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Gegenreformation
Jesuiten gegen Luther

Das Eichsfeld ist eine katholische Insel in Thüringen und Niedersachsen. Doch das war nicht immer so. Im 16. Jahrhundert wirkte auch hier die Reformation. Dann kamen zwei Patres und nahmen es mit den 95 Thesen auf. Eine Ausstellung in Heiligenstadt erinnert an die Gegenreformation.

Von Henry Bernhard | 16.03.2017
    Nur herein! Museumsleiter und Kirchenhistoriker Torsten Müller öffnet einen Beichtstuhl für die Besucher der Ausstellung "Die Jesuiten im Eichsfeld".
    Nur herein! Museumsleiter und Kirchenhistoriker Torsten Müller öffnet einen Beichtstuhl für die Besucher der Ausstellung "Die Jesuiten im Eichsfeld". (picture-alliance / dpa / Claudia Götze)
    "Stellprobe! Jeder dahin, wo er hingehört!"
    Heiligenstadt im Eichsfeld, an einem Palmsonntag, dem Sonntag vor Ostern. Zwölf Männer in schwarzen Anzügen, mit Zylindern und weißen Handschuhen, stehen im Pfarrhof um eine überlebensgroße Jesusfigur auf einem Tragegestell.
    "Ich bin jetzt hier vorne. Stellt euch mal nach mir!"
    360 Kilogramm wiegt die Figur. Drei Kilometer werden die zwölf Männer sie jetzt durch die Straßen Heiligenstadts tragen.
    "Da hinten fehlt noch einer auf der Ecke."
    Für die Männer ist es eine Ehre, die Figur zu tragen. Diese Ehre wird von den Vätern auf die Söhne vererbt. Um die 8.000 Menschen nehmen an der Prozession teil, durch die Stadt, die gerade einmal 16.000 Einwohner hat.
    "Alles klar? Das erst Mal! Auf die Schultern - auf!"
    Seit über 400 Jahren gibt es die Palmsonntagsprozession in Heiligenstadt. Ein einziges Mal, 1945, ist sie ausgefallen, weil die Front zu nahe rückte. Die tiefe katholische Religiosität im Eichsfeld im Norden Thüringens und im Süden Niedersachsens wurzelt in der Zeit der Reformation - bzw. in der Zeit der Gegenbewegung zu ihr, der Gegenreformation.
    Denn eigentlich gab es schon 60 Jahre nach Luthers Thesenanschlag im gesamten Eichsfeld nur noch drei katholische Pfarrkirchen. Und das, obwohl der Landesherr, der Erzbischof von Mainz, gleichzeitig geistliches Oberhaupt der Region war. Die übergroße Mehrheit der Eichsfelder, um die 95 Prozent, bekannte sich aber 1574 zur Lehre Luthers. Aus guten Gründen, meint der Kirchenhistoriker Torsten Müller, Leiter des Heiligenstädter Heimatmuseums und Kurator der neuen Ausstellung "Gegen-Reformation". Torsten Müller sagt:
    "Weil die Niederadelsgeschlechter des Eichsfelds den neuen Glauben mit großer Freude angenommen haben. Sie haben darin einen Punkt gesehen, wo sie sich zusätzlich noch emanzipieren können vom Mainzer Kurfürsten, von ihrem Landesherrn. Deshalb waren die Adelsgeschlechter zuerst evangelisch geworden, und mit ihnen die Dörfer und ihre Untertanen."
    Aber die "Untertanen" hatten auch ihre eigene Motivation, den Glauben zu wechseln.
    "Die evangelischen Geistlichen waren vor allem gute Prediger. Und das hat den Leuten gefallen, sie sind also in Scharen aus Heiligenstadt beispielsweise in das Nachbardorf Wingerode ausgelaufen, um den dortigen evangelischen Pfarrer zu hören - weil der eben überzeugt hat mit seinen Worten!"
    Machtwort des Mainzer Erzbischofs
    Diesen Zustand wollte der Mainzer Erzbischof Daniel Brendel von Homburg nicht länger hinnehmen. Denn schließlich galt seit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 die Formel "Cuius regio, eius religio": Der Landesherr konnte über die Religion seiner Untertanen bestimmen.
    "Und als alle Eichsfelder Christen zum neuen Glauben übergewechselt waren, sagt er, 'Oh, oh, das geht so nicht!' Das Eichsfeld driftet nicht nur in religiösen Dingen ab, es liegt ja auch weitab von Mainzer Kerngebiet, es wird auch politisch immer eigenständiger. Und er kommt zu einer großangelegten Aktion ins Eichsfeld, 1574 macht er 'Visitation' hier; er reitet nach Heiligenstadt mit 2.000 bewaffneten Reitern ein. Das schindet Eindruck! In Heiligenstadt wohnten ja knapp 2.000 Leute - und dann nochmal 2.000 Reiter!"
    Das Eichsfelder Heimatmuseum und ehemalige Jesuiten-Kolleg. Rund 199 Jahre waren die Jesuiten in dem Bau in Heiligenstadt vertreten. 
    Das Eichsfelder Heimatmuseum und ehemalige Jesuiten-Kolleg. Rund 199 Jahre waren die Jesuiten in dem Bau in Heiligenstadt vertreten. (picture-alliance / dpa / Claudia Götze)
    Dabei ging es dem Erzbischof bei der Rekatholisierung weniger um die richtige Religion als um seine weltliche Macht, die im Eichsfeld im Schwinden war. Das meint auch Josef Pilvousek, Erfurter Kirchenhistoriker:
    "Sicherlich ist es so, dass der Erzbischof - ich will ihm nicht unterstellen, dass er den Glauben und die Kirche überhaupt nicht im Blick hatte -, aber ganz sicher kann man sagen, dass er Angst hatte, dass sein Territorium verloren geht. Jedenfalls das bis dahin erworbene."
    Torsten Müller sagt:
    "Und er hat im Gepäck zwei Jesuiten-Padres! Die mussten, wie es heißt, mit ihm reisen, sind also nicht freiwillig gekommen, sondern der Erzbischof hat sie mit hierher gebracht. Und die sollten die religiösen Umstände sich mal angucken und vor allem die Leute zum Katholizismus zurückbringen."
    Jesuiten als Elite-Seelsorger
    Die Jesuiten aber, in ihrem Gelübde dem Papst zu absolutem Gehorsam verpflichtet, hatten einzig ein Ziel: Den alten, den katholischen Glauben zu verbreiten. Wie sie das taten, zeigt die Heiligenstädter Ausstellung im ehemaligen Jesuitenkolleg, einem üppigen barocken Bau. Finanziert übrigens vom Mainzer Statthalter im Eichsfeld, also dem Vertreter der weltlichen Macht. Die Jesuiten wuchsen schnell an und waren über 199 Jahre mit durchschnittlich 16 Padres präsent. Sie setzten nicht auf Zwang, sondern auf spirituelle Verführung:
    Torsten Müller sagt:
    "Sie haben Kinder und Jugendliche gebildet und erzogen, sie haben Beichte gehört und die Sakramente nach katholischem Verständnis gespendet. Und das, was die Reformatoren auch gut gemacht haben: Sie haben gut gepredigt. Die Jesuiten waren rhetorisch geschult, und im Gegensatz zu den Dorfpfarrern, die es hier gab, waren sie auch theologisch hoch gebildet.
    Sie wussten, wovon sie reden, und sie haben es überzeugend und gekonnt vorgetragen. Und das hat die Leute begeistert! Es ist kein Blut geflossen, es wird nicht von Zwang berichtet und vom Schwert und dem erhobenen Zeigfinger."
    Josef Pilvousek sagt:
    "Es wird genauso gewesen sein wie heute: Qualität entscheidet! Und das sind schon Elite-Seelsorger gewesen."
    Die Jesuiten förderten - durchaus in Konkurrenz zu den Protestanten - den deutschen Kirchengesang und nutzten deutschsprachige Bibeln. Sie machten vieles ähnlich wie die Protestanten, das meiste aber besser. So kam es, dass das Eichsfeld auch nach dem Verbot des Jesuitenordens durch Papst Clemens XIV., im Jahr 1773, über die Jahrhunderte katholisch blieb.
    Mit 70 Prozent katholischer Bevölkerung auch über die DDR hinweg ist das Eichsfeld heute die größte zusammenhängende katholische Region in Mitteldeutschland. Im Eichsfelder Heimatmuseum verkauft man deshalb heute auch stolz und verschmitzt ein Blechschild mit dem Aufdruck: "Hier war Luther nie".