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Geheimdienstexperte: Obama wusste von Spionage bei Bundesregierung

Der US-Geheimdienst NSA habe Zugang zu deutschen Regierungsgeheimnissen gehabt, wie zu einem offenen Buch, sagt der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Die Amerikaner seien aber nicht die Einzigen, die ihre Botschaften für Spionage nutzten.

Erich Schmidt-Eenboom im Gespräch mit Gerd Breker | 29.10.2013
    Gerd Breker: Bewegung bei einer Großmacht – langsam scheint es auch die Politik in Washington DC erreicht zu haben, dass die ungehemmten Aktivitäten des US-Geheimdienstes dem Ansehen des Landes schaden könnten. Wer nicht zwischen Freund und Feind unterscheidet, der vergrößert den Kreis seiner Gegner. Das war noch nicht so, als es lediglich Otto Normalverbraucher(in) betraf, doch nun, da deutlich ist, dass unter dem Etikett "Terrorismusbekämpfung" auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel von der NSA ausgespäht wurde, da will die politische Klasse in DC doch einmal nachfragen, was denn die NSA so treibt, und gegebenenfalls auch Grenzen setzen.

    Mit der Zielperson Angela Merkel ist die NSA-Affäre auf der Berliner parlamentarischen Bühne gelandet. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages soll sich mit der Neugier des großen Bruders USA befassen – mehr ein Symbol denn tatsächlich ein Instrument der Aufklärung, denn es werden wohl kaum Akten oder Zeugen aus den USA eintreffen. Wahrscheinlicher wäre da schon ein Zeuge aus Moskau, doch da ist sich die Bundesregierung gar nicht so sicher, ob sie den wirklich haben will. Die Beziehungen zum Partner sind schon gestört genug.

    Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom. Guten Tag, Herr Schmidt-Eenboom.

    Erich Schmidt-Eenboom: Ich grüße Sie.

    Breker: Das oberste Stockwerk der US-Botschaft am Pariser Platz in Berlin mit Wärmekameras als mit Elektronik vollgestopftes Nest der Neugier entlarvt, das ist für den Kundigen, Herr Schmidt-Eenboom, doch überhaupt keine Überraschung.

    Schmidt-Eenboom: Nein. Der amerikanische Experte James Benford hat schon in den 1980er-Jahren veröffentlicht, dass es ein Joint Venture gibt zwischen CIA und NSA, den Special Collection Service. Der BND wusste darum, weil er selber für die USA aus der Botschaft in Libyen heraus solche Operationen unternommen hat.

    Breker: Das heißt, jede Botschaft hat eine solche Abteilung, auch die deutschen Botschaften im Ausland?

    Schmidt-Eenboom: Ich gehe davon aus, dass in einigen Fällen auch die deutschen Botschaften vom Bundesnachrichtendienst zur funkelektronischen Aufklärung genutzt werden, allerdings nicht die in verbündeten westlichen Staaten.

    Breker: Wenn man das weiß, dass es solche Abteilungen gibt, kann man da Gegenmaßnahmen einleiten? Gibt es so was wie Störsender?

    Schmidt-Eenboom: Man muss zunächst mal die bittere Einsicht vorausschicken, dass das völkerrechtlich völlig legal ist. Botschaften sind exterritorial und damit sind diese Lauschangriffe so zu werten, als würden sie beispielsweise direkt aus der NSA-Hauptzentrale in Ford Meade erfolgen, was bei einigen Botschaften weltweit mit diesem Remote-Verfahren ferngesteuert ja auch der Fall ist. Man kann sich natürlich technologisch in gewisser Weise wehren, mit Störsendern. Man kann 100 Handys mit Regierungskennungen auf den IMSI-Catcher dort einloggen und den mit irreführenden, aber begehrten Suchbegriffen füttern. All das sind technische Maßnahmen der Gegenwehr, die bei den Amerikanern sicherlich eine große Verbitterung erzeugen würden, weil man sich doch sicher sein kann, dass andere Staaten, namentlich Russland oder China, ihre diplomatischen Vertretungen dann in ähnlicher Weise nutzen, ohne dass ihnen dann Gleiches widerfährt.

    Breker: Stichwort Gegenwehr, Herr Schmidt-Eenboom. Unser Geheimdienst soll ja nicht nur ausspähen, sondern er soll auch Ausspähungen verhindern. Heißt das, in Sachen NSA hat er versagt?

    Schmidt-Eenboom: Von Versagen kann man nur sehr begrenzt reden. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik war immer bemüht, den technologisch besten Standard zur Absicherung von Regierungskommunikation zu entwickeln und zu verbreiten. Das hat sicherlich große Erfolge bei der Abwehr chinesischer oder russischer Angriffe. Aber die NSA, dieser gigantische Apparat mit seinen Hightech-Möglichkeiten, der ist schwer auszubremsen. Eine technische Spionageabwehr kann im Augenblick wohl möglich sein durch die neu eingeführten Regierungshandys, aber wenn die NSA aus dem Weißen Haus weiterhin den Hauptauftrag erhält, deutsche Regierungskommunikation auszuspähen, dann wird auch dieses Verschlüsselungssystem in absehbarer Zeit geknackt. Das heißt, wir brauchen eine politische Gegenwehr und keine technische.

    Breker: Ist es denn nur eine Frage, Herr Schmidt-Eenboom, der technischen Überlegenheit der Amerikaner aufgrund der Tatsache, dass sie da Milliarden in diesen Bereich gepumpt haben, oder hat es auch damit zu tun, dass man nicht alle gleich behandelt, man unterscheidet schon zwischen Freund und Feind bei den Geheimdiensten?

