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Gegenwartsmusik aus Skandinavien

Mehr als 40 Jahre trennen Per Norgard, 1932 geboren und einer der bedeutendsten dänischen Komponisten, von Uljas Pulkkis, Jahrgang 1975, einem der ganz Jungen der finnischen Szene. Pulkkis stellt sich in seinem Violinkonzert eine deutlich neo-romantische Visitenkarte ausstellt, während die neue CD mit Klaviermusik von Norgard in dessen ganz eigene Welt entführt.

Von Frank Kämpfer | 02.12.2007
    Heute geht der Blick nach Skandinavien. Wir hören hinein in neue CD-Veröffentlichungen mit Gegenwartsmusik aus Schweden, Dänemark, Finnland und Island.


    " Rolf Wallin, Act
    CD Ondine ODE 1118-2, LC 03572"

    Die Streicher nervös, fast neurotisch - leise grollende Pauken, von fern auffahrdes Blech. Unversehens gewinnen die Gespinste an Richtung und Tempo, eruptive Gesten treten hinzu, schon rollt das ganze Orchester wie eine enthemmte Maschinerie. "Act", notiert im Jahre 2003, ist ein Stück über Geschwindigkeit. Es birgt die Freude am Schaffen und jene Kräfte, die kollektives Agieren freisetzt. Komponist Rolf Wallin scheint ein Positivist. Komplexe Zusammenarbeit - Zeichen wie Fluch der Gegenwart - ist für ihn Gleichnis und Realität: nicht nur Verwaltungseinheiten und industrielle Prozesse sind koordinierbar, auch spezialisierte Orchestermusiker kooperieren erfolgreich und fügen sich zu einer lebendigen Einheit des Klangs.

    Das Oslo Philharmonic Orchestra, geleitet vom Niederländer Jaap van Zweden, demonstriert dies instruktiv. Von den Norwegern interpretiert, begegnet "Act" als Eingangsstück auf einer neuen Orchester-CD, die Wallins neueres Schaffen beim finnischen Label ONDINE dokumentiert. Die Platte belegt die stilistische Offenheit, die den gebürtigen Schweden charakterisiert. Rolf Wallin, Jahrgang 1957, hat in Oslo und San Diego studiert und zwischen Tanz, Jazz und Oper, Rock, Elektronik und Orchestermusik nie strenge Grenzen gezogen. Gleichwohl waltet in seinen Arbeiten kompositorische Strenge; Ordnung, aber auch überbordende Vitalität, Lebenskraft sind die zwei Pole, die typisch sind für sein Komponieren. Die Zwiegestalt zeichnet auch eine Arbeit Wallins, die zum Mozartjahr 1996 entstand. "Das war schön" - so der Titel - komprimiert fünf sehr verschiedene Momente aus Mozarts Leben und Werk zu einer höchst eigenartigen, nicht-illustrativen Orchestermusik, in deren Zentrum ein solistischer Schlagwerker - hier: Martin Grubinger - steht.

    " Rolf Wallin, 3 x 3
    CD Ondine ODE 1118-2, LC 03572 "

    Musik für Orchester und Schlagwerk von Rolf Wallin - im Herbst 2006 produziert in der Oslo Concert Hall - kürzlich erschienen beim finnischen Label ONDINE.

    Die nächste CD, die ich Ihnen anspielen will, gilt den schwarzweißen Tasten und versammelt Kompositionen des Dänen Per Norgard. Der zeitliche Rahmen der Platte spannt sich über knapp 20 Jahre und endet 2002 bei drei Inventionen, die mitten hineinführen in die Norgard'sche Welt. Hier begegnen mathematisch-geometrische Muster, reagieren kleinste Splitter zu organisch anwachsenden Reihen, hier finden sich musikalischer Witz und kontrolliertes Gefühl. Älteren Datums sind "Remembering", eine Umarbeitung eines Satzes aus Norgards Bratschenkonzert, sowie die Duostücke "The secret Melody" und "Unendlicher Empfang". Norgard schreibt stets für, nicht gegen sein Instrument. Entscheidende Impulse erwachsen aus naturwissenschaftlichen Phänomenen, die der Komponist dem Erfinden neuer Techniken zugrunde zu legen vermag. Der britische Pianist Rolf Hind, der die Stücke vor Jahresfrist in England für das dänische Label DACAPO aufnahm, ist der herben Frische dieser Musik und ihren immensen spieltechnischen Anforderungen stets bestens gewachsen - auch ein eigenes Stück von ihm ist auf der Platte präsent.

    Dramaturgisch wie kompositorisch im Zentrum des Albums steht ein gut 10minütiges Klavierstück, das für Per Norgard exemplarisch ist: "Achill und die Schildkröte", 1983 komponiert, verweist auf die Antike und erinnert den paradoxen Nachweis des Xenon, dass ein noch so flinker Läufer Achill eine vor ihm gestartete Schildkröte - rein philosophisch betrachtet - niemals einholen kann.

    Musikalisch läuft eine wilde Mechanik im Stile Conlon Nancarrows, sie zu bewältigen grenzt fast an ein Wunder - was Hind, im Booklettext als Erbe und Nachfolger Ivar Mikhashoffs tituliert, scheinbar mühelos doch beredt umzusetzen vermag:

    " Per Norgard, Achilles og sklidpadden
    CD DACAPO 8.226037, LC 09158 "

    Tastenmusik von Per Norgard - bei DaCAPO erschienen. Zentraler Interpret am Klavier ist Rolf Hind.

    In klangmalerische Gefilde führt die nächste CD - eine schwedische Produktion, die den jungen Finnen Uljas Pulkkis vorstellt. Pulkkis führt eingangs in einen "Verzauberten Garten". So heißt ein Solokonzert, das faszinierende, jedoch konventionelle Klangfarben-Welten heraufzubeschwören vermag. Eine Sphäre des Irrealen wird hier imaginiert - laut Partitur reicht sie vom Sonnenuntergang bis zum Ende der Nacht - der Violine obliegt es, sie zu formen und zugleich davon zu erzählen.

    Pulkkis, Jahrgang 1975, einer der ganz Jungen der finnischen Szene, hat sich mit diesem auf das Jahr 2000 datierten Violinkonzert, eine deutlich neo-romantische Visitenkarte geschrieben. Ravel, Richard Strauss, Rautavaara mögen seine Bezugsgrößen sein. Vermag man vom unkritisch konventionellen Ton zu abstrahieren, so wirkt Pulkkis in Sachen Orchesterhandhabung begabt, wenn nicht phantasievoll. Das zweite Stück auf der beim Label BIS editierten CD ist ein traditionell strukturiertes Flötenkonzert; Nummer drei, eine Reminiszenz an Salvador Dalí, erinnert an Ottorino Respighi, der - gleichfalls ästhetisch rückwärts gewandt - 1927 ein Botticelli-Tryptichon komponierte. Neoklassizistische Handschriften sind nicht ohne Reiz - vermitteln sie schließlich doch gestern wie heute aktuelle Blicke auf Erscheinungen in früherer Zeit.

    Das süd-norwegische Stavanger Symphonic Orchestra unter Leitung der finnischen Dirigentin Susanna Mälkki und der junge, gleichfalls komponierende Geiger Jaako Kuusisto nehmen die Arbeiten von Uljas Pulkkis ernst und agieren spürbar ambitioniert.


    " Uljas Pulkkis, Enchanted Garden
    CD BIS-SACD-1339, LC 0324 "

    Orchestermusik von Uljas Pulkkis, erschienen als SACD bei BIS.

    Klänge gänzlich anderer Art schlussendlich entwirft der auf Island geborene Áskell Másson. Másson, Jahrgang 1953, ist Klarinettist und kommt von - nennen wir es 'angewandte' Musik. Nach Studienjahren in Rejkjavik und in London arbeitete er mit dem Ballett des Nationaltheaters und im Isländischen Rundfunk. Ganz sicher ist auch Másson kein Avantgardist. Zu ihm führt die Spur einer neuen CD des Mannheim Brass Quintett, die auf eine Kreuzung von später Romantik, gemäßigter Moderne und avancierter Unterhaltung hin abzielt. In diese für das Blechbläser-Ensemble reizvolle Konstellation passt auch Mássons Stück "Shadows" - ein Concerto für Solotrompete und Blechbläserquintett, das klassischer Dreisätzigkeit folgt und einem virtuosen Solisten und dessen Begleiter - wie das für heute letzte Hörbeispiel zeigt - einen Parforceritt quer durch alle möglichen Stile aufzwingt.


    " Àskell Másson, "Shadows"
    CD Coviello Classics COV 50710, LC 12403 "

    Áskell Másson, "Shadows" - vital und beschwingt als 5.1-Produktion eingespielt Anfang des Jahres von Reinhold Friedrich und dem Mannheim Brass Quintett für das Label Coviello Classics in Darmstadt.
    Zuvor habe ich Ihnen eine beim finnische Label ONDINE veröffentliche CD mit Werken des Schweden ROLF WALLIN, eine beim dänischen Label DACAPO produzierte Klavier-CD mit Stücken Per Norgards sowie Orchestermusik von Uljas Pulkkis, die bei BIS in Schweden erschien angespielt.

    Diskographie:

    Rolf Wallin, Act
    CD Ondine ODE 1118-2, LC 03572

    Rolf Wallin, 3 x 3
    CD Ondine ODE 1118-2, LC 03572

    Per Norgard, Achilles og sklidpadden
    CD DACAPO 8.226037, LC 09158

    Uljas Pulkkis, Enchanted Garden
    CD BIS-SACD-1339, LC 0324

    Àskell Másson, Shadows
    CD Coviello Classics COV 50710, LC 12403