so weit gebracht, dass sie wissen, worum es ihnen eigentlich geht und wo es übereinstimmende Interessen gibt.
    Doch der Weg dorthin ist mitunter mühsam.
    Eine Alltagssituation
    Zur Einführung hat Trainerin Gisela Kohlhage den Fall erklärt:
    "Hans wohnt seit 27 Jahren in einer Einfamilienhaussiedlung und seit einiger Zeit wohnt Mustafa mit 87 anderen Geflüchteten nebenan in der ehemaligen Sporthalle. Situation wie aus dem Leben. Eines Tages stand Hans auf dem Gehweg und war mit seinem Nachbarn ins Gespräch vertieft. Da kam Mustafa des Weges, den Blick fest auf sein Smartphone geheftet, und rempelt den im Weg stehenden Hans heftig an. Hans stürzt. Hans ist sehr erschrocken und schreit Mustafa an. Dabei kommt alles zur Sprache, was er über die Geflüchteten denkt. Mustafa hält dagegen, in einer Sprache, die Hans nicht versteht."
    So geraten beide aneinander. Die 15 Kursteilnehmer, einige von ihnen selbst Zugewanderte zum Beispiel aus der Türkei, aus Peru, dem Irak oder Pakistan, arbeiten selbst mit Flüchtlingen. Hier lernen sie, Konflikten auf den Grund zu gehen.
    "Wir haben verschiedene Phasen. Es gibt eine Einstiegsphase. Da sind wir jetzt gerade. Da klären wir die Rahmenbedingungen. Dann kommt eine Phase der Themensammlung. Da steigen wir ein und fragen, um was es genau geht und das würden wir auch aufschreiben für jede Seite, was ihre Themen sind, die hier besprochen werden müssen.
    Hinter jedem Gefühl steckt ein Bedürfnis
    Dann suchen wir uns ein Thema aus, das heißt sie suchen sich ein Thema raus, bei dem sie in die Tiefe gehen wollen und dann gucken wir, welche Anliegen und Bedürfnisse dahinterstecken und suchen dafür erst mal Lösungsmöglichkeiten und verhandeln die dann", erklärt Trainerin Gisela Kohlhage den Medianten, also den Konfliktparteien im Rollenspiel, bevor es los geht. Das Ziel: Eine Vereinbarung, die den Konflikt beilegt.
    Zunächst müssen die Moderatoren Vertrauen zu beiden Seiten aufbauen, genau zuhören und die Anliegen der Betroffenen herausarbeiten. Hinter jedem Gefühl steckt ein Bedürfnis. Das gilt es herauszufinden.
    Von Kindern geschriebene Verhaltensregeln in einem Flüchtlingsheim in Berlin.
    Bei der Moderation gelten für Kinder wie für Erwachsene die gleichen Verhaltensregeln. (picture-alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Auch scheinbar religiös oder kulturell begründete Konflikte haben oft einen banalen Hintergrund:
    "Manchmal sieht es nach einem religiösen Konflikt aus, wenn Moslems in ihrer Wohnung nicht wollen, dass Handwerker da mit Schuhen rein kommen. Das kann total eskalieren. Dabei ist es deren Bedürfnis nach Sauberkeit und ich finde, das ist eine Kleinigkeit, das zu respektieren. Es ist viel, viel leichter, wenn man diesen religiösen Bezug da herausnimmt. Die wollen einfach nicht, dass man mit Dreckschuhen durch die Wohnung läuft."
    Auch um Mädchen und junge Frauen, die abends alleine unterwegs sind, sorgen sich nicht nur muslimische Eltern:
    "Da muss man einfach den Mädchen Selbstbewusstsein vermitteln und Stärke vermitteln. Und auch solche Sachen sind ja immer wieder Thema in unserer Ausbildung, dass wir über Werte reden, dass wir gucken, wie kann man seine Interessen vertreten. Wie kann man auch Kinder dazu bringen, dass sie ihre Interessen vertreten, damit eine Sicherheit von innen kommt."
    Wertschätzen statt Beleidigen
    Die Moderatoren trennen Fakten von Unterstellungen. Letztere sind verboten, ebenso Beleidigungen oder Dazwischenreden. Jeder darf aussprechen.
    Im Rollenspiel hat Nachbar Hans Flüchtling Mustafa beleidigt. Der Moderator unterbricht:
    "Wie ging es Ihnen damit, als sie das gehört haben, geh Du mal nach Hause, wo du herkommst?"
    Mustafa sagt:
    "Ging mir sehr schlecht, da habe ich mich gefragt: wo bin ich hier gelandet? Was habe ich ihm getan, habe ich ihm seinen Arbeitsplatz weggenommen? Wieso sagt er so etwas zu mir?
    Beiden geht es um einen respektvollen Umgang, um Wertschätzung und Anerkennung. Diese Bedürfnisse stecken hinter den meisten Konflikten, oft auch der Wunsch nach Sicherheit.
    "Schutz des Eigentums und Sicherheit, das würde ich aufnehmen und das ganze Drumrum, was als Schuldzuweisungen kommt, das würde ich überhören. Der Kern ist Schutz von Eigentum und Sicherheit. Guck mal, wie er nickt, der Hans. Dann würde ich das aufschreiben und sagen, vielen Dank, Hans."
    Schließlich stellt sich heraus, dass Hans Mustafas Entschuldigung nach dem Zusammenstoß nicht gehört hat und vor allem deshalb immer noch wütend ist. Allmählich nähern sie sich mit Hilfe der Moderatoren einer Lösung. Beide überlegen sich Angebote, die sie der Gegenseite unterbreiten können. Die schreiben sie auf farbige Moderationskarten.
    Wo die Themen liegen
    Der jeweils andere darf sich daraus bedienen: Bausteine für die spätere Einigung.
    Mohamed spielte eben noch die Rolle des ungestümen Flüchtlings Mustafa, der ständig auf sein Handy schaut, weil er damit Deutsch lernt. Er sagt:
    "Was ich gelernt habe, wo die Themen liegen. Das war für mich wichtig. Vorher war ich irgendwie verwirrt, was ich fragen soll und was nicht, aber jetzt habe ich viel gelernt."
    Der Pakistani arbeitet als Sicherheitsmann in einer Flüchtlingsunterkunft.
    "Da sehen Sie tatsächlich jeden Tag die gleiche Situation, was wir jetzt gelöst haben. Also in dieser Richtung kann ich schon weitermachen."
    Auch den deutschen Teilnehmern hat der Kurs gefallen. Gunter Möllmann arbeitet als freier Regisseur an Theatern in ganz Deutschland - oft auch mit Geflüchteten:
    "Ich lerne hier wirklich eine ganze Menge, selbst ich, der ich schon jahrelang Erfahrung am Theater habe, was ich vor allem so toll finde, ich komme hier mit Leuten zusammen, die ich im wahren Leben nie getroffen hätte."
    Wer als Sicherheitsmann im Flüchtlingsheim arbeitet, bekommt Alltagskonflikte direkt mit.  
    Wer als Sicherheitsmann im Flüchtlingsheim arbeitet, bekommt Alltagskonflikte direkt mit. (picture-alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Trainerin Gisela Kohlhage hat ihr Ziel erreicht:
    "Ich glaube, dass ganz viele Konflikte auf Missverständnissen beruhen, vielleicht auch auf interkulturellen Missverständnissen und ich glaube nicht, dass es interkulturelle Konflikte gibt, weil die Anliegen der Menschen eigentlich sehr ähnlich sind. Alle Menschen wollen, dass es ihren Kindern gut geht oder dass sie selber in guten Verhältnissen leben. Wir Menschen sind uns da sehr, sehr ähnlich und das möchte ich eigentlich vermitteln in diesen Kursen."
    Voraussetzungen für die Einigung
    Dennoch lassen sich natürlich nicht alle Konflikte mit einer Moderation lösen.
    "Es gibt zum Beispiel rechtliche Grenzen: Ich kann keine Vereinbarung zu Lasten Dritter machen, das ist klar. Und ich kann auch keine Strafe vereinbaren. Weil wenn jemand etwas angestellt hat, dann hat unser Staat ein Strafmonopol. Das wollen und dürfen wir nicht behindern."
    Zu einer Lösung führt eine Konfliktmoderation nur, wenn sich die Parteien ernsthaft darauf einlassen.
    "Wenn die Konfliktparteien da unfreiwillig sitzen, dann bewegt sich da einfach nichts. Wenn die aber gegeben ist, dann macht eine Konfliktmoderation immer dann Sinn, wenn es um längere Beziehungen geht. Sei es dann Nachbarschaftsbeziehungen, auch Nachbarschaften zwischen Ländern oder sei es zwischen Heimbewohnern oder gemeinsame Elternschaft bei Paaren die sich trennen oder die Stimmung im Stadtteil. Ob das funktioniert oder nicht funktioniert oder möglich ist, hängt nicht davon ab, wie schlimm der Konflikt ist, sondern es hängt von der Bereitschaft der Parteien ab."
    Manchmal dauert es eine Weile, bis sich ein wütender oder verletzter Mensch für eine Moderation öffnet.
    Erstmal zuhören
    Saina Ahmed hat die Ausbildung zur Konfliktmoderatorin 2015 abgeschlossen. Inzwischen arbeitet sie als Beraterin in einem Jobcenter. Die Methoden, die sie in der Ausbildung gelernt hat, kann sie dort gut einsetzen.
    "Ich finde, das ist sehr, sehr wichtig. Ich empfehle jedem, der mit Flüchtlingen oder Ausländern zu tun hat, diesen Kurs zu machen. Weil, wir haben immer gesagt, die Flüchtlinge, die Ausländer, sollen sich uns anpassen, aber was diese Leute brauchen, das fehlt uns. Ich muss auch seine Kultur kennenlernen und ich soll seine Gefühle kennenlernen und ich muss seine Bedürfnisse kennenlernen. Was braucht der Mensch? Und wenn ich das alles weiß, wirklich, klappt es wunderbar."
    Die Ägypterin hat gelernt, erst mal zuzuhören und die Wut zu akzeptieren, die manche "Klienten" ins Jobcenter mitbringen.
    "Warum habe ich bis jetzt mein Geld nicht bekommen? Ich hab kein Geld, ich muss Miete bezahlen. Ich bin sauer, ich habe hier Rechte. Dann: ja, ist gut, ich verstehe dein Problem ganz gut, dass du die Miete bezahlen musst, das und das, und dies und jenes. Nehme ich ihn und schaue, wie viele Akten habe ich, ich bleibe in meinem Büro bis 19 Uhr, um auch dein Leben zu erleichtern, so wie ich es kann. Aber jeder soll ein bisschen Geduld haben. Das funktioniert. Dann sie haben ein bisschen Verständnis. Ich bin nicht böse."
    Konfliktmoderation ist kein Wundermittel, das alle Integrationsprobleme löst. Aber sie hilft, die Ursachen eines Konflikts nicht nur dort zu suchen, wo man sie auf den ersten Blick vermutet. Genauer hinsehen ist Teil der Lösung.