    Schmidt-Eenboom: Die Nachrichtendienste unterscheiden überhaupt nicht zwischen Freund und Feind, weil sie mit denselben Nachrichtendiensten in bestimmten Sektoren sehr freundschaftlich, sehr partnerschaftlich, sehr ertragreich zusammenarbeiten, der BND und die Amerikaner auf dem Sektor der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, bei der Beobachtung von Kommunikationsströmen in Krisengebieten, gerade Kommunikationsverkehr, die in oder durch die Bundesrepublik laufen, man arbeitet in Afghanistan nach Anfangsschwierigkeiten recht gut zusammen. Auf der anderen Seite bekämpft natürlich der gesamte amerikanische Nachrichtendienst-Apparat die Regierungs- und Wirtschaftskommunikation in der Bundesrepublik Deutschland, weil es dazu politische Vorgaben und Zielsetzungen gibt.

    Breker: Herr Schmidt-Eenboom, Sie haben es erwähnt, dass es eine Zusammenarbeit gibt in der Terrorismusabwehr, insbesondere des islamischen Terrorismus. Schafft so was vielleicht Dankbarkeiten, die Misstrauen abbauen helfen? Ist man dann nicht mehr so misstrauisch, weil man Informationen bekommen hat, die einem geholfen haben?

    Schmidt-Eenboom: Nein. Wir kennen die Parallelen aus dem Kalten Krieg. Auch da gab es ja ein Zusammenwirken gegen die Staaten in Osteuropa, gegen die Staaten des Warschauer Vertrages. Es gab auf der anderen Seite dennoch ein Schottenprinzip zwischen den Nachrichtendiensten. Das heißt, die amerikanischen Nachrichtendienste haben viel mit dem Bundesnachrichtendienst und den Nachrichtenwesen der Bundeswehr zusammengearbeitet und haben auf der anderen Seite elementare Informationen im nationalen Bereich behalten.

    Breker: Ist es vielleicht so, Herr Schmidt-Eenboom, dass Nachrichtendienste auch ohne politische Vorgaben sich verselbstständigen, ein Eigenleben führen?

    Schmidt-Eenboom: In gewissem Umfang. Sie haben natürlich bestimmte Zielfelder wie die nachrichtendienstlichen Auseinandersetzungen mit anderen Nachrichtendiensten, die das Regierungshandeln wenig betreffen. Aber im Kern folgen sie den Weisungen ihrer Regierungschefs, und Obama wird nahezu täglich mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen gebrieft. Das heißt, die Highlights aus der Aufklärung bekommt er vorgetragen und unter diesen Vorträgen dürften in den letzten Jahren ja erhebliche Kenntnisse über deutsche Regierungsgeheimnisse gewesen sein, sodass er sich schon fragen musste, wie sein Nachrichtendienst zu diesen Erkenntnissen gekommen ist.

    Breker: Das heißt, Sie glauben, dass er gewusst hat, dass das Handy der Kanzlerin ausgespäht wurde?

    Schmidt-Eenboom: Er musste zumindest wissen, aus dem, was ihm an Finish Intelligence, an fertiger Information vorgetragen wurde, dass es Zugänge zur geheimsten Regierungskommunikation gibt. Ob das durch das Handy ist, ob man in die Rechner der Bundesregierung eingedrungen ist, ob es menschliche Quellen im Regierungsapparat gibt, das muss er nicht unbedingt wissen, das erfährt er nur auf Nachfrage. Aber dass unser Regierungswissen ganz, ganz offensichtlich für die NSA ein offenes Buch war, das wusste Obama.

    Breker: Ist es ein Ziel des amerikanischen Geheimdienstes, Wirtschaftsspionage zu machen? Kann man das so klar definieren?

    Schmidt-Eenboom: Da gibt es sehr viele Vorwürfe, vom französischen Staatspräsidenten über den BDI, von Fachjournalisten. Aber wenn wir einen Blick in alle Snowden-Enthüllungen werfen, dann gibt es da keine Smoking Gun, keinen einzigen Beweis dafür aus den Snowden-Materialien, dass deutsche Unternehmen definitiv als Einzelunternehmen von amerikanischen Nachrichtendiensten ausgeforscht wurden. Nun haben wir die Tendenz, dass Unternehmen, die das merken, selbst gemerkt haben, aus Image-Gründen damit nicht an die Öffentlichkeit gehen, und wir haben auch das Phänomen, dass der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik solche Aktivitäten von befreundeten Nachrichtendiensten nicht besonders stark ins Visier nimmt und auf keinen Fall im Jahresbericht veröffentlicht.

    Breker: Wenn wir noch einmal kurz auf die deutschen Geheimdienste schauen, Herr Schmidt-Eenboom. Wir machen das Gleiche wie die Amerikaner, nur ein paar Klassen tiefer von der Qualität her, weil wir nicht so viel Geld haben?

    Schmidt-Eenboom: So kann man das nicht sagen, weil der Bundesnachrichtendienst wegen des Mangels an Geldes, wegen deutlich geringerem Personalaufwands eingeengt ist und da konzentriert wird auf seine Kernaufgaben. Und die Kernaufgaben sind wirklich Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die sind Absicherung von Bundeswehroperationen, Schwerpunkt Afghanistan, das ist Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität. Er schreibt natürlich auch Analysen über das Regierungshandeln befreundeter Regierungen, aber da stützt er sich überwiegend auf offenes Material, auf Partnerdienst-Informationen, auf diplomatische Hinweise. Es ist auszuschließen, dass der Bundesnachrichtendienst mit seinen Aufklärungsmitteln Botschaften, Regierungszentralen von verbündeten westlichen Staaten ausforscht oder gar Wanzen legt.

    Breker: Im Deutschlandfunk der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Herr Schmidt-Eenboom, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Schmidt-Eenboom: Gern geschehen.


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