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Gegenfigur zur Trümmerfrau

Der Kontakt deutscher Frauen der Nachkriegszeit zu alliierten Soldaten stand im gesellschaftlichen Zwielicht. Annette Brauerhoch bringt das Tabuthema mit einem 500 Seiten starken Buch ans Licht. "Fräuleins und GIs" ist erkennbar eine wissenschaftliche Arbeit, der vor dem Erscheinen auf dem Buchmarkt eine Kürzung und eine leichte Umfrisierung zum Essay gut getan hätte.

Von Ursula März | 12.02.2007
    Irgendwo musste er ja hergekommen sein, der Bikini in der etwas schreienden Farbe, der in der Wäschekommode im hintersten Eck klemmte, manchmal wie ein Museumsstück herausgeholt und bestaunt, aber nie mehr benutzt wurde. In den 50er Jahren trugen deutsche Frauen zum Schwimmen eher unauffällige Badeanzüge. Und: In den 50er Jahren verdrängten sie die Erinnerung an sich selbst, an die Frau, die ein paar Jahre vorher mit amerikanischen Strümpfen, amerikanischer Schokolade, amerikanischem Whiskey und amerikanischem Charme beschenkt worden war. Aber irgendeine musste es ja gewesen sein.

    Nach historischen Schätzungen hatte jede vierte deutsche Frau in der Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs losen oder dauerhaften Kontakt zu einem Soldaten der alliierten Truppen. Eine Art des Kontaktes, der aus verschiedenen Gründen im gesellschaftlichen Zwielicht stand. Zum einen, weil er sich über das anfängliche Fraternisierungsverbot hinwegsetzte, zum anderen, weil er sich im Dunstkreis der Prostitution abzuspielen schien. Im Gedächtnis geblieben ist von der Liebelei zwischen Siegern und Besiegten vor allem ein Begriff: das "Froillein".

    In der Einleitung ihrer höchst umfänglichen Studie "Fräuleins und GIs" etabliert die Filmwissenschaftlerin Annette Brauerhoch das Fräulein als Gegenfigur zur Trümmerfrau. Diese wird idealisiert, jene abgewertet und tabuisiert. Das Fräulein an der Seite eines alliierten, meist amerikanischen und womöglich schwarzhäutigen Soldaten galt und gilt nicht nur als unmoralische Erscheinung. Dieses "Froillein" ist vor allem ein vom Geschichtsgedächtnis übertuschtes, ein unbekanntes Wesen. Wer heute Fotografien aus der Adenauer-Ära betrachtet, kann sich kaum vorstellen, dass die Frauen, die mit eckig übereinander geschlagenen Beinen an Nierentischen sitzen und beim Familiengeburtstag am Eierlikör nippen, die selben Wesen sind, die ein paar Jahre vorher Boogie-Woogie tanzten und Rendezvous eingingen, die auf die Übergabe eines Care-Paketes mit Nahtstrümpfen und Parfüm hinausliefen. Dieses Paradigma des Rollenwandels, der Rollenumschrift je nach ideologisch-historischer Funktion überwölbt Annette Brauerhochs Forschungsarbeit.

    Sie beschäftigt sich mit der Darstellung des "Froilleins" und der "Froillein"-Amouren in Filmen und Romanen. Sie kommt einer subtilen Sexualpolitik auf die Spur und einer noch subtileren Rassenideologie. "Neger mit einem Mädchen, sie liegen an der Isar; der Neger döst gelassen vor sich hin, pflanzenhaft, während die kleine Blonde sich über ihn beugt, trunken, als wären vier Wände um sie." Dieses Zitat stammt keineswegs aus einer populistisch-sittlichen Moralschrift der Zeit, sondern aus der Feder des Schriftstellers Max Frisch.

    Brauerhochs Buch ist gespickt mit solchen Überraschungsfunden aus den Archiven. Die fortschrittliche amerikanische Autorin Kay Boyle und der konservative Schriftsteller Hans Habe beispielsweise dürften wenig gemeinsam haben - außer der Verwendung des Wortes "Ami-Hure". "Das Wort, das jetzt immer häufiger an den Wänden der Stadt auftauchte", heißt es 1954 in "Off Limits" von Habe, "erfüllte ihn mit Abscheu, aber ebenso wenig konnte er sich eines Gefühls des Abscheus erwehren, als er diese Frauen um sich sah, die hier der vollbepackten Sieger harrten". Brauerhoch erforscht die Darstellung der Alliiertenliebe nicht nur von deutscher, sondern auch von amerikanischer Seite. "Foreign Affairs" von Billy Wilder ist der Klassiker des Genres, und sie erforscht nicht nur die ästhetische Produktion zum Thema, sondern auch das reiche Propagandamaterial, das es diesseits und jenseits des Atlantik in reicher Fülle gab. Die Warnung vor Geschlechtskrankheiten gehört offensichtlich zur Nachepoche von Kriegen wie der Nahrungsmangel.

    So spannend das Sujet von Brauerhochs immerhin 500 Seiten umfassender Arbeit, so akademisch eckig ist streckenweise der theoretische Schreibstil der Autorin. "Fräuleins und GIs" ist erkennbar eine wissenschaftliche Arbeit, der vor dem Erscheinen auf dem Buchmarkt eine Kürzung und eine leichte Umfrisierung zum Essay gut getan hätte. Die kulturhistorische Bedeutung ihres im übrigen gut und aufschlussreich illustrierten Buches wird davon allerdings nicht berührt. Annette Brauerhoch brilliert in der ästhetischen Detailinterpretation. Sie bringt vollkommen vergessene Filme, untergegangene Romane und ein tabuisiertes Thema ans Licht, jenes Fräuleinwunder der Nachkriegszeit, in dem eine Art Ausnahmezustand herrschte, eine quittierte Übergangserscheinung in der Geschichte der Bundesrepublik.