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Gegenuni in Frankfurt am Main

Vor drei Jahren besetzten linke und autonome Hochschulgruppen an der Uni Frankfurt das damals leer stehende Anglistik-Institut und gründeten dort das "Institut für vergleichende Irrelevanz". Im offenen Plenum, das das Haus verwaltet, arbeiten rund 25 Unterstützer mit. Zweimal im Jahr, jeweils zu Anfang des Semesters organisiert das IVI eine zweiwöchige Gegenuniversität. Bis zum Wochenende noch laufen Einführungen in die Marxsche Theorie und in die Philosophie Michel Foucaults, Konzerte, Partys und Couch-Plausch.

Von Anke Petermann | 08.11.2006
    " Ich kann euch auch schon mal einen Text geben, dann könnt ihr auch schon mal in den Text gucken, "

    sagt Dascha Klingenberg, Soziologiestudentin im 9. Semester und drückt dem wartenden Sergej einen Packen zerknitterter Kopien in die Hand, Auszüge aus Judith Butlers "Körper von Gewicht". Die Dozentin für vergleichende Irrelevanz muss dann noch mal ein Stündchen weg - ein Seminar besuchen, das sie anders als geplant doch nicht ausfallen lassen kann. Die bislang drei Butler-Interessenten nehmen die Verschiebung gelassen. Dafür, dass die Referentin unter Zeitdruck steht, hat Karolin Vogel, Kunstpädagogik-Studentin im vierten Semester, vollstes Verständnis:

    " Ich komme gerade von einer Ethnologie-Veranstaltung und dachte, ich muss mir mal was Kritisches anhören und hinterfragen. Und ich finde, das lässt halt nach, dass man kritische Theorien liest und bespricht: Man hat auch wenig Zeit dafür natürlich. Gerade hat ein Kollege gesagt, er kann nicht kommen weil wir 2010 fertig sein müssen und er voll unter Druck ist und wir voll viel lernen müssen, damit wir das alles mit den Scheinen hinkriegen, und genau das ist der Punkt, weshalb man das hinterfragen sollte. "

    Zwanzig Minuten später kommt immerhin der Koreferent und wirft in dem Raum mit den blau melierten und gelben Wänden das elektrische Heizöfchen an. Johannes Wilhelm ist einer der Mitgründer des Instituts für Vergleichende Irrelevanz, das in den drei Jahren seiner Existenz schon Klassiker entwickelt hat. Die Einführungen in die Philosophie von Adorno, Foucault und Butler gehören dazu:

    " Die, die so Renner sind, das sind so Sachen, die die Leute aus ihrem Uni-Alltag schon kennen, die aber nicht so richtig einfach sind. "

    Eine Stunde nach offiziellem Veranstaltungsbeginn haben sich neben den Referenten fünf weitere Studierende und zwei Schüler in den ausgesessenen Sofas Tischchen niedergelassen, eine durchschnittlich besuchte Veranstaltung der linken Nische namens Gegenuni.

    " Mein Name ist Wolf, ich studiere im dritten Semester Politologie. Ich habe schon Seminare besucht. Da wurden auch feministische Theorien besprochen, aber die Butler wurde immer so abgetan und deshalb würde es mich reizen, was dazu zu machen, in den Seminaren, wo ich war, wurde das nicht mehr besprochen. "

    An der Gegenuni hat Platz, was nach Meinung der Veranstalter immer noch tabuisiert wird. Dass die rot-grüne Bundesregierung Zwangsarbeit verharmloste, wollen sie beispielsweise in ihrer Skandalgeschichte der Zwangsarbeiterinnenzahlung entlarven. Butler, Adorno Foucault - sie werden an der Uni behandelt, allerdings im Schnelldurchgang, bemängelt Johannes Wilhelm. "Kritisches Denken braucht Raum und Zeit" steht auf einem riesigen Transparent unten im angeschmuddelten Foyer des besetzten Hauses. Die Entdeckung der Langsamkeit ist Programm am Institut für vergleichende Irrelevanz. Zwei Seiten Judith Butler in zwei Stunden - Slowfood fürs Hirn - indirekt eine Antwort der Gegenuni auf die soeben in Hessen beschlossenen allgemeinen Studiengebühren und auf die bereits erhobenen Langzeitstudiengebühren
    " Als Teil der Reaktion dagegen wurde ja damals das Institut gegründet. Genau diese Langzeitgebühren machen sich ja schon eklatant bemerkbar, dass sie Leute immer weniger Zeit haben für Sachen, die neben der Uni passieren, für Arten der Theorie-Aneignung oder Erkenntnisproduktion oder was auch immer. "


    Diese Zwänge lehnen die Mitarbeiter am Institut, das sie kurz IVI nennen, ab, nicht aber die Universität als solche:

    "Und es gibt auch schon Kooperationen mit der Uni, also es werden Leute eingeladen, die hier Vorträge halten. Also gerade aus dem akademischen Mittelbau machen schon Öfter welche bei Veranstaltungen mit. "

    Wie Rahel Jaeggi, Mitarbeiterin am Institut für Philosophie, die den Veranstaltern gute Arbeit bescheinigt. Ende der Woche läuft die Gegenuni aus, das Institut für vergleichende Irrelevanz arbeitet wie gewohnt weiter mit Lesekreisen und autonomen Tutorien. Ein neuer Lesekreis hat sich soeben gebildet. Der über Judith Butler. Nächste Woche will er sich wieder treffen und weiter versuchen, den komplizierten Gedankenkonstrukten über erzwungene Geschlechteridentitäten auf die Spur zu kommen.

    Dabei kann man auch schon mal zu geben, dass man diese Zwänge in der Pubertät selbst als quälend empfunden hat. In einem normalen Seminar hätte Jan sich solch eine persönliche Bemerkung vermutlich gespart:

    " Aber hier weiß ich, dass sich die Leute zumindest für das Thema interessieren, während es sein kann , dass man im Seminar mit Leuten zusammensitzt, die eigentlich nur da sind, weil sie denken, sie müssten da sein und auch weil hier ein höheres Maß an Intimität einfach herrscht. "