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Gegen den Wucher
Berliner kämpfen für günstige Mieten

Eine Unterschriftenkampagne für ein Volksbegehren für günstigen Wohnraum setzt die Berliner Regierung erheblich unter Druck. Denn wenn die Initiative Erfolg hat, dann kämen erhebliche finanzielle Mehrbelastungen auf die Stadt zu. Sie geht deshalb auf die Initiatoren zu.

Von Anja Nehls | 21.05.2015
    Blick auf die Schönhauser Allee in Berlin-Prenzlauer Berg
    Blick auf die Schönhauser Allee in Berlin-Prenzlauer Berg (picture alliance / zb)
    "Wir sammeln Unterschriften, damit der Senat ein bisschen mehr für die Mieten tut, dass er ein bisschen mehr Sozialwohnungen macht und so. Kann ja nicht schaden." Vor einem Supermarkt im Berliner Bezirk Spandau steht Bernd Hinz, verteilt Flyer und sammelt Unterschriften für bezahlbare Mieten. Fast alle, die er anspricht, unterschreiben sofort.
    "Kennen Sie schon den Volksentscheid, wollen Sie das mal durchlesen? Naja ja, wenn Sie schon mal Unterschriften sammeln, dann beteilige ich mich schon. Ja." Mehrere Tausend Unterschriften hat der 59-Jährige schon zusammen. Bereits zweimal ist ihm selbst eine Mieterhöhung für seine Wohnung angekündigt worden. Fast jeden Tag steht er seitdem hier vor dem Supermarkt: "Im Augenblick bin ich arbeitslos, kriege jetzt Hartz IV und wenn ich da das Limit überschreite, dann muss ich die Wohnung verlassen und dann findet man auch kaum noch was in Berlin, dann müsste man irgendwie ins Umland ziehen und das ist noch schwieriger, da findet man dann keinen Job mehr."
    85 Prozent der Berliner wohnen zur Miete, mehr als in jedem anderen Bundesland. Und mehr als in jedem anderen Bundesland wird jährlich wegen Mietschulden zwangsgeräumt. Berlin sei als bezahlbare Metropole in Gefahr, sagt Rouzbeh Taheri von der Inititative Mietenvolksentscheid e.V. "Ich glaube, nach Arbeit ist Wohnen so das Wichtigste, was das tägliche Leben beeinflusst und mitbestimmt. Und viele Menschen müssen aus ihrer vertrauten Umgebung in den letzten Jahren ausziehen, viele Menschen haben Angst, dass sie es müssen, viele Menschen geben sehr viel für Miete aus, weil sie in der Wohnung bleiben wollen und das ist eine permanente Existenzangst. Betrifft die Erwachsenen, betrifft die Kinder, betrifft die Nachbarschaften, Familien und deshalb ist das ein Thema, was die meisten Berliner auch berührt." Und deshalb haben die Initiatoren bereits jetzt 30.000 Unterschriften zusammen. Dabei sind nur 20.000 gültige Unterschriften bis Ende Mai nötig, um den Antrag auf ein Volksbegehren zu stellen.
    Berliner Regierung unter Druck
    Mit dem "Berliner Wohnraumversorgungsgesetz", das die Initiatoren mit Hilfe des Volksentscheids durchsetzen wollen, sollen mehr Wohnungen für Einkommensschwache geschaffen werden, die Mieten in öffentlich geförderten Wohnungen gesenkt und am Einkommen der Mieter orientiert werden. Das ganze würde das Land 3,3 Milliarden Euro kosten, hat die Senatsverwaltung ausgerechnet. Für Berlin wäre das ein Horrorszenario, denn diese Summe müsste an anderer Stelle einspart werden, warnt Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel, SPD: "Das bedeutet, dass sämtliche neu durch die wachsende Stadt hinzugewonnen Finanzmittel, die wir jetzt einsetzen, um Schulen zu sanieren, um bei der BVG für neue U-Bahn Wagen zu sorgen, um Barrierefreiheit in der Stadt zu fördern, dann nicht mehr zur Verfügung stehen."
    Das sehen die Initiatoren des Volksentscheids anders. Sie verweisen auf einen Überschuss im Berliner Landeshaushalt 2014 von 800 Millionen Euro und ihren Vorschlag, die Grunderwerbssteuer zu erhöhen. Außerdem sei die Rechnung des Senats unredlich, weil Kosten für die Wohnraumförderung zum Beispiel für einen bereits jetzt geplanten Förderfonds oder die EU-Mittel für energetische Sanierung einfach den Kosten zugerechnet werden, die das Volksbegehren verursachen würde. Der regierende Bürgermeister Michael Müller dreht nun den Spieß einfach um: Berlin unternehme bereits so viel Anstrengungen für bezahlbaren Wohnraum, dass man eigentlich sagen könne, der Senat und die Initiatoren des Volksentscheids säßen im selben Boot. "Weil wir gemeinsam ja auch in der Politik sagen, da ist etwas zu tun, diese Bezahlbarkeit ist uns wichtig, wir wollen den Mietanstieg dämpfen, regulieren, wie auch immer. Da gibt es die unterschiedlichsten Instrumente. Aber, wir tun ja etwas, wir sind aktiv."
    Wohnen könnte zum Wahlkampfthema werden
    Abe nicht aktiv genug, meint die Stadtentwicklungsexpertin der Opposition, die Linke Katrin Lompscher. Wenn in der zweiten Stufe des Volksbegehrens ab Januar 2016 in vier Monaten circa 180.000 gültige Unterschriften gesammelt würden, dann liefe die eigentliche Abstimmung im September 2016 gleichzeitig mit den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. "Dass hier der Eindruck vermittelt wird, die Initiatoren des Volksbegehrens wollten ja das gleiche wie der Senat und deshalb sei dieses Volksbegehren im Zweifel als erstes überflüssig und zweites zu teuer - das kann ich nachvollziehen, dass der Senat das so macht, aber es entspricht natürlich nicht den Tatsachen."
    Tatsache ist: Bereits im vergangenen Jahr hatte die rot-schwarze Regierung mit dem erfolgreichen Volksentscheid zur Erhaltung des Tempelhofer Feldes eine schwere politische Niederlage erlitten. Dieses Mal sollen also die Wähler überzeugt werden, dass die Regierung das bessere Konzept für eine soziale Bau- und Wohnungspolitik hat. Es gibt bereits ein Zehn-Punkte-Papier von Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel, das der Initiative Mietenvolksentscheid bisher aber noch nicht vorgelegt worden ist. Bereits 2009 war ein Kita-Volksbegehren abgewendet worden, als sich beide Seiten auf eine bessere Finanzierung der Kita-Betreuung in Berlin geeinigt hatten. Aber so einfach wollen sich Rouzbeh Taheri und seine Mitstreiter nicht rauskaufen lassen. Sie sammeln weiter unbeirrt Unterschriften. In Kreuzberg gibt es jeden Dienstag eine Infoveranstaltung für neue interessiere Mitstreiter.
    "Im Schnitt sind die Mieten in Berlin in den letzten fünf Jahren um 50 Prozent gestiegen, das ist aber der Schnitt." - "In welchem Jahr?" – "In fünf Jahren, seit 2009." – "Ach." – "Bei mir zum Beispiel in Neukölln sind sie um 90 Prozent gestiegen." Die Frau ist überzeugt. Am kommenden Wochenende wird sie für die Initiative Mietenvolksentscheid auf Stimmenfang gehen. Wenn Ende des Monats der Antrag auf Zulassung zum Volksbegehren gestellt wird, prüft der Senat die verfassungsmäßige Zulassungsfähigkeit wegen der enormen Auswirkung, die es auf den Haushalt hätte. Doch die Initiatoren bleiben unbeeindruckt: Sie rechnen fest damit, dass ihr Antrag genehmigt wird, weil sich die Regierung nicht trauen wird, so viele Wähler zu verärgern. Schließlich beginnt in Berlin bald der Wahlkampf